Mittwoch, 14. bis 15. Januar 2004
Ja, ich habe es gewagt! Ich habe gebucht. Da es jetzt Ruth doch nicht möglich ist, an der Australien Rundreise teilzunehmen, mache ich es halt allein. Der Floh sitzt jetzt schon im Ohr. Eigentlich, so dachte ich, kann ich mir ein etwas spezielles Geschenk zum runden Geburtstag gönnen. Und wenn ich schon allein gehe und mir den Luxus des Einzelzimmerzuschlags leisten muss, könnte ich doch gerade so gut jene Camping-Car-Rundreise im Einzelzelt machen. Dort ist man vielleicht drei- oder viermal im Hotel, ansonsten wird campiert. Der Fahrer ist auch der Koch und der Reiseleiter. Die Teilnehmer sind international und es wird englisch gesprochen. Campiert habe ich zwar noch nie, aber ich denke mir, wenn ich in den SAC-Hütten zurechtkomme, wird dies wohl auch kein sonderliches Problem sein. Im Freien erlebt man einen Ort viel intensiver. Es tönt, riecht, und fühlt sich schon ganz anders an.
Das waren meine Überlegungen und allen habe ich es erzählt und alle haben mir die allerbesten Wünsche mit auf den Weg gegeben und manche habe nun auch offen gezeigt, dass sie mich leise beneiden.
Das Tram hält um halb acht am Bahnhof. Jetzt schwappt doch eine riesige Welle von Herzklopfen über mich und steigt hinauf bis zum Hals. Selber schuld, jetzt muss ich zuerst mal mutterseelenallein nach Sydney reisen. Niemand, den ich fragen kann und niemand, dem ich sorglos hintendrein trampeln kann. Allein! Nein, nicht ganz. Auf der Passerelle wartet Margrit Kohler und Lykke-Lise und sie lassen es sich nicht nehmen und wollen wenigstens bis zum Flughafen mein Abschiedskomitee bilden! Sogar eine Rose will mir Lykke-Lise kaufen, aber das wäre doch jetzt wirklich schade darum. Der Zug hat sich noch nicht in Bewegung gesetzt, werde ich beschenkt. Ein Glückskäfer auf einem Sprüngli-Praliné und ein filigraner goldener Engel. Als Schutzengel gedacht. Der darf jetzt gerade an meiner Halskette mitreisen. Ach Lykke-Lise, Du bist ja selbst so ein Engel. Auch Esther und noch andere haben mir einen starken Schutzengel mitgegeben.
Margrit hat mir noch ein Buch gepostet, als Lektüre unterwegs. Meine Reise wird 22 Stunden dauern. Und last but not least kommt auch noch ein Geburtstagspäckli zum Vorschein. Dünn und schmal, fast wie ein Buchzeichen. In dänischem Einpackpapier und ich verspreche, es erst am Geburtstag auszupacken. Gipfeli stehen auch bereit, falls die Minibar vorbeikommt.
Das Abschiedskomitee ist noch nicht komplett. Im Flughafen taucht auch Alice noch auf. Da muss aber ein Abschiedsfoto her. So viel Wirbel, weil ich verreise. Beim Winken nach der Passkontrolle geht mein Herz wieder den Hals hinauf auf Wanderschaft. Ich muss zum Terminal E. Ich wusste gar nicht, dass man jetzt in Kloten auch so eine unterirdische Super-Magnetbahn, die Skymetro hat, um zum Terminal mit den Fingerdocs zu gelangen. Endlich, um 12.30 Uhr rollt die Boeing 747 auf die Startpiste.
Ein Fensterplatz hat etwas Gutes und etwas Schlechtes. Das Gute: Solange es hell ist, habe ich eine wunderbare Aussicht. Aufgrund der GPS-Karte, welche ich mir auf meinen persönlichen Bildschirm einblenden kann, erkenne ich schon bald unter mir den Balatonsee. Bald darauf eine undurchdringliche Nebelmasse, unter welcher sich das schwarze Meer verbirgt. An seiner Küste beginnen sich wieder Blumenkohlwolken zu türmen und nachher lassen sie bald den Blick auf eine ganz verschneite Gebirgslandschaft frei. Meine Uhr hat jetzt drei und die Wolkenbank beginnt leicht zu erröten. Ich erinnere mich, dass ich mal in einem Buch gelesen habe, dass jemand die Schneeberge am Horizont als den Mantelsaum Gottes bezeichnet hat. Genauso kommt mir dieses Bild jetzt vor, oder vielleicht noch eher wie der Unterrock, welcher aus einem breiten Band aus St.Galler-Stickereien gewirkt ist. Die unverschneiten Täler und dunklen Wälder scheinen wie die Durchbrüche der weissen Spitzen zu sein, welche an einem wunderschön rosaroten Seidentuch angenäht ist. Bevor seine Farbe ins Hellblau übergeht, wird sie aber noch von einem breiten, dunkelblauen Band abgegrenzt. Mein Ergötzen kann ich nicht lange auskosten, denn schon wird der schwarze, samtene Vorhang gezogen und obwohl noch nicht mal vier Uhr ist, hat man jetzt gefälligst zu schlafen.
Zum Glück haben wir schon gespiesen und der Atem meines Sitznachbarn, der mich an eine Blumenvase erinnerte, deren Wasser seit einer Woche nicht gewechselt wurde, hat sich etwas neutralisiert. So habe ich jetzt nicht mehr so sehr den Drang zu entfliehen, denn das ist das Schlechte am Fensterplatz: man muss immer zwei Fremde stören, wenn man aufstehen muss. Und ich Lappi habe noch zwei Halbliter Cola und Fanta ausgetrunken, damit ich meinen Antikäfertrunk, den ich im Dutyfree erstanden habe, in Plastikflaschen abfüllen kann. Wegen der Kohlensäure rumort nun mein Bauch entsprechend.
Die Nacht dauert etwa drei Stunden, dann kommt die Stewardess mit einem heissen Waschlappen. Der kleine Flieger auf meinem Bildschirm vor der Nase hat sich nun schon recht nahe auf Singapur zu bewegt. Noch etwa eine Stunde und der Sinkflug beginnt. Plötzlich wird man gewahr, dass etwa vier oder fünf Babys an Bord sind. Zuerst wimmern sie, je tiefer wir sinken, desto kräftiger wird ihr Gebrüll. Sie dauern mich, sie leiden offensichtlich Qualen.
Es ist sieben Uhr und wir schweben auf eine noch beleuchtete Stadt hinunter.
Bis wir durchs Fingerdock den vornehmen, überall mit Teppichen ausgelegten Flughafen betreten, beginnt hier auch schon ein neuer Tag. Irgendwo am Ende einer Piste geht gleissend die Sonne auf und wird wohl bald die Nässe des nächtlichen Regens auftrocknen. Laut Flugplan habe ich hier etwa drei Stunden Zeit zum Umsteigen. Ich bin nicht die einzige Schweizerin, die etwas ratlos vor der Abflugtafel steht. Unser Weiterflug, der SQ219 ist nirgends aufgeführt. Am besten warte ich hier in der Gegend des E-Gates.
Endlich wird einem verraten, dass man sich zum Gate E23 begeben kann. Um halb neun wird dort die Türe geöffnet und dann beginnt sich eine fast endlos lange Schlange von Reisenden mit zum Teil erstaunlich riesigem Handgepäck durch den “Body-Check” zu drängeln. Unglaublich, wie viele Personen so ein Jumbo fasst.
Alle bekommen ein Formular, wo man auf Treu und Ehr schwören muss, dass man keine Esswaren, keine Samen oder Pflanzenteile mitbringt. Fast hat man das Gefühl, dass sonst Todesstrafe droht. Und ich schwöre es, unterschrieben und datiert. Dann erhebt sich unsere Maschine bald wieder und zieht eine weite Schlaufe über den Hafen von Singapur, der übersät ist mit einer Menge von Schiffen, von denen man bei der Landung nur einzelne Lichterpunkte sah, welche auf einem schwarzen Samtvorleger vor der hellerleuchteten Fläche der Stadt verstreut waren.
Bald verschwinden die verschiedenen Inseln und das Meer unter ausgestreuten Watteflocken. Dahinsegelnde Wolken unter mir und ein hellblauer Himmel über mir. Die dunkelblauen Flecken im türkisblauen Meer interpretiere ich zuerst als Untiefen oder so was ähnliches wie Seegras, bis mir klar wird, dass die Kleckse immer die gleiche Form haben, wie die dahinsegelnden Wattebausche. Über einer Insel wächst wieder eine kompakte Kumuluswolkenschicht fast auf unsere Höhe. Etwas weiter überragt schwarz und bedrohlich der riesige Krater eines Vulkans das strahlende kugelige Weiss.
Dann verlässt die Route Fest- oder Inselland und nur noch dunkles, endloses Blau unten und helles, blendendes Blau oben und wir hängen einfach in 10300m in der Luft. Man kann sich an nichts mehr orientieren, ob man überhaupt vorwärts kommt. Nur das Dröhnen der Triebwerke in den Ohren und im Bauch das langsam unangenehm werdende Treiben der Kohlensäure des Sprites und des Colas.
Dann – die Küste Australiens! Hallo – ich komme! Aber was ist schon mein Hallo im Vergleich, was mir dieser Erdteil als Begrüssung präsentiert. Als erstes ein sagenhaftes Bild eines Flusses mit tausend Zuflüssen, die sich im gelben Sand als Hintergrund wie filigranes Astwerk zum schwarzen Stamm eines riesigen blattlosen Baumes vereinen. Und ich habe meinen Fotoapparat im Rucksack, eingeschlossen im Gepäckfach und zwei fremde Passagiere die schlafen, dazwischen. Das gelbe Delta ist relativ scharf abgegrenzt von weiten Ebenen, die, maseriert aus einer Farbpalette von Rot- und Brauntönen, ausgebreitet daliegen. Die Zeichnungen erinnern mich an die Form von Eisblumen an einem Fenster. Feine Pfade, schnurgerade und kilometerlang erstaunen mich und machen mich gwundrig. Dann sieht es aus, also ob ein hundert Kilometer langer Kamm über das frischgemalte Eisblumenbild gefahren wäre und dort unendlich lange, rote Kratzer hinterlassen hätte. Dann kommt Blau und Weiss ins Bild. Nicht mehr abstrakt und gerade, es sind die runden Formen von Seen und verkursteten Salzflächen.
Jetzt ist mir der Schlaf der äussern Nachbarin wurst. Ich hole meinen Foti und hoffe, dass ich wenigstens etwas von diesem Wunder mit heim nehmen kann. Nach den Salzseen kommt Wüste. Die Sanddünen sind wie lange Rillen zu sehen. Hat der Kamm vorhin von Süd nach Nord gekämmt, hat er es später von Ost nach West getan. Nackte Felsen tauchen aus einem Meer von rotem Sand auf. Aber es ist nicht der Ayers Rock. Dann eine Strasse, ziemlich schnurgerade und eine Abzweigung, rechtwinklig dazu. Ich kann sogar Fahrzeuge darauf erkennen. Das ist bestimmt jene wichtige Abzweigung nach Osten, die wir auch nehmen müssen. Was mich wundert, sind links und rechts der Strasse im Winkel von etwa 30° graslose Streifen, die auch wie die Zähne eines Kammes aussehen. Es sind bestimmt nicht Zufahrten zu Häusern. Vielleicht komme ich dem Rätsel unten auf die Spur.
Haben bis jetzt einzelne Wolken tintenschwarze Kleckse auf das Kunstgemälde projiziert, verdichtet sich über New South Wales die weisse Schicht zu einer kompakten Decke. Allein der Reflex der vielen Wasserlöcher, es sind meist viereckige Teiche, leuchten durch den Dunst in der langsam tiefer stehenden Sonne wie Gold oder ein spiegelnder Fluss wie ein glänzender Faden. Ich bin so beeindruckt von diesem Empfang, den mir Australien bietet. Es würgt wieder fast auf der Brust. Ich nehme diese Pracht an, als wäre es das wunderbar farbige Einpackpapier zu meinem Geburtstagsgeschenk. Das Geschenk, das man noch eingepackt betrachtet und würdigt, ehe man drangeht, es auszupacken.
Um sieben Uhr lande ich in Sydney im letzen Sonnenschein und werde von einem Taxi abgeholt. Ein zweiter Gast, der an einem andern Hotel abgeladen wird, ist auch am Samstag mit auf der Campingtour. Er ist aus England. Obwohl er ausgesprochen deutlich spricht, verstehe ich höchstens der Spur nach einen Teil seiner Unterhaltung mit dem Chauffeur. Ich tue meine Hoffnung kund, wenigstens nur Einen anzutreffen, der deutsch spricht und den ich fragen kann: “washetergseit”. Da könne ich beruhigt sein, in meiner Gruppe seien etwa 15 Deutsche aus Frankfurt mit dabei, tröstet mich der Taxichauffeur.
Mein Hotel liegt am Darling Harbour und ein warmer Abendwind streicht mir zur Begrüssung in die Haare. Nach einer erfrischenden Dusche gehe ich mal in der nächsten Umgebung auf Futtersuche. Quer über der Strasse finde ich in einer Pizzeria an einem Bistrotischchen einen Platz, fast auf dem Trottoir und bekomme einen Teller mit ausgezeichneten Tortellinis. Doch irgendwie bin ich viel zu müde, ich schaffe kaum die Hälfte. Ich sehne mich nach dem Bett. Das Bier, welches ich dazu bestellt habe, trägt wohl auch das Seine dazu bei.
Freitag, 16. Januar 2004
Von wegen nur noch schlafen … Gerade zwei Stunden ging’s, dann war ich wieder wach. Noch ist nicht mal Mitternacht und es dreht und dreht und ganze Videobänder laufen ab von den Eindrücken der Reise und den Vorstellungen der Erwartungen. Schon geht es gegen halb fünf, bis mich endlich ein zweites Mal ein gnädiger Schlummer umarmt. Doch auch nur wiederum für zwei Stunden. Um sieben Uhr bin ich wieder hellwach.
Ich braue mir mit den bereitgestellten Utensilien erst mal einen Tee. Dazu habe ich doch meinen Lieblingstee aus der Schweiz … – Oh Schreck, der ist doch aus Pflanzenteilen und ein Nahrungsmittel. Und ich habe auf Ehr und Treu geschworen, nichts dergleichen im Gepäck zu haben!
Draussen regnet’s. Trotzdem mache ich mich fertig für den Harbour Cruise um 10 Uhr. Der Taxichauffeur hat gestern gesagt, ein Regenguss dauere zehn Minuten, dann scheine wieder die Sonne. Bis zum Hafen hat man zu Fuss etwa zwanzig Minuten. Mit einem Stadtplan wohlausgerüstet, überquere ich nun erst mal die beflaggte Pyrmontbrücke. Sie ist den Fussgängern und der Monorail vorbehalten. Auf der Suche nach einem Frühstückskaffee trete ich in eine Art Einkaufszentrum ein und finde genau, was ich mir vorgestellt habe. Ein take away Tresen, wo ich an einem Bistrotischchen in Ruhe ein Blueberry Muffin und einen Kaffee vertilgen kann. Dabei kann ich mich erst mal gemütlich umsehen. Mir fällt eine Uhr auf, die von der Decke des Gebäudes zwischen drei Galerien herunterhängt. Die Idee, von einer höheren Etage aus ein Bild von meinem ersten Eindruck dieses Sydneyer Konsumtempels zu machen, beschert mir in einer Vitrine die Präsentation einer Chinesischen Hochzeitkutsche einer Prinzessin. Sie ist etwa anderthalb auf zwei Meter gross und jede Seite ist aus einem Stück Jade gearbeitet.
Auch an der Uhr gibt’s von der zweiten Galerie aus viel zu sehen und zu entdecken. Sie hat nicht nur einen viereckigen Kasten mit gewöhnlichen Zeigern auf alle vier Seiten, man kann noch viel mehr ablesen. Wie auf einem Karussell sind neben vielen Verzierungen zwölf Bilder angeordnet, für jeden Monat eines. Dann kann man den Wochentag und die Stunden ablesen. Sechs grosse Bilder, die jedes etwas von der Geschichte Australiens darstellen, werden jeweils je 10 Sekunden lang beleuchtet, währenddem eine kleine Figur vor dem entsprechenden Bild vorbeimarschiert. Ihr Weg ist einmal pro Minute um die ganze Uhr herum.
Das ganze Gebäude an und für sich ist ein Besuch wert. Neben modernen Rolltreppen kann man auch das gute alte Treppenhaus benutzen, welches mich mit schönen Bögen, schmiedeisernen Geländern und farbigen Fensterrondellen begeistert. Ist dies nun viktorianisch oder Kolonialstil? Da bin ich ein Banause, aber es gefällt mir. In diesem Einkaufszentrum zu schlendern, vermittelt einem einen Hauch von Nostalgie.
Draussen hat es in der Zwischenzeit erneut zu regnen begonnen und ich husche in der Pittstreet, der Haupteinkaufsstrasse unter Laubengängen von Schaufenster zu Laden. Ich schaffe es, noch vor zehn Uhr am Pier 4 zu sein, dort wo die grüngelben Fähren eine einstündige Hafenrundfahrt anbieten. Die Idee lohnt sich. Vom Schiff aus hat man eine optimale Perspektive auf Opera, Stadt und Harbourbridge. Die Skyline ist faszinierend. Die Wolkenkratzer kratzen nicht nur, sondern sie greifen gar in die Wolken hinein.
Ich kann schon mal ein Ohr voll nehmen, von dem was mich auf meiner Tour erwartet: Ein unsichtbarer Guide erklärt einem bis ins Detail, was zu sehen ist und was und wann früher hier mal was war und ich bin so klug als wie zuvor. Ich kann nicht mithalten. Muss wohl in meinem Apa-Guide noch ein bisschen nachschauen! Doch ich habe trotzdem Glück, denn während der ganzen Tour ist es trocken und für einen Moment scheint gar die Sonne.
Als nächstes wär’s doch was, den grossen Brückenbogen zu erklimmen. Jede Menge Leute sind dort oben und ich stelle mir von dort oben einen fantastischen Blick auf Oper und Neustadt vor. Auf dem Plan finde ich auch den Eingang zum “BridgeClimb”. Das scheint aber ein Highlight zu sein, welches man vorher buchen muss. Sogar von zuhause aus per Internet, auf dass man nicht Schlange stehen muss. Man bekommt ein einheitliches Outfit und einen Klettergurt verpasst und wird angeseilt. Kein Wunder, dass der ganze Spass das stolze Sümmchen von 155$ kostet. Wahrscheinlich dürfte man dann so angeseilt nicht mal selber ein Foto machen. Also begnüge ich mich mit dem Fussgängerweg, der neben der 8-spurigen Autostrasse und den zwei Geleisen der Eisenbahn über die Brücke führt. Der nächste Regenschauer beginnt. Also warte ich beim ersten Brückenpfeiler das Ende des Sprutzes ab. Doch nichts ist diesmal mit zehn Minuten. Nach einer halben Stunde sieht man immer noch nichts von der Anzac-Hängebrücke, welche ich gerne als Hintergrund zu dem 8-spurigen Highway gehabt hätte. Dafür kann ich etwa 2 Gruppen beobachten, die im strömenden Regen “the climb of here live” machen, welchen sie wohl in Erwartung besseren Wetters im voraus gebucht haben. So wie dieses Ehepaar, welches hier oben vergeblich nach dem Eingang sucht. Wenn man schon im voraus bezahlt hat, muss man es doch auch auskosten. Noch immer im strömenden Regen mache ich mich auf den Weg durch die “Rocks”, dem ältesten, zum Teil noch von den ersten Sträflingen erstellten Viertel der Stadt. Die Szenerie bietet mir einen bizarren Kontrast zum CBD, dem Central Business District mit seinen spiegelnden Wolkenkratzer-Fassaden.
Bei diesem Wetter scheint mir ein Museumsbesuch gerade richtig. Irene hat mir das Sydney Aquarium empfohlen. Es liegt auch im Darling Harbour. Also mache ich mich auf die Socken. Nein, eigentlich fehlen mir ein Paar. Neue Amphibienschuhe sind vielleicht doch nicht das Ideale, um darin barfuss bei Regenwetter eine Stadt zu erkunden. Also erst nochmals durch die Pittstreet, wo ich mich in einem Postshop gerade mit 40 Marken eindecke und nebenbei schon den zweiten Schweizern heute begegne. In der Mall ist überall Sommerschlussverkauf und ich muss mich richtig anstrengen, dass ich mich in den weitläufigen Konsumtempeln nicht verirre.
Bis ich endlich wieder in Darling Harbour angelangt bin, ist schon fortgeschrittener Nachmittag und mein Magen knurrt. Ich inspiziere mal die Menükarte des Pubs mit Sicht auf den Hafen und den Mammutkasten des Ibis, wo ich einquartiert bin. “Wait to be seated” ist hierzulande wohl auch üblich. Die nette Hostess will mich an einen hochbeinigen Tisch mit fast lehnenlosen Hockern begleiten. Ich möchte lieber einen normalen Tisch und bequemere Stühle, aber der einzige, der frei ist, wird eben gerade weggeräumt! Ich bekomme drinnen einen zwar hochbeinigen Tisch, die dazugehörigen Stühle haben jedoch eine richtige Lehne. Bis ich jetzt wieder begriffen habe, dass ich nicht bei der netten Dame bestellen kann, sondern an der Theke meinen Wunsch anbringen und auch bezahlen soll – ! ähnlich wie damals in Schweden, als man mit dem Finger auf irgend Etwas tippte, dann aber keine Ahnung hatte, was einen erwartete und wenn es dann angerichtet und abholbereit auf der Anrichte ausgerufen wurde, man dann weder wusste, wie man das aussprach, noch wie es aussah. Aber hier schnalle ich schnell. Ich bekomme einen Piepser und wenn der piepst, ist mein crispy Sirloin Steak mit Knoblauch und Auberginenpurée, grünen, halbrohen Bohnen und Stock fertig.
Inzwischen hat es endlich aufgehört zu regnen und ich tauche im Sydney Aquarium unter. In der Ausstellung kann man sich über die hiesigen Fische und Korallen informieren. In grossen Vivarien sind auch jene Fische mit einem Totenkopf bezeichnet, vor welchen man sich in acht nehmen sollte. Ob ich das dann am Riff noch weiss? Dann kann man in verschiedenen Unterwassertunneln Seelöwen, Haifische, Rochen und eine Menge bunter Fische in ihrer (fast) natürlichen Umgebung beobachten. Nur den Nemo habe ich nicht gefunden, obwohl er die Attraktion wenigstens im Souvenirshop ist. Der Jetlag meldet sich wieder und ich möchte im Moment nur eins: in die Heja. Am Kiosk erstehe ich eine Flasche Quellwasser von 750ml und stehe fast Kopf, weil ich dafür 4$20 bezahlen muss.
Die Beine sind müde und das Bett lockt. Aber noch bin ich nicht Monorail gefahren. Diesseits und jenseits der Pyrmontbrücke ist je eine Haltestelle. Man löst eine Fahrkarte für 3$ und steigt ein und aus wo man will. Alle fünf Minuten kommt eine Komposition dieser einschienigen Stelzenbahn. Eiseskälte haucht mich von oben an, so dass ich schleunigst meine Windjacke auspacke. Kein Wunder, war dieser Platz frei. So drehe ich zum Abschluss des Tages hoch über Fussgängern und Abendverkehr eine Ehrenrunde über dem Exhibition Centre und High School, über der China Town, ein Stück entlang der Pittstreet, dann um den Bogen und man ist wieder am Ausgangspunkt.
Meine Sinne und Gedanken gehen immer mehr Richtung Bett und trotzdem will ich mein Glück an einem Bancomat versuchen. Den Pin habe ich diesmal auch aufgeschrieben mit dabei. Die Kiste fragt mich verschiedene Sachen, nur nicht, ob sie mit mir deutsch reden soll. Pi mal Handgelenk beantworte ich ihre Fragen, bestimmt und selbstbewusst diesmal den Pin. Und siehe da – ich gehe um 500$ reicher ins Hotel. In der Lounge stehen drei Computer und Bett hin oder her, das muss ich jetzt noch zuerst ausprobieren. Für 2$ kann ich 20 Minuten ins Netz. Das sollte reichen, eine kleine Ankunftsbestätigung ans andere Ende der Welt zu schicken. Das @ zu finden und das y mit dem z zu tauschen ist schon das zweite Problem, doch ich schaffe es sogar, in dieser Zeit, das Mail abzuschicken.
Jetzt aber ab in die Heja. Doch eine Auge passt auf, ob die Batterien schon geladen sind und von Schlaf ist keine Rede …
Samstag, 17. Januar
Ich glaube, ich habe nun doch im ganzen etwa vier Stunden geschlafen. Ein kurzes Stück noch seit etwa halb fünf, dann piepste der Wecker. Ob wohl noch jemand anderes im Ibis auch auf den Bus wartet? Ich bestelle mir nur einen Kaffee und Brot. Vor lauter Aufregung habe ich überhaupt keinen Hunger. Heimlich freue ich mich über meinen Geburtstag, von dem niemand etwas weiss!
Um 20 vor acht habe ich den Schlüssel abgegeben und meine Reisetasche vor der Hoteltür deponiert. Der Taxichauffeur hat vorgestern gesagt, dass der grosse Bus mich dann abholen komme. Es gesellt sich noch eine junge Frau zu mir, die auch einen AAT King-Anhänger an ihrem Gepäck hat. Es ist Hilde aus Holland. Genau um viertel vor fährt ein Kleinbus vor. Aber wenn die Hälfte meiner Mitreisenden 15 Deutsche sind, müsste es ein grösserer Bus sein. Zögernd zeige ich dem Chauffeur meinen Voucher. Er telefoniert noch irgendwohin, aber er hat meinen Namen nirgends. Er würde uns aber trotzdem mitnehmen. Wohin denn wohl? Wir warten lieber noch und er fährt ab. Gottseidank, fünf vor acht biegt ein richtiger grosser Bus, riesig angeschrieben mit AAT Kings in die Hoteleinfahrt ein und enthebt uns unserer Zweifel, denn sie haben unsere Namen zum Abhaken auf ihrer Liste. Der Engländer von vorgestern ist auch schon im Bus und ich setze mich mal zu ihm. Bevor wir vollzählig sind, fahren wir noch zwei weitere Hotels und irgend eine Bus- oder Bahnhofstation an. In der Reihe neben mir sitzt eine Gruppe Holländer, Deutsch habe ich bis jetzt jedoch nicht gehört.
Von der ersten Strecke durch hügeliges Gebiet mit vielen Eukalyptuswäldern bekomme ich nicht viel mit, ich bin viel zu beschäftigt, mich auf das zu konzentrieren, was uns Frances, die Reiseleiterin an Informationen und Regeln nahe bringen will. Von der Anschnallpflicht im Bus bis zur WC-Benützung, das Vorgehen beim Beziehen des Zeltplatzes und das Wechseln der Sitzplätze im Bus. Meine Güte! Ich bekomme etwa die Hälfte davon mit. Ich frage Ian, meinen Sitznachbarn und der kann mir recht gut helfen. Er erklärt mir kurz und mit einfachen Worten, bis ich klarer sehe. Kein Wunder dass er das kann, er war Lehrer.
Noch eine Frage? Frances kommt bei jedem persönlich vorbei und ich bitte sie, sich jedenfalls davon zu überzeugen, dass ich das Wichtigste wie zum Beispiel Abfahrtszeiten etc. mitbekomme. Sie klopft mir tröstend auf die Schulter und verspricht mir, dass ich schon nicht verloren gehen würde, sie werde ein Auge auf mich werfen. Kim, die Köchin bittet uns, auf einer Liste einzutragen, falls man eine Diät halten muss oder wenn man was wegen einer Allergie oder sonstigen Gründen nicht essen kann. Auf einer anderen Liste muss man für einen eventuellen Notfall eine Kontaktadresse von zuhause angeben. Neben dem Namen kommt auch das Geburtsdatum dazu. Da ich etwa auf dem drittvordersten Sitz bin, steht mein Name natürlich wieder fast zuoberst und alle andern können nun ihre Gwundernase stillen und sie sehen, wie alt ich heute werde. Und ich dachte, niemand wisse etwas davon!!!
Mittagsrast ist beim “Dog on the Tucker Box, 5 Miles from Gundagai”. Der Bus entlässt uns in ein sommerlich warm durchflutetes kleines Pärklein mit sirrenden Zikaden. Ein kioskartiges Restaurant, wo man sich mit kühlen Getränken, Sandwiches, Snacks und Souvenirs eindecken kann, ist bald ausverkauft. Die Geschichte vom Hund auf der Tuckerbox habe ich sicher nicht richtig verstanden. Doch Ian erklärt es mir nochmals im gleichen Sinn, dass vor fünfzig Jahren hier mal bei einem Znünihalt der Hund eines Lastwagenfahrers die Wurst seines Chefs bekommen oder gestohlen hat und dafür ein anderes, persönliches Dankeschön in der Lunchbox hinterlassen habe. Und deshalb ist der Hund heute noch so berühmt, weil ja wahrscheinlich in diesen Weiten des Inlandes nichts Wichtiges passiert, sodass man den kleinsten Scheiss in Liedform fasst, welcher dann langsam in den Fundus des Countrysongs eingeht und man deshalb dem Dog auf der Tuckerbox ein regelrechtes bronzenes Denkmal setzt und die Geschichte den Kindern und Kindeskindern weitererzählt.
Da ich Ian nicht mit meinen Fragen auf den Wecker gehen will, beziehe ich einen noch freien Zweiersitz, der Bus ist nämlich bei weitem nicht voll. Im Ganzen sind wir 31 und von den Deutschen habe ich bis jetzt nichts gehört. Eigentlich eher seltsam. Ich frage mal Fran nach den German peoples und sie will sich der Sache mal annehmen. Kurz darauf winkt vom vordersten Sitz eine Frau zu mir nach hinten. Beim nächsten Bisihalt will ich nun diese deutsche Frau kennen lernen. Sie heisst auch Hilda und ist aus Kanada und spricht etwa so gut Deutsch wie ich Englisch. Aber Jürgen, der Mann, der neben ihr sitzt, ist Deutscher. Nur wie sich herausstellt, klammert der sich schon an Hilda, weil er selbst fast überhaupt nichts versteht. So nützt der mir natürlich auch nichts. Also werde ich mich die nächsten Wochen wohl oder übel ein bisschen anstrengen müssen. So befasse ich mich eben mehr mit der Gegend, die wir durchfahren. Noch immer befinden wir uns in einem leicht hügeligen Gebiet der Great Dividing Ranges, welche die dichtbesiedelte Küste von den endlosen Weiten des Murray-Darling-Becken trennen. Weidende, dunkle Kühe finden ihr Futter auf mehr oder weniger grünen, mit Eukalyptusbäumen gespickten Weiden. Vor allem aber ist hier das Gebiet der Merino-Schafe. Wo das Grün zu weichen beginnt und sich nur noch sommertrockenes, blühendes Gras ausdehnt, finden diese Wollkugeln noch ihr gutes Fressen.
Wagga Wagga ist die zweite grössere Ortschaft auf unserer heutigen, 631 km langen Etappe. Fast muss man aber die Häuser suchen. Es sind wie in Amerika alles einstöckige Häuser, die eher an Caravanning Parks erinnern. Eine Hauptstrasse und vielleicht eine oder zwei Querstrassen. Mehr bekommt man aus unserer Fauteuilsicht nicht mit. Nichts von Hochhäusern und Prunkvillen, das ist wohl Sydney vorbehalten.
“Is it your birthday today?” fragt mich Fran geheimniswissend und gratuliert mir. Jetzt ist es doch heraus, aber sie sagt es niemandem weiter. Bis Darlington Point wird die Gegend merklich flacher und Peter, unser Fahrer lenkt den grossen Bus auf einen mit hohem Eukalyptus bestandenen Campingplatz ganz in der Nähe eines versteckten Flusses. Auch hier empfängt uns das schrille Sirren der Zikaden.
Zuallererst müssen nun alle helfen, die Küche auszuladen. Kim reicht jedem etwas aus dem Trailer herunter – Tische, Stühle, Abwaschtrog und Kühltruhen – alles hat seinen Platz. Kim braucht drei Tische, welche zusammen mit dem herunterklappbaren Gasgrill eine Art Tresen bilden, wo man das Essen fassen kann. 6 Esstische und 2 Harassen voll mit zusammenklappbaren Feldstühlen bilden das Esszimmer. Die Abwaschmaschine, ein Eisenrahmen, in welchen 3 Plastikbecken passen, steht neben dem Essplatz, wo jeder sein Geschirr selber vorspülen, abwaschen und nachspülen soll (aber bitte sauber!)
Bis alles ausgeräumt ist und Kim sich ans Kochen machen kann, ist Peter unterdessen am Zelteausladen. Fran schnappt sich eins und demonstriert nun erst mal den Aufbau. Man nimmt 4 Pecs (Heringe), einen Pole, das ist die Mittelstange bestehend aus zwei ineinander steckbare Stangen mit einer Feder in der Mitte. Dann entfaltet man das viermal zusammengefaltete Zelt, hämmert in jede Ecke einen Pec und steckt den Dorn des Poles in das Loch in der Mitte des stabilen Dachs, welches durch einen leichten Aluminiumrahmen von etwa 75 cm im Quadrat dem Zelt die Form gibt
Jetzt können wir üben. Zelt Nummer sechs fällt mir in die Hände und Hilda ist an meiner Seite. Ich hab es eigentlich schon geschnallt wie es geht, aber es ist ja trotzdem nett von ihr. Sie hilft mir einen Platz aussuchen, möglichst nicht unter morschen Ästen und haut die Pecs ein. Wie der Blitz steht das Zelt und jetzt räumt sie neben meiner, auch noch ihre Matratze ein. Aha? – Nein, eigentlich habe ich für mich allein ein Zelt gebucht. Ich habe meinen Voucher noch, den wollte die Reiseleiterin am Morgen nicht und dort steht ziemlich deutlich: Einzelzelt. Auf Fran’s Liste aber figuriere ich und Hilda als “share”, was meint, dass wir je ein Zelt mit jemandem teilen. Zum Glück bestätigt Hilda das deutsche Wort “Einzelzelt”. Da niemand anders mehr da ist der teilt, hat Hilda natürlich den Vorteil, auch allein ein Zelt zu besitzen. Zu zweit ist auch ihr Zelt schnell bezugsbereit. Und ich habe gedacht, der Deutsche sei ihr Mann!
Inzwischen hat Kim Gemüse gerüstet und den Grill eingeheizt. Riesendinger von Steaks werden gebraten. Ein halbe Stunde vor dem Nachtessen ist happy hour. Chips und Dips mit verschiedenen Saucen, Orangen-, Apfelsaft und Weiss- und Rotwein, der Weisse ist crispy dry white. Also nicht nur trocken, sondern auch knusprig. Dafür ist der Rote ein Lambrusco, der ist mir zu süss.
Fran verteilt allen Anstecknamen, aber bitte nicht den eigenen. Dann geht’s auf die Suche nach der Person, dem die Nadel gehört. Ich habe diese von Barry. Er kommt aus England und ist Rentner und allein unterwegs. Bis ich Barry gefunden habe, haben mir ein paar andere Männer ihre Namen verraten und ich probiere eifrig, mir diese zu merken. Aber bei 31 Personen, das schaffe ich nicht.
Ich staune, was Kim in ihrer kleinen Kochnische gezaubert hat: es gibt wie gesagt, so ein Riesensteak, dazu Kartoffeln in der Folie mit Sauercream, grüne Bohnen, Rüebli und Zuckermais.
Am Tisch beim Nachtessen sitzen gerade neben mir Teresa und John aus Irland. Sie sind erst heute früh gelandet und dementsprechend müde. Teresa hat ganz geschwollene Füsse und freut sich aufs Liegen.
Zum Schluss braue ich mir noch einen mitgebrachten Roibus Tee, ich möchte mir heute Nacht nämlich den Schlaf nicht verderben. Mit Kaffee und Tee kann man sich bedienen, solange die Wassermaschine in Betrieb ist. Nur ja nicht einen nassen Löffel benützen fürs Kaffeepulver! Ich bin gerade am Teebeutel schwenken, da kommt Fran und Kim um die Ecke mit einer ganzen Platte voll Kuchenschnitten und zwei brennenden Wunderkerzen.
“Happy birthday, dear Rita…” Welche Überraschung! Jetzt muss ich natürlich mit der Platte in die Runde und von überall wird mir gratuliert, einmal sogar zum Fünfundzwanzigsten.
Bald wird es dunkel und ich bin gespannt darauf, wie es sich im Zelt schlafen lässt. Links und rechts ist je ein Fenster aus einem Moskitonetz, darüber eine Blache, welche ich hochgerollt habe und ich geniesse die frische Nachtluft und das Rauschen der Bäume. Die Zikaden haben ihr Konzert eingestellt. Die andern sind auch alle bald in ihren Zelten verschwunden und schon hört man von da und dort etwelche Schnarchgeräusche. Nach etwa einer halben Stunde mehr oder weniger süssem Schlummer bin ich wieder hellwach, weil nun mein rechter Arm schläft. Es ist schon verdammt hart auf dieser dünnen Matratze. Während ich mich wälze, höre ich ein leichtes pfeifendes Geräusch von entweichender Luft. Das ist wieder typisch! Ich habe prompt vergessen, das Ventil zu schliessen. Eigentlich ist dies ein geniales Patent. Wir haben in einem grünen Sack eine Rolle bekommen mit einem Durchmesser von etwa 20 cm. Darin, fein säuberlich zusammengerollt ist die Matratze. In einer Ecke besitzt sie ein Ventil, welches man eine halbe Umdrehung öffnen muss und der Spezialschaumgummi saugt sich selbständig in kurzer Zeit mit Luft voll. Man sollte dann aber eben nicht vergessen, dieser ihren Fluchtweg wieder zu abzuschneiden, sonst siehe oben.
Und ich geniesse immer noch die Nachtluft, dabei wäre es doch wirklich bald an der Zeit, dass ich schlafen sollte. Etwa zehn Meter entfernt im nächsten Zelt hat’s auch aufgehört zu schnarchen, dafür schwatzen die Beiden und geben sich nicht mal Mühe zu tuscheln. Bestimmt ist da auch der Jetlag schuld. Nach einer weiteren Schnarchrunde beginnen sie zu packen. Es ist inzwischen fast fünf Uhr und ich geniesse immer noch die Nachtluft.
Sonntag 18. Januar 2004
Langsam verliert der Himmel seine Schwärze, dafür verschwindet der feine Glanz auf den Blättern, welcher vom Widerschein des brennenden Lichts drüben am Trailer herrührt. Ihre Silhouetten beginnen sich wie ein Scherenschnitt auf dem immer heller werdenden Hintergrund abzuzeichnen. Um sechs Uhr ist Tagwache und prompt schlafe ich vorher noch für eine halbe Stunde endlich ein. Dies nur, damit ich die Weckfunktion an meiner neuen Armbanduhr austesten kann.
Der Aufbruch-Stundenplan zum Weiterziehen ist 6-7-8. Das heisst: um 6 Uhr ist Aufstehen, Zelte zusammenräumen und Gepäck einladen, 7 ist Frühstück und Küche, Tisch und Stühle zusammenpacken und 8 ist Abfahrt. Ein paar weisse Kakadus beobachten uns beim Abwaschen und wünschen uns krächzend eine gute Reise. Diese geht weiter über nun ziemlich ebene Weiten mit dürrem, gelbem Gras, gespickt mit olivfarbigen Bäumen. In einem lichten Eukalyptuswäldchen huschen die ersten Emus davon.
Ein Kaffeestop ist fällig und wir halten an einem Schafscherer-Museum. Wir können sogar einer solchen Schur beiwohnen. In einem Schuppen warten ein paar Schafe mit dickem Pelz auf Zuschauer, um die Prozedur vor aller Augen über sich ergehen zu lassen. Der Scherer demonstriert verschiedene Methoden mit elektrischer Rasur, sowie mit der guten alten Schere. Mit der Elektrorasur rückt man dem armen Schaf schon näher auf den Pelz. Von meiner Position aus sehe ich, dass der Scherer das arme Tier sogar zu tief erwischt hat, sodass es blutet. Trotzdem hält es mäuschenstill. Der Typ schafft es aber hervorragend, das Missgeschick immer irgendwie hinter seinem Bein zu verstecken, damit man es nicht sehen sollte. Die ganze Prozedur erinnert mich sehr an jene Szenen im Film der Dornenvögel.
Beim Weiterfahren verändert sich die Kulisse wieder langsam. Wohl ist es die Nähe des Murray Rivers, von welchem das ganze Gebiet profitiert. überall reichen Bewässerungskanäle weit ins Land hinein und entsprechend grün sieht auch die Landschaft aus. Immense Maisfelder erstrecken sich am Horizont und überdimensionierte Bewässerungsarme auf Rollen, die sicher 200 Meter lang sind, sorgen für flächendeckenden Regen. Ab und zu verrät ein markantes Eingangstor oder eine Abzweigung, dass man hier zu einer Farm gelangt. Hells Gate oder Ernas Waterhole heisst es dann so auf einer grossen Tafel und wenn man weit übers Land blickt, kann man in der Ferne vielleicht ein Dach erkennen, das sich im Schutz von einer Gruppe von Bäumen im Schatten versteckt.
Um die Mittagszeit fährt Peter auf einen Rastplatz. Man kann nicht sagen, ob ein Dorf anfängt, oder ob einfach zwei, drei Häuser irgendwo in der Landschaft stehen. Der Ort ist irgendwie bekannt für seine Frösche und darum hat es auch einen Ausstellungs- oder Informationsraum hier. Wichtiger für uns sind neben öffentlichen Toiletten, auch zwei gedeckte Sitzplätze. Auf einem Tisch im Schatten hat Kim im Nu ein Buffet aufgebaut. Eine grosse Kühltruhe aus dem Trailer birgt erfrischende Herrlichkeiten, frischen, saftigen Schinken, vier verschiedene Salate und die schwammigen, amerikanischen Brötchen. Der Kanister mit gekühltem Wasser steht bereit und damit es nicht so langweilig schmeckt, kann man einen grünen Sirup beimischen.
Nach einer Stunde Ausruhen im gepflegten Rasen am Schatten oder beim Füttern der Rabenvögel (eine Elstern-Art), geht’s frisch gestärkt wieder weiter. Der Abfallsack mit dem Einweggeschirr und den Salatresten bereichert nun den grossen Abfallcontainer.
Unternehmungslustig will Fran uns herausfordern. Sie stellt sich vor und erzählt uns in etwa ihren Lebenslauf, wie man ihn eben in einem Bewerbungsschreiben machen würde. Dann drückt sie dem Nächstsitzenden das Mikro in die Hand. Dieser fühlt sich gerade etwas überrumpelt und sagt schnell seinen Namen und von wo er kommt und gibt weiter. Alle, in Reichweite geben so gerade nicht mehr als ihren Namen übers Mikrofon bekannt. Fran sieht ziemlich beleidigt aus, als sie das Kabel wieder einrollt, sich auf ihren Klappsitz vorn links neben dem Fahrer zurückzieht und eine gute Stunde schmollt. Jedenfalls ist nichts mehr von ihr zu hören. Sie hätte im Moment vielleicht auch nicht viel über den buschigen Eukalyptuswald zu erzählen, der draussen vorbeizieht.
Dann kommen schon die ersten Reben. Man kann gut die langen, gelben Trauben sehen. Auf Eisenprofilen befestigte Plastikfolie deckt die langen Reihen ab. Jetzt greift Fran wieder zum Mikrofon und erzählt etwas über das Rebbaugebiet und behauptet, der Plastik schütze vor der nächtlichen Feuchtigkeit. (?) Dabei dachte ich, dass hier schon bald die Wüste beginnt, worauf auch grosse Zitrusplantagen hindeuten.
Mildura ist ein grösserer Ort, dessen bemerkenswerte Hauptstrasse im breiten Mittelstreifen mit blühenden Bäumen und Büschen bepflanzt ist. An seiner Peripherie biegen wir auf den Parkplatz eines grossen Einkaufszentrums vor einem “Woolworths” ein. Der Wunsch, irgendwo ein Kopfkissen einkaufen zu können, ist nicht nur einmal kundgeworden. Obwohl heute Sonntag ist, herrscht hier ein Betrieb wie in einem Bienenhaus.
Mein Deo ist schnell gepostet und so warte ich mit einer Glace am Schatten das Ende der halben Stunde ab. Der Mann mit dem Werner-Bart hat wohl seine Sachen auch schon und ich frage ihn nach seinem Namen. Frank kommt aus Kanada. Er bleibt nur bis Darwin. Bei der Frage, wie er von dort heim fliegt, wird mir bewusst, dass wir uns ja am andern Ende der Welt befinden und dass sein Heimweg in der anderen Richtung über den Pazifik näher ist. Ich habe mir vorgenommen, mir jeden Tag zwei oder drei Namen aufzuschreiben mit dem Vermerk, von wo die betreffende Person kommt. Dabei habe ich gemerkt, dass ich nicht nur den Namen aufschreiben darf. Das hat bei Mike nicht geklappt. Jetzt weiss ich nämlich nicht mehr, wer der Mike ist. Also schreibe ich bei Frank noch Bart hin, dass er Kanadier ist und in Darwin aussteigt. Alan ist Brillenträger und hat Tattoos an den Armen, Rob ist der Dickste, Maurice der Grösste. So hoffe ich, mir die Namen Aller bis Sydney merken zu können.
Von der Einkaufstour kommt nicht nur Kim mit einem vollen Einkaufswagen zum Bus zurück. Ein Bild für Götter: fast alle Männer kommen mit einem Kissen unter dem Arm daher!
Wir nähern uns schon der Grenze zu South Australia. Gelbe Korn- oder sind es schon Stoppelfelder? haben die Maisanbauflächen abgelöst. Fran hat uns schon vor dem Shoppinghalt gewarnt, keine Früchte einzukaufen, oder diese allenfalls vor dem Grenzübertritt zu essen. Es ist strengstens verboten, irgendwelche Früchte oder Gemüse über die Grenze zu bringen. Um dies zu kontrollieren würden sogar Suchhunde eingesetzt. Die Südstaatler scheinen einen Horror vor New South wales’schen oder Viktorianischen Fliegen zu haben. Kim sammelt in einem Plastiksack alle allfälligen Bananenschalen, Apfelbütschgis und ähnliches ein. Bei der Grenzkontrolle holt sie auch aus dem Trailer noch ein Kistchen mit nicht aufgebrauchtem Gemüse – und alles kommt in den Abfall. Ich frage mich, ob die Fliegen die herumsurren, die Grenze auch so deutlich erkennen und wissen, dass sie nicht durch den überdimensionierten, als riesiges Tor dargestellten Dunlop-Reifen fliegen dürfen. Auch die Uhr müssen wir hier in South Australia eine halbe Stunde zurückstellen, nicht eine Ganze. Ich glaube, das ist auch einmalig in der Zeitzonen-Einteilung.
Beim Einchecken auf dem Zeltplatz in Renmark steht für uns ein Harrass frisches, nicht fliegenverseuchtes südaustralisches Gemüse und Eiswürfel für die Kühlboxen bereit. Hochbeinige, schwarze Hühner, purple swampheads, was glaube ich soviel wie purpurne Sumpfköpfe heisst, fliehen vor unserem mehrrädrigen Monster und schauen aus sicherer Distanz zu, was da innerhalb der nächsten halben Stunde vor sich geht. Erst werden Tische, Stühle und Kühlboxen aufgestellt, dann plumpsen auf der andern Seite des Trailers grosse, flache Pakete auf den Boden. Dann wird gehämmert und flupp – flupp – flupp – wie Pilze die aus dem Boden schiessen, stehen plötzlich dichtgedrängt auf einem Rasenviereck 20 Zelte, während in der Kochnische schon bald eine Riesenportion Spaghettis hergezaubert wird.
In einer Stunde ist happy hour. Das reicht, um mein Hemd und Unterhosen auszuwaschen und bis ich von meiner Erkundungstour am nahen Murray River-Ufer wieder zurückkomme, wo wie vergiftet Wasserski gefahren wird, ist auch das Ganze schon wieder trocken. Sie bewährt sich, meine aus einer Gummischnur gedrillte Wäscheleine, die ich mit zwei Karabinerhaken problemlos zwischen zwei Eukalyptusbäumen hinter meinem Zelt aufgespannt habe.
Beim Nachtessen kann ich gerade noch ein bisschen Holländisch lernen. Ausser Hilde sind noch fünf andere Holländer dabei. Ria und Renz, welcher von seinem Hobby erzählt. Er sammelt Kugelschreiber und ist happy über jenen mit der Aufschrift Hotel Ibis, den ich mitgenommen habe und der genau eine Seite lang geschrieben hat. Ich hab ihn schon in den Abfallsack geworfen und zum Glück hat ihn Peter beim Putzen nicht entdeckt. Es ist ein australisches Produkt, das erkennt Renz an einem kleinen Zeichen am “Drücker”. Ich bekomme dafür einen Opel-Schreiber, den er doppelt und zum Tauschen mitgebracht hat. Dann sind noch Nel und Andreas, die Raucher. Sie sind bei einem Busstop immer bei den Ersten, die aussteigen und Suzanne. Diese fünf haben sich in London an ihren AAT-Kings-Etiketten erkannt und ich glaube Ria und Renz waren ziemlich glücklich, denn sie können auch fast kein Englisch. Da ist Suzanne für sie als Translater hochwillkommen. Zum Glück kann sie auch etwas Deutsch und sie hilft auch mir manchmal.
Meine Fotobatterie ist immer noch am Laden, darum probiere ich, die holländische Runde zu einem Hornochsenspiel zu animieren. Doch die Begeisterung ist so riesig, dass ich das Spiel glaube ich zuunterst in der Tasche versorgen kann. Vielleicht sind einfach alle auch müde, genau wie ich. Jedenfalls warte ich sehnlichst ich, bis das rote Lämpchen am Charger erlischt.
Montag 19. Januar 2004
Man stelle sich vor, ich habe heute 7 1/2 Stunden geschlafen! Gestern habe ich mal zusammengezählt und bin auf total acht Stunden Schlaf gekommen, seit ich am Mittwoch abgereist bin und heute ist Montag. Ian hat gemeint, man müsse pro Stunde Zeitverschiebung einen Tag Jetlag rechnen. Na prost… dann sind das 10 Tage! Im Bus will und kann ich jedenfalls nicht schlafen, ich hätte immer das Gefühl, ich verpasse da etwas. Im Moment wären es ausgedehnte Weinberge. Auf unserem Programm steht der Besuch eines Weingutes im Barossa Valey. Es sind ursprünglich Deutsche Siedler, die dieses Tal “erobert” haben und es langsam in ein Weinparadies verwandelten. Man sieht das Deutsche hier manchmal sogar am speziellen Baustil der Häuser. Die geschichtlichen Hintergründe und das langsame Werden des Australischen Weins im vergangenen Jahrhundert wird uns in einem Video nähergebracht. Das Ziel unserer Exkursion ist im Hof des Chateau Yaldara. Mit Zinnen und Türmchen sieht dieses Weingut auch richtig aus wie ein Schloss. Von dort werden wir von einer netten Dame abgeholt, die uns nun durch den ganzen Betrieb führt. Angefangen bei den wunderschön geschnitzten Eichenfässern, dann geht’s in ein anderes Lager, wo auch Wein in Eichenfässern lagert und die andern wissen jetzt alle über das Lagern des Weins in Fässern Bescheid. Wie lange diese im Einsatz sind, wer sie macht und sicher noch vieles andere mehr, was mir leider verborgen bleibt. Ich erfreue mich über die Fass- und Flaschenperspektiven und im Nu sind wir auch schon im Degustationsraum angelangt. Da geht’s jetzt ans probieren von Schaumwein, weissen und roten Erzeugnissen dieser Gegend. Der Shiraz schmeckt mir sehr gut. Zum Schluss, als Dessert gibt’s noch einen Schluck Port und Ian neben mir kommt ins Schwärmen. Er erzählt von den englischen Clubs (eben dort, wo ja die Frauen nichts zu suchen haben, wie ich nicht verkneifen kann, einzuwerfen). Da giesse man den Port in einen Laib Bluecheese und das trinke man dann. Er verdreht beim Wort Bluecheese förmlich die Augen und ich stelle mir das wieder mal so lebhaft vor, dass ich mir fest vornehme, das zuhause auszuprobieren. Also muss neben dem Shiraz auch noch eine so schöne schlanke, versiegelte Flasche Yaldarischer Port mitkommen (dabei habe ich letzten Monat eine ganze neue Flasche feinen Pousada Port bekommen.)
Lustig geht’s weiter über Gawler und schon bald erreichen wir Adelaide. In der Peripherie scheinen sämtliche Autohändler von ganz Australien angesiedelt zu sein. Auch hier sind die mit bunten Wimpeln bekränzten Ausstellungsplätze in Mode.
Damit wir einen ersten Eindruck dieser Stadt erhalten, gibt’s einen kurzen Fotostop beim Denkmals des Stadtgründers Light, wo man den besten Blick auf die Skyline der Stadt hat. Dann geht’s als kleine private Sightseeing Tour hinein in die Hauptstrassen, vorbei an wichtigen und markanten Punkten, mit Hinweisen wo man die Endstation des Trams zum Strand findet, wo’s die weltbeste Glacé gibt und wo man gratis im Internet surfen kann. Das ist für die Orientierung recht hilfreich, auch heute Nachmittag beim freien Ausgang, um das Hotel wieder besser zu finden.
Ja, wir haben für heute nämlich ein Hotel und können den Komfort einer käferfreien Dusche und einer funktionierenden Klimaanlage geniessen. Ein Problem hat nun Frances. Die Zimmerschlüssel sind vorbestellt und nach Namen eingeteilt. Da ich unter “share” figuriere, habe ich zusammen mit Kanada Hilda ein Zimmer. Falls ich auf ein Einzelzimmer bestehe, müsste ich und natürlich auch Hilda einen Aufpreis zahlen. Ich habe da jetzt kein Problem, wenn Hilda mich trotz eventuellem Schnarchen akzeptiert….. Sie besorgt sich jetzt einfach eine zweite Schlüsselkarte, dann ist jede unabhängig. Hilda möchte zuerst mal in der Laundry nachschauen, ob die Möglichkeit besteht, eine Trommel voll zu waschen. Doch andere waren schneller. Nur eine Maschine können wir für unsere Buntwäsche, die von uns beiden gerade eine Charge gibt, füllen. Für etwa drei Viertelstunden haben wir jetzt gerade Zeit, etwas zwischen die Zähne zu kriegen. Wir finden ein ansprechendes Lokal, wo wir uns bei Sandwich und Salat ein bisschen austauschen können. Hilda ist anfangs vierzig, Lehrerin und sie unterrichtet Primarschüler. Schade, dass ich mich nie recht getraue, auch Fragen zu stellen. Jetzt, wo ich den Bericht schreibe, weiss ich nämlich nicht genau, warum sie eine so lange Auszeit für ihren Australien Aufenthalt nehmen konnte, dass sie erst wieder mit dem neuen Schuljahr mit der Arbeit beginnen muss. Vielleicht hat sie es mir ja gesagt und ich habe es einfach nicht richtig verstanden. Dafür ist sie bereit, mich ins Internetkaffee mitzunehmen und erklärt mir in etwa, wie es dort so funktioniert. An einem fremden Compi bin ich nämlich noch nie gesessen, ausser am letzten Freitag im Hotel. Zuerst jedoch zurück zur Waschmaschine. Wir kommen gerade rechtzeitig um den Tumbler zu laden. Und Emma hat schon die Maschine wieder in Beschlag. Doch sie ist bereit, auch noch Hildas weisse Sachen mitzuwaschen. Ungeniert schmeisst sie am Schluss noch ihre dunkelblauen langen Hosen in die Maschine – zur Weisswäsche. Ob das gut kommt? Wieder haben wir eine knappe Stunde Zeit, um diesmal die Bibliothek aufzusuchen. In Bibliotheken ist surfen mancherorts gratis. Das merkt man auch, denn in dem grossen Computerraum, wo sicher 20 bis 25 Maschinen stehen, ist alles besetzt. Nicht alle sind gratis, hiefür sind zwei Maschinen reserviert und man muss den Platz nach zwanzig Minuten wieder räumen. Man kann sich auch einschreiben auf einen bestimmten Termin und dort bezahlt man dann einfach die Zeit, die man im Netz ist. Im ersten Stock hat es nochmals einen Raum, aber auch dort ist alles belegt. Um fünf Uhr könnten wir uns einschreiben, oder man wartet einfach bei den Gratismaschinen bis eine frei wird. Weil dort niemand in der Schlange wartet, entschliessen wir uns, es dort zu probieren und haben schon bald Erfolg. Ich habe mir ein Mail zurechtgelegt und aufgeschrieben, welches ich an neun Adressen gleichzeitig senden will. Nur scheitere ich da jetzt schon bei den Adressen. Muss ich jetzt ein Komma, einen Leerschlag oder ein Semikolon machen zwischen den einzelnen Adressen? Daheim macht’s der Compi selber, weil ich die Adressen aus dem Adressbuch nehme und nicht mühsam eintöggeln muss. Also, bekommt halt nur Margrit eins mit einer Kopie an Marei. Dass in meiner Mailbox sechs Mails auf mich warten sehe ich schon, doch die getraue ich mich jetzt nicht zu öffnen. Nur schon, weil ich die Zeit fast aufbrauche, bis ich mein Mail geschrieben habe. Vielleicht habe ich das nächste mal mehr Mut. Es würde mich ja schon wunder nehmen. Ich weiss genau, dass es Geburtstagsgrüsse sind.
Inzwischen hat Hilda schon die zweite Maschine voll in den Tumbler gegeben. Die blauen Hosen waren doch nicht so gut und sie ist schon etwas enttäuscht über ihre nun nicht mehr ganz blütenweissen T-Shirts. Sie nützt die Wartezeit jetzt noch, um ihren Koffer umzupacken. Man bringt schon ein Durcheinander da hinein, wenn man jeden Tag ein- und auspacken muss. Zudem hat ihr eine Freundin zum Abschied noch ein Geschenk mitgegeben. Lieb ja schon, aber auch etwas voluminös und das muss jetzt auch einfach die ganze Reise mit dabei sein.
Meine Batterien sind in der Zwischenzeit wieder aufgeladen und auch ich probiere, in meiner Reisetasche mehr Platz zu schaffen – ein schwieriges Unterfangen. Jetzt sind nämlich dort noch zwei Flaschen, die gut gepolstert einfach ihren Platzanteil beanspruchen. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Alles wegen der Vorstellung von Portwein in einem Bluecheese! Ich nehme mir vor, dass jedenfalls der Shiraz nicht sehr viel älter werden soll. Geschüttelt wird der ja auch den ganzen Tag. Da Hilda noch auf ihre Wäsche wartet, mache ich mich schon mal allein auf die Socken, die Stadt zu erkunden. Es hat einen botanischen Garten, welcher mich für einen Besuch locken würde. Vorbei an Universität und Spital, kann ich auch ein Foto vom Ayers House machen, wo einst Henry Ayer, nach dem auch der Ayers Rock benannt wurde, gewohnt hat. Heute ist es ein Museum und Restaurant. Das Haus aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts erinnert einem fast eher an eine mehrstöckige viereckige Torte. Eine friedliche Ruhe empfängt mich im botanischen Garten. Zwei, drei Leute treffe ich dort an, jedoch ist das Glashaus mit dem tropischen Regenwald schon geschlossen. Vielleicht erlebe ich ja auf meiner Reise noch Regenwald. Ich habe jedenfalls so etwas im Programm gesehen. So erfreue ich mich eben vorerst an den schönen, grossen, fremdländischen Bäumen und Palmen und bin auch schon bald wieder draussen. Die Bundle Mall, die Einkaufsstrasse in der Fussgängerzone will ich noch inspizieren. Doch ich komme auch hier bereits zu spät, überall wird eben dicht gemacht. Es ist sechs Uhr, Feierabend.
Nachtessen ist heute auch individuell. Haben sie jetzt nicht gesagt, dass draussen am Strand viele gemütliche Beizlein zu finden seien? Man komme mit dem nostalgischen Tram dorthin. Vielleicht treffe ich dort noch jemanden von unserer Gruppe. Die Endstation finde ich dank der Informationstour gut und schon bald kommt das nächste Rütteltram angefahren. Das Billet kann man beim Schaffner lösen und los geht eine fast abenteuerliche Fahrt geradeaus, Richtung untergehende Sonne. Ich habe mir gedacht, dass diese Tramfahrt so eine Art Nostalgiegag sei, die einfach zu einem Besuch von Adelaide gehört. Zum Strand, das kann doch nicht so weit sein. Doch die alte Tante Schuggi fährt und rüttelt und pustet und bimmelt nun schon eine ganze Viertelstunde und noch immer ist kein Meer in Sicht. Endlich, nach fast einer halben Stunde habe ich’s erlebt. Ich bin am Strand. Bei der Haltestelle eine Kirche, ein Denkmal für die ersten Siedler die hier gelandet sind, Hotelkästen und ein langer Pier. Gemütliche Beizlein? Wenn die diesen Hamburger- McDonald- und Pizza-take-away-Läden hier mit den paar Bistrotischchen auf dem Trottoir und dem Saulärm gemütlich sagen…. Ich irre einmal um den nächsten Block und gelange total ins Abseits. In der ersten Querstrasse gerade bei der Tramstation gibt’s nicht Hamburger, sondern etwas Mexikanisches. Saulärm auch hier, aber schliesslich will ich etwas essen. Also setze ich mich halt hier inmitten pulsierendem Kommen und Gehen, eingequetscht von vorn und hinten, an ein Bistrotischchen und führe mir eine spicy bis hote gerollte mexikanische Spezialität zu Gemüte.
Noch scheint die Sonne mit ihren letzten goldenen Strahlen und dem Tram, welches ich Richtung Stadt nehmen will, entsteigen sie nun, die Kameraden, die ich vorher gebraucht hätte. Vielleicht enjoyen die sich mehr als ich. Na ja, sie sind auch noch jung und nicht schon sechzig!
Hilda kommt nicht sehr viel später heim als ich. Wir schwatzen noch eine kleine Runde, aber noch bevor sie wieder aus dem Badezimmer kommt, bin ich trotz des Lärms der Airconditon schon im Reich der Träume.
Dienstag 20. Januar 2004
Wir verlassen Adelaide auf der Küstenstrasse Richtung Norden, wo lange Reihen von weissen Salzhäufen der Saline am Meeresgestade hindrapiert sind. Es heisst, dass hinter Adelaide das Outback anfängt. Ich meinte, Outback sei auch eine Art Wüste, welche man aber unter strapaziösen Bedingungen dennoch irgendwie bewirtschaften kann. Die weiten Kornfelder, an denen wir jetzt vorbeifahren, sehen jedoch überhaupt nicht nach Wüste aus. Gelb und reif das Getreide, umrahmt mit grünen Bäumen und Büschen in der Ferne, erfreut das Bild den Betrachter. Einöde kommt erst etwa zwei Stunden später. Verkrustende Salzseen und weite Ebenen mit niederem Buschwerk. Das Fressen vielleicht für Schafe und Ziegen. Eine Bahnlinie begleitet die Strasse in mehr oder weniger Abstand. Fran bestätigt meine Frage, ob hier der berühmte Nostalgiezug Ghan verkehre. Mit dem wäre ich gefahren, wenn ich die andere Reise mit Ruth gemacht hätte. Nur ist der Fahrplan nicht so dichtgedrängt. Wir sehen jedenfalls nie etwas von einem Zug. In Port Augusta verabschieden wir uns vom Meer und dem Stuart Highway, welcher seinen Weg mitten durch den Kontinent nach Norden sucht. Wir folgen einer andern Strasse, die beginnt, sich langsam in die Hügel der Flinders Ranges hinauf zu schlängeln. Range, das ist eine Bergkette, wie mir mein Duden verrät. Eine andere Bahnlinie begleitet uns hier. Dieses Stück bis Quorn ist sicherlich neu renoviert worden, genau wie der Bahnhof und man ist stolz auf die Pichi Richi Railway. Übers Wochenende fahren Nostalgiezüge mit der guten alten Dampflock und mit Rollmaterial, das bis zu 115 Jahre alt sei, über den Pichi Richi Pass. Da Januar ist und auch nicht Wochenende, können wir uns hier in Quorn über die Bahn nur via Prospekte ins Bild setzen. Kim hat uns Lunchboxen mit verschiedenem Salat und Schinken bereitgemacht, an welchen wir uns beim Bahnhof auf einem Picknick-Unterstand gütlich tun. Es reicht auch nachher noch für einen Dorfinspektions-Rundgang. Da hat man schnell das Dorf gesehen und schon ist man wieder zurück beim Bahnhof. Ein schönes altes Haus mit schmiedeeisernen Verzierungen an Balkon und Veranda, welches mich ans French Quarter in New Orleans erinnert, muss ich auf meinem Chip mit heim nehmen. Und in das kleine Bankmuseum gerade an der Ecke, stecke ich meine Nase auch hinein. Es ist angeschrieben “Museum open”. Man tritt einer netten Frau wirklich direkt in ihre Wohnung hinein. Sie ist am Wischen. Das Museum ist ein Anbau, den man über ihre Wohnungstür erreicht, dort wo einst eben die Bank war. Ein Kunstmaler hat da seine Werke ausgestellt, die Möblierung ist schon antik, aber nicht was ich mir unter Bankmobiliar vorstellen würde. Das, was wohl das Prunkstück des Museums ist, sehe ich gerade im letzten Moment beim hinaus gehen, einen grosser Panzerschrank mit eindrücklichem Sicherheitsschloss. Hilde und Fran, die auch hereingekommen sind, plaudern noch ein paar Worte mit der Frau und ich trage meinen Namen wichtig in ihr aufgeschlagenes Gästebuch ein. Sie hat sicher Freude an einem Eintrag aus Switzerland.
Langsam werden die Berge höher, natürlich nur an australischen Vergleichen gemessen. Der höchste Punkt der Bergkette ist etwas über elfhundert Meter. In dem lockeren Zypressen-Pinienwald leben viele Kängurus und Strausse, behauptet Fran. Diese jedoch halten sich gut versteckt, wir sehen nichts.
Und schon sind wir am Ziel unserer heutigen Etappe angelangt. Es waren heute 455 Kilometer bis zum Wilpena Pound in einem Nationalpark-Gebiet. Beim Visitor Center kann man sich Informationen holen, etwas weiter hinten ist das Restaurant und die Rezeption und auch der Pool. Überall sind gut markierte Wanderpfade. So wird man orientiert, während wir tiefer in das Wäldchen hineinfahren. Dann hält der Bus bei einem gedeckten Sitzplatz, wo Dusch- und WC-Anlagen mit Laundry in der Nähe sind und der speziell für Busse reserviert ist. Es ist heiss und der Boden staubig und hart, wo man die Heringe einschlagen muss. Die ersten Kängurus lassen sich blicken und kommen schon ganz gwundrig den Hügel herunter. Beim Sitzplatz hat es Steckdosen und die benutze ich gerade immer, um die Batterien aufzuladen. Nachher will ich auf Erkundungstour, vielleicht gibt’s ein Kängurufoto aus der Nähe.
Wo habe ich jetzt bloss meine Sonnenbrille? Voreilig habe ich meine normale Brille ausgezogen und irgendwo auf der Matratze deponiert, wo ich beim Suchen dann wahrscheinlich draufgestanden oder gesessen bin. Was ich nämlich jetzt auf die Nase setzen will, befremdet doch ziemlich. Hoffentlich hält die das aus, wenn man sie wieder zurückbiegt. Erst jetzt sehe ich, dass auch noch ein Glas fehlt. Hilda sagt, dass es schon gefehlt habe, als sie mich aus dem Zelt kommen sah. Deshalb war meine Sicht so fantastisch. Jetzt helfen mir die Wenigen, die noch nicht im Pool verschwunden sind, beim Suchen. Natürlich sehe ich ohne Brille auch nicht, ob das kleine Schräubchen auch fehlt, oder ob gar das Gestell gebrochen ist. Im Zelt wird Hilda fündig und Dug nimmt sich dem Schlamassel an. Peter bringt einen Satz Uhrmacherwerkzeug und mit seiner ruhigen Hand schafft es Dug, dass ich wieder sehen kann. Das war knapp. Aber eine neue Brille wird wohl das Erste sein, was ich daheim anschaffen muss. Charlene erlaubt mir, dass ich ihren Mann aus lauter Erleichterung und Dankbarkeit verküsse.
Auf diesen Schreck muss ich mich nun schon ein bisschen erholen. Zuerst einen Blick ins Vistor Center. Dort kann man so praktische Fliegennetzhüte kaufen, fürs Outback scheint’s ziemlich kommod. Ich entscheide mich aber nur für ein Netz. Das hält mir, über meine Turnfest-Dächlikappe gestülpt, die Biester auch vom Gesicht fern. Vor dem Haus treffe ich Frank, der eben von einem Spaziergang zurückkommt und von Kängurus schwärmt, die er fotografiert habe. Also gehe ich in die Richtung, in welche er deutet und tauche in einen schattigen Eukalyptuswald. Ich achte darauf, dass ich mich nicht allzu weit vom Camp entferne, denn in einer halben Stunde ist happy hour. Weiss schimmert die Rinde der Bäume. Beeindruckt staune ich ob uralten Bäumen, deren verknorpelte Stämme einen beachtlichen Umfang erreicht haben.
Schon lästig, diese penetranten Fliegen. Dauernd muss man mit den Händen vor dem Gesicht herum wedeln (dies sei übrigens der australische Gruss), sie lassen sich nicht verscheuchen. Sie surren in die Ohren, versuchen in die Nase zu krabbeln und fühlen sich scheinbar am glücklichsten, wenn sie auch von innen durch die Brille sehen dürfen. Ich packe meine Neuerwerbung aus und sie wirkt.
Schon komme ich wieder ins Gelände des Campgroundes. Es hat nicht nur unsere “Anlegestelle” mit überdecktem Sitzplatz und Duschanlage. Jeder Platz hat seine eigene Bezeichnung. Wegweiser führen einen zu den Libellen, den Fröschen, den Schmetterlingen und so fort. Ich habe wieder nicht aufgepasst, mit welchem Signet unser Platz bezeichnet ist. So nützen mir die Wegweiser wenig. Dem Gefühl nach müsste ich noch weiter links gehen. Dort vorn bewegt sich etwas. Es sind wirklich zwei Kängurus und sie lassen mich ganz nah an sich heran. Sie scheinen an die Leute gewöhnt zu sein und ich bin sicher nicht die Erste, die sie porträtiert. Sie bewegen sich wie im Zeitlupentempo, als wollten sie nicht schuld sein an einer verwackelten Aufnahme. Trotzdem behalten sie mich aufmerksam im Visier und bei jeder unbedachten Bewegung weichen sie dann ganz schnell zwei, drei Schritte, aufgestemmt auf ihren kraftvollen Schwanz, zurück. Nur schade, dass alles so im Schatten ist. Die Farbe ihres braunen Kleides vermischt sich ganz mit der Umgebung rings um sie her. Aber vielleicht kommt ja noch eine andere Gelegenheit, ein kontrastreicheres Bild von diesen kuriosen Tieren zu machen.
Die Richtung hat gestimmt und endlich sehe ich den weissen Bus durch die Bäume schimmern. Ich komme eben recht zum Apéro. Kim hat Lammcotelettes gemacht, Riesendinger, dazu Broccoli, Rüebli und Kartoffelgratin. Letzterer ist wahrscheinlich vorfabriziert, aber ich habe keine Ahnung, wo und wann sie diese Sachen jeweils einkauft.
Ich hole mir meinen Shiraz aus der Tasche. Erstens gibt’s dann dort Platz und zweitens wird er so nicht mehr länger geschüttelt. Nur, was mache ich jetzt mit der angefangenen Flasche? Wenn ich ihn im Bus ins Netz stelle, in welches der Abfallsack geklemmt ist, passiert vielleicht nichts. Ich könnte ihn natürlich teilen. Aber die finden ja den Lambrusco so gut. Das wäre ja direkt Perlen vor die Säue geworfen! Lieber nerve ich mich noch einen Tag oder zwei länger über meine glorreiche Idee, einen australischen Wein zu kaufen und sogar noch einen Port dazu, den man nicht mal einfach so trinken kann.
So lasse ich mir das Nachtessen schmecken. Die Portionen sind auch immer reichlich bemessen und auch diesmal sind sicher etwa 10 Koteletts übrig. Peter kommt mit dem Blech, wo alles immer in Alufolie schön warm gehalten wird und probiert, wenigstens das Fleisch loszuwerden. Das ist doch jammerschade, wenn das fortgeworfen werden muss. So lasse ich mich erweichen und obwohl ich ja schon mehr als genug gegessen habe, hätte vielleicht ein kleines Stück schon noch Platz. Während Peter mir also den kleinsten Fetzen herausfischt, der immer noch drei mal grösser ist als ein schweizerisches Lammkotelette, macht Barry eine Bemerkung und die ganze Runde prustet los. Was ist denn jetzt? Ich merke, dass ich irgendwie der Grund für ihre Erheiterung bin. “Ich will auch lachen, was ist so lustig?” Hilda erklärt mir, und das sagt sie jetzt auf deutsch: “Du hast Peter gefragt, ob er einen Kleinen habe!” Und Barry hat das dann hervorgestrichen, obwohl Peter mich schon so verstanden hat, wie ich das gemeint habe. Ach, wie peinlich! Ist mir aber egal. Wie man doch gewisse Dinge gelassen nehmen kann, wenn man endlich sechzig ist!
Nach dem Nachtessen frönt Jürgen, der Deutsche, so um die fünfzig, noch etwas seinem Hobby, dem Bumerang werfen. Er hat eine ganze Auswahl dieser Wurfgeräte bei sich. Selbstgefertigte und nicht nur die klassische, gekrümmte Form. Einer hat sogar drei Speichen. Er ist aktiver Bumerangwerfer, Deutscher und sogar zweifacher Schweizer Meister und noch mehrere andere Titel. Ich kann es mir nicht alles merken, auch wenn er es mir mehr als einmal nahegebracht hat. Er hat mich auch aufgeklärt, dass das Bumerangwerfen eine richtige Sportdisziplin ist. In Deutschland gibt es etwa 300 angefressene Mitglieder.
Weil sich der Tag schon mit einem wunderschönen Abendrot von uns zu verabschieden beginnt, wird kein Foto von dem Champion in Action was Rechtes. Er ist zu weit weg und zu fest in Bewegung.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden und man sitzt gemütlich beisammen am Tisch. Es wird erzählt und geplaudert und ich bin einfach dabei. Den Konversationen kann ich nämlich nicht folgen. Da muss ich mich viel zu fest anstrengen und dazu bin ich einfach zu müde. Deshalb entgeht mir dafür nicht, dass der Bumerang Champion ganz kleinlaut und leise angeschlichen kommt, um sich noch einen Schlummertrunk zu genehmigen. Ein Pflaster über seinem rechten Auge verdeckt das Schlimmste. Ist der Bumerang zurückgekommen? Also doch ein gefährlicher Sport! – Nein im Gegenteil, er musste ihn suchen gehen und dort hat es ihn umgehauen. Er sei auf einem Stein aufgeschlagen.
Mittwoch 21. Januar 2004
Es scheint, dass mein Jetlag nun überwunden ist. Ich habe wieder sieben Stunden geschlafen. Aufstehen um die Fensterblache dicht zu machen, brauchte ich auch nicht. Die Chance auf Regen stand 50 zu 50%. Weil ich mein Fenster nur im äussersten Notfall schliessen will, legte ich gestern mein Bett so quer ins Zelt, dass mein Kopf direkt unter der Schräge des Fensters lag. Falls sich da was täte, würde mich das Nass durch das feine Moskitonetz hindurch schon aufwecken.
Das Zusammenpacken schaffe ich nun schon einigermassen. Der Schlafsack, den wir am ersten Tag gefasst haben, wird eingerollt zusammen mit dem kleinen Kissen (ich hab meins von daheim mitgebracht) dem Piyama und dem seidenen Leintuch (das nicht soviel Platz braucht und federleicht ist). Zusammengerollt wird auch die sich selbst aufblasende Luftmatratze. Will man diese wieder in den dazugehörigen grünen Sack bekommen, muss man, während man alles unter den Knien einrollt, eben auch das Ventil wieder kurz öffnen, bis alle Luft entwichen ist. Die gepackte Tasche und die blaue und die grüne Rolle bringt man nun zum Bus, wo Peter eine grosse Blache ausgebreitet hat. Am besten nimmt man jetzt einen Besen und eine Schaufel mit, denn man hat eine Menge von diesem roten Staub ins Zelt geschleppt. Wenn ausgemistet ist, schiebt man mit einem festen Griff die Teleskopstange ein bisschen zusammen, und schon liegt die ganze Herrlichkeit am Boden. Das etwa einen Quadratmeter grosse Dach kippt man nun der Reihe nach auf jede der vier Seiten und streckt damit die vier Wände. So ist es am Schluss sauber zusammen gefaltet und man muss nur noch den Bodenteil zweimal übereinander schlagen. Heute ist abwischen wichtig, ehe man das Ganze in den flachen Sack stecken kann. Ich bin ganz stolz, dass ich ganz ohne Hilfe zurechtkomme und dabei noch lange nicht die Letzte bin, die die Heringe und Mittelstange zurückbringt. Aber auf mein Aussehen bin ich weniger stolz: voll mit rotem Staub. Dabei habe ich vor einer halben Stunde frische Kleider angezogen. Ein heimlicher Vergleich lässt mich staunen. Niemand ist so ein Schwein wie ich. Die tragen sogar weisse T-Shirts, piekfein und alles sauber!
Während die Zelte zusammengeräumt werden, ist Kim schon in der Küche am Wirken. Verschiedene Säfte werden bereit gemacht. Die Heisswassermaschine ist bereits in Betrieb und man kann schon jetzt Kaffee, Tee und Schokolade beziehen. Heute kommt Kim mit einer riesigen Schüssel voller Eiersauce fürs Rührei daher. Ausserdem hat’s immer vier verschiedene Flocken, Joghurt, Milch und Früchte, heute sind’s Bananen, gut für die Wanderung nachher.
Eine leichte Tour hinauf zum Aussichtspunkt von Wilpena Pound durch ein malerisches Euklyptuswäldchen. Der Boden ist übersät von all den Rindenstücken, die diese Bäume von sich werfen, fast wie Schlangen, die sich häuten. Es sieht aus, als ob die Rinde mit dem schnellen Wachstum des Baumstammes nicht Schritt halten kann, sodass die Haut zu eng wird und fortlaufend explodiert und erneuert wird. Die neuen hellen Stellen der schlanken Bäume und Äste leuchten in der Morgensonne wie Elfenbein.
In einer halben Stunde ist das Hochplateau erreicht. Sogar Nina schafft das mit ihren 5cm hohen Absätzen. Es ist ein bequemer Fussweg. Vom einstigen Farmhaus der Lady Hill geht dann schon eher ein Bergweg noch etwa zehn Minuten zu einem weiteren Aussichtspunkt. Es scheint der höchste Punkt, der St.Mary’s Peak zu sein. Es ist hier ein eigenartiges Phänomen zu sehen. Wie ein grosses Oval umschliessen zwei Bergketten ein bewaldetes Hochplateau. Es sieht aus wie ein Krater, stammt aber nicht von einem Meteoriteneinschlag, wie lange vermutet wurde, es wurde vielmehr aufgefaltet.
Die Geschichte der Ureinwohner aus der Traumzeit, die ich auf einem Bild in der Nähe des Aussichtspunkts gefunden habe aber erzählt von riesigen halbmenschlichen Kreaturen die am Anfang der Welt geschaffen wurden. Sie waren verantwortlich für die Bäche, Hügel, Schluchten und Berge in Australien. Eines der schönsten Teile der Flinders Ranges ist Ikara, (Wilpena Pound) und der wertvollste das Kohlegebiet Leigh Creek. Vor langer Zeit war ein alter Fischer genannt Yurlu, der im Westen in der Nähe des Kuyarn Territorium lebte. Yurlu reiste von Kakarlpunha, seiner Heimat nach Süden, um einer wichtigen Einweihungs-Zeremonie in Ikara beizuwohnen. Auf seinem Weg zündete Yurlu ein riesiges Signalfeuer an, um die Leute wissen zu lassen, dass er auf dem Weg zu der Zeremonie war. Die Holzkohle, die von diesem Feuer zurückgeblieben ist, bildete die Kohle in den Gruben von Leigh Creeek und verschiedene kleinere Ablagerungen an andern Orten auf dem Weg dorthin. Aborigines nannten es Yurlu’s Kohle, lange bevor überhaupt Weisse in dieses Land kamen.
Als Yurlu durch die Parachilna Schlucht kam, sah er zwei Akurra (kraftvolle Regenbogen-Schlangen), die in derselben Richtung wanderten. Yurlu erreichte Ikara, aber in der Zwischenzeit waren die beiden Schlangen durch den Edeowie Cap dorthin gelangt. Als Yurlu ankam, war die Zeremonie schon in vollem Gang. Die Akurra kamen in einem Wirbelwind mitten in die Zeremonie und fingen und frassen alle Leute, die sie finden konnten. Yurlu gelang aber die Flucht in den Süden. Die beiden Akurra aber waren so vollgefressen, dass sie nur noch sterben wollten. Ihre Körper bilden nun den Rand des Wilpena Pounds und man sagt, dass St.Marys Peak der Kopf der Ngaarrimudlunha, der weiblichen Akurra ist.
Ein Siedler namens Hill fand diesen Ort und war von seiner Fruchtbarkeit überzeugt. Zusammen mit seinen Söhnen machte er die Gegend urbar. Sie bauten in mühsamer Arbeit über Jahre eine Strasse, um ihre Produkte (soviel ich verstehe waren es Rinder oder etwa Holz?) aus dem Gebiet herauszubringen. Dann kamen dürre Jahre und sie beteten um Regen. An Weihnachten war ihr einziger Wunsch: Regen und er kam. Schlammlawinen rissen die Strasse mit und das war dann das Ende. Heute zeugt noch ein verrosteter Pflug und sonstiges Ackergerät rund um das verlassene Farmerhaus von der Geschichte, die auf Informationstafeln aufgeschrieben im Wald steht. Vom Bild der Regenbogenschlange mache ich ein Foto und probiere zuhause dann, den Text zu übersetzen.
Auf dem Heimweg remple ich Bill an, einen, dessen Namen ich mir noch nicht gemerkt habe. Er ist aus Kanada und ist auch einer der Einzelgänger. Am Schluss weiss er von mir, dass ich Zeichnerin bin und ich von ihm , dass er Imker ist, aber vollberuflich. Er produziert pro Jahr 1/2 bis eine Million Pfund Honig. Aber er weiss nichts von dem Geheimnis, welches das feine Äderchen-Netz in den Flügeln der Bienen erzählen kann.
Um halb zwölf ist Mittagessen. Kim hat auf dem Grill Würste gebraten und jetzt holt sich jeder ein aufgeschnittenes Sandwich. Dort kommt die Wurst rein, dann noch allerlei Salate wie Bohnen, Gurken, Tomaten, Kartoffelsalat und natürlich Senf, Ketchup und Mayo nach Lust und Laune. So spart man Geschirr und muss nicht noch erst abwaschen.
Bis zur Abfahrt um halb eins ist meine grosse Wäsche längstens getrocknet. Schon super, diese Mammut Wanderhosen, das Odlo Leibchen und die Bluse. Ich habe alles nach unserer Rückkehr ins Lavabo gesteckt und dann mit dem extra saugfähigen Handtuch ausgewrungen. Das Handtuch selber war klatschnass und selber zum Auswinden, aber auch das schaffte es, in dieser Stunde zu trockenen. Es ist auch heute wieder gute 40 Grad.
Unser Weg führt uns nun auf Naturstrassen dem äusseren Rand des Schlangenberges entlang. Die staubige Strasse erklimmt Hügel und folgt da und dort einer Krete, vorbei an einer Gesteinsformation welche die Chinesische Mauer genannt wird. Ich halte Ausschau nach Kängurus, aber die scheinen sich zu verstecken. Doch plötzlich entdecke ich unter einem Baum am Schatten schön getarnt zwei dieser Tiere. Jetzt sperbere ich vor allem unter alle Bäume und siehe da, die Gegend wimmelt von Kängurus. Die Silhouette ihrer typischen grossen Ohren verrät ihre Verstecke.
Der Weg führt uns über Blinman. Eingetragen auf der Karte als Ort, welcher aber eigentlich nur eine Farm ist. Ein bestimmter Mr. Blinman hat den Ort gegründet. Er hat hier Kupfer gefunden und hier eine grosse Schaffarm betrieben. Das ist jedenfalls das, was ich gecheckt habe. Wenn Fran etwas über Land und Leute erzählt, habe ich schon gewisse Probleme. Die wichtigen Sachen, wie Abfahrts- oder Aufstehzeit schaffe ich recht gut. Dann spricht sie auch nicht so im Aussie-Slang.
Von da beginnt sich die Strasse an felsigen, roten Wänden vorbei durch die eindrückliche Parachilna-Schlucht zu schlängeln. Für unsere Schweizeraugen eigentlich nicht gleich spektakulär, wie für die weite, ebene Horizonte gewöhnten australischen. Die Strasse führt durch’s Bett von Flüssen, welche im Moment kein Wasser führen. Würden sie, müsste sich das Auto durch’s Wasser pflügen. Ein veritabler Adler zieht seine Kreise, leider über unserem Bus. Ich kann nur den Schatten seiner riesigen Flügelspannweite am Boden sehen. Wie durch ein Tor verlassen wir die gebirgige Landschaft und finden uns wieder in den weiten Ebenen mit schnurgeraden Strassen. Schon lange möchte ich ein Foto machen von den Verkehrssignalen, wo vor kreuzenden Kängurus oder Emus gewarnt wird. Ohne davon zu wissen, erfüllt mir Peter diesen Wunsch, indem er einen Fotostopp vor dem Reklameschild für das Prärie Hotel Parachilna macht. Es gibt dort Känguru-, Kamel- und Straussenfleisch.
Eine Weile begleiten uns rechts noch die Berge der Flinders Ranges, dann werden aber auch sie immer flacher und verlieren sich bald in einer weiten, endlosen, gelblichen Ebene. Eigentlich reist man schon komfortabel in so einem klimatisierten Bus. Man durchquert ganze Wüstengebiete und bekommt nichts mit von der brütenden Hitze draussen. Wenn man genug Ebene gesehen hat, kann man zurücklehnen und ab Tonband die Geschichten der Flying Doctors hören, dieser rettenden Engel, die schon manche Menschenleben in der unendlichen Weite des Outbacks gerettet haben.
Wüste ist eigentlich hier noch nicht. Obwohl alles flach, dürr und stachelig und staubig aussieht, hat es wohl immer noch genügend Futter für ganze Herden der Farmer, welche Quadratkilometer von Land besitzen und eine Existenz finden. Oder sie haben hier in einer riesigen Kohlenmiene Arbeit und Einkommen. Der Bus hält am Rand einer riesengrossen Grube, wo im Tagbau Kohle abgebaut wird. Eine ausgediente Bergwerksmaschine kann man von innen besichtigen. Leigh Creek, die Stelle wo Yurlu sein Signalfeuer gemacht hat um kundzutun, dass er unterwegs zur Zeremonie sei. Die Grösse der Grube zeigt an, wie riesig sein Feuer gewesen sein muss!
Weiter geht’s im kühlen Bus zum nächsten Stop, wo’s was zu trinken gibt. Lyndhurst, auf der grossen Autokarte als Ortschaft eingetragen, doch es sind vielleicht drei Häuser. Das eine angeschrieben als Hotel, das andere als Getränkeladen und das dritte als WC. Nein, das ist jetzt despektierlich. [Hilda sei Dank. Sie bleibt mit mir nach unserer Rückkehr in Kontakt. Immer, wenn sie wieder einen Tag ihrer Tagebuchaufzeichnungen fertig eingetippt hat, schickt sie mir das per e-mail zu. Darin finde ich die von mir nicht verstandene Information von Fran, dass Lyndhurst 26 Einwohner hat und dass am 4. Dezember 2002 hier eine totale Sonnenfinsternis stattgefunden hat. Mehrere tausend Leute seien aus aller Welt hier hergekommen, um das Schauspiel zu erleben. Sie als Kanadierin fand es auch lustig, dass wir Europäer das Schild “last petrol for 500 km” einer Foto würdig fanden.] Die Hitze ohrfeigt einen beim Aussteigen aus dem Bus. Ein heisser Atem bläst einem ins Gesicht. Ich liebe zwar Wind, aber man hat überhaupt kein Gefühl von einem bisschen Abkühlung. Er bläst einfach von irgendwo her und erwärmt sich an den glühenden Steinen auf der weiten Ebene. Man sucht gerne den kleinen, kühlen Raum des Krämers auf. Man bekommt hier Bier, gekühlte Getränke, Souvenirs oder Eiscreme. Zwei Tische, wo man sitzen kann, wenn man einen Kaffee oder etwas ähnliches trinken will, oder wo man auch einfach sitzen kann, bis Peter aufgetankt hat und man wieder hinaus in die Hitze muss. Man ist froh, wenn der Bus nicht zu weit entfernt wartet.
Hier in Lyndhurst kommen zwei Wüstenstrassen zusammen, der Strzelecki- und der Oonadatta-Track. Das waren wichtige Routen, wo man Herden durchtrieb, die man im Süden auf den Markt brachte. Wie bei uns bei den Passstrassen, hat es auch hier grosse Tafeln, die besagen, ob der Track offen ist oder nicht. Es ist fertig mit der Teerstrasse. Einfach eine glattgewalzte schnurgerade Schotterpiste. Kein Baum, keine Sträucher weit und breit. Keine Kängurus und keine Straussen. Dass aber was hier lebt oder jedenfalls gelebt hat, bezeugt auf makabere Weise ein Skelett am Strassenrand. War es ein Emu oder was? Es war so schnell vorbei, aber angegrinst hat es mich!
Gegen fünf Uhr erreichen wir Marree. Das Herz lacht bei der Einfahrt in den Campground. Es hat Gras und wir sollen unsere Zelte dort aufschlagen, wo’s Rasen hat. Das ist doch wenigstens nicht so hart wie gestern, als ich alle meine Heringe krumm geschlagen habe.
Mit meinem Rucksack markiere ich erst mal unter einem Strauch ein lauschiges Ecklein für mein Zelt. Die Küche und das Esszimmermobiliar ist schnell ausgeladen und aufgestellt, also kann man sich ans Zeltaufstellen machen. Das Paket mit der Nummer sechs liegt schon am Boden, also kann’s losgehen. Ich hab nun schon heraus, wie ich das Zelt ausrichten muss. Die Seiten mit den Fenstern möglichst nicht in Richtung des Busses, dort brennt die ganze Nacht das Licht. Ich möchte lieber in der Nacht in den Sternenhimmel sehen können. Mein Busch steht zuhinterst in der Reihe. Nur blöd, gerade neben mir baut Dug mit Charlene sein Wigwam auf. Auch das sollte ich mir noch besser merken: nicht in seiner Nähe. Erstens schnarcht er und tut er’s nicht, schwatzen die beiden zusammen und zweitens können sie eine Stunde vor Tagwache mit packen beginnen. Da geht’s zipp – zipp und raschel – raschel. Aber Dug macht für heute alles gut. Er stellt mir den Pole auf. Das braucht am meisten Kraft. Bis jetzt hab ich das aber jedes Mal geschafft und es hat immer gehalten. Der Wind rüttelt ziemlich an den Blachen und neben mir stürzt gerade Dugs soeben aufgestelltes Zelt wieder ein. Ihm ist es bestimmt peinlich.
In diesem Camp stehen optional in einem Container Zimmer zur Verfügung. Da hat Rob zugegriffen. So hat er wenigstens eine Klimaanlage. Ich denke, dass er mit seinem Volumen manchmal schon etwas leidet in einem stickigen Zelt. Auch Suzanne und Nina mit Jeff haben ihr Zelt heute nicht aufgeschlagen. Ich frage mich manchmal, ob Nina mit ihren langen Fingernägeln, hochhackigen Schuhen und recht gediegenen Kleidern sich eigentlich auf unserem Zeltplatz wohl fühlt.
Bis allenthalben das Camp aufgebaut ist, ist auch schon happy hour. Heute sind es Dips und Chips und denen muss man etwas Sorge tragen, sonst bläst sie der Wind davon. Ich will mir ein Glas voll vom Shiraz einschenken. Jedoch sitzt der Korken wider Erwarten sehr gut – und bricht auch noch ab. Notgedrungen fülle ich den Rest nun in eine leere Petflasche, wo er halt noch einen weiteren Tag recht schön geschüttelt wird. Es war keine Wein- sondern sogar eine Schnapsidee, so schönen Wein zu kaufen!
Unser Campingplatz liegt ganz am Rande der Wüste. Das heisst, eigentlich liegt alles am Rand, denn mehr als eine Handvoll Häuser gibt’s kaum. Der Ort war mal sehr wichtig. Es gibt einen Bahnhof, ein Hotel mit einem Pub und eine Tankstelle und in zwei drei Nebenstrassen ein paar Häuser. Von Queensland her trifft auch der Birdsville Track hier in den Oonadatta Track, dem wir gefolgt sind. Deshalb ist hier auch ein Bahnhof – oder vielmehr war es mal. Eine alte Lokomotive steht verloren im Sand vor dem einstigen Bahnhofsgebäude. Etwas weiter vorn sieht man sogar eine kurze Strecke Schienen, welche sich aber auch im Sand verlaufen. Ein noch älteres Unikum von einer Dampfdraisine dient wohl als museales Ausstellungsstück und rostet unter offenem Himmel dahin.
Während dem Nachtessen neigt sich die Sonne dem Horizont der Wüste entgegen und der Himmel wird langsam immer goldener. Schnell wasche ich meinen Teller und eile mit meiner Kamera über das Stumpengeleise hinaus zur Strasse, dort wo sie den Ort verlässt. Ich suche mir einen Standort aus, von wo man am ehesten einen Wüsteneindruck haben kann. Dürre Bäume im Vordergrund und die Abendstrahlen der Sonne. Dabei ist doch so eine weite Ebene ziemlich langweilig. Vielleicht nehme ich den blechernen Wassertank dort in der Ferne auch noch mit aufs Bild. Aber immer diese Stromleitungen! Oder ist eben gerade dies ein historisches Dokument? Natürlich, die Telegrafenleitung, welche sie seinerzeit als Pionierleistung quer durch den Kontinent gebaut haben. Von den Arabern führten sie die Kamele ein, welche ihnen in der Wüste zu überleben halfen. Und ich habe ein Sonnenuntergangsfoto mit der berühmten Telegrafenleitung.
Die andern sind inzwischen mit dem Nachtessen auch fertig und alle sind verschwunden. Es heisst, ein Drink in einem Pub gehöre einfach zu einem Outback Erlebnis. Nur zwei oder drei sind dageblieben und wollen bald schlafen gehen. Natürlich muss ich auch ein Pub von innen gesehen haben. Ich will doch mitreden können. Er befindet sich 50 Meter weiter, im Hotel und dort ist auch schon wieder der Rand der Wüste. Der kleine Raum ist dank unserer Gruppe ziemlich überfüllt. Was trinkt man denn so? Frank, der Kanadier schwört, das Victoria Beer sei das Beste. Also bestell ich mir ein solches und handle mir damit schon wieder Unannehmlichkeiten ein. Ich bin nicht sehr geübt im Dosenbier trinken und bekleckere mich prompt. Wenigstens ist es kühl und gut für den Durst. Da dieser doch recht gross war, ist schnell ausgetrunken. Auch der Lärm hält mich nicht lange fest und ich bin froh, dass Dug, Charlene, Teresa und John bald heimgehen, so kann ich mich anschliessen. John erzählt von seiner Unterhaltung mit der Barmaid. Diese sei etwas über zwanzig und fühle sich irgendwie in diesem Kaff gefangen. Von den 80 Einwohnern sind 60 Aborigines und von den 20 Weissen seien zehn verheiratet und die restlichen sind Frauen. So hat sie also eigentlich keine Chance, eine Familie zu gründen. Andererseits möchte sie aber auch nicht fort von hier. Wenn sie tapfer diese Geschichte allen Gästen erzählt, beisst sicher früher oder später mal ein Fisch an.
Durch mein Netzfenster kann ich einen sagenhaften Sternenhimmel geniessen. Riesengross erscheinen die Gestirne, und die Milchstrasse leuchtet fast wie ein weisses Band. Keine störenden Lichter einer nahen Stadt. Es ist fast wie in jener Nacht in der Finsteraarhornhütte.
Donnerstag 22. Januar 2004
Um fünf ist heute Tagwache. Noch stehen alle Sterne am Himmel und eher schlaftrunken mache ich mich auf, um im Waschraum, der sich ebenfalls in einem Container befindet, Katzenwäsche zu machen. Geduscht habe ich gestern abend und ich finde, gründliche und sorgfältige Einreibungen mit Sonnenschutz seien heute wichtiger. Um sieben ist schon wieder alles verladen und wir stechen in See, oder vielmehr in die weiten, öden Ebenen des australischen Outbacks. Wir folgen weiter dem Oodnadatta Track. Dicht auf den Felgen folgt uns eine gewaltige Staubwalze, sicher 100 Meter lang und bestimmt viele Kilometer weit sichtbar.
Nun fahren wir schon gut eine Stunde hinein in den Morgen. Mitten in der Wüste ein Doppel-Totempfahl, reich bemalt. Mein Foto ist wieder mal nicht schnell genug schussbereit. Von hinten lüftet sich das Geheimnis. Es sind zwei nebeneinander auf den Schwanz gestellte Flugzeuge. Dainguely-Kunst auch in der weiteren Umgebung. Eine aus rostigen Metallteilen zusammengesetzte sitzende Figur und eine dreibeinige Pyramide mit einer glänzenden Kugel im Mittelpunkt. Dann kommt das erste Haus, das wir heute sehen, neben der Scheune der viereckige, blecherne Wassertank auf Stelzen. An dem hat der Wüstenkünstler einen Träger angebracht, an welchen er in einem schrägen Winkel ein altes Auto gehängt hat. Nun steht hier auch noch ein blechernes Pferd in der Wüste. Auf der andern Seite der Strasse beim Wohnhaus hängt, wie ein Willkommensschild, ein Auto in einem Rönrad.
Peter hält an. Gibt’s einen Fotohalt oder ist was mit dem Bordcomputer, wie schon mal im Barossa Valley? Dort musste er auch den Motor abschalten und einen Moment warten, bis ihm der Computer wieder grünes Licht gab. Fran und Peter hantieren etwas ausserhalb des Busses. Was wohl los ist? Dann nimmt Fran das Mikrofon und informiert uns, dass es Peter nicht gut gehe. Es sei besser, wenn er sich einen Moment hinlege. Wir könnten uns schon etwas die Beine vertreten, sollen aber nicht alle 30 um ihn herumstehen und ihm besser ein bisschen Ruhe gönnen.
In diesem Fall könnte ich doch ein Stück zu Fuss zurückgehen, um den Totempfahl besser ins Bild zu bekommen. Einen Blick zurück kann ich mir nicht verkneifen. Ich würde gut sehen, wenn es Peter wieder besser geht. Aber im Moment sieht es aus, als ob ein oranger Seehund neben dem Bus am Boden läge.
Es ist noch sehr angenehm in dieser frühen Morgenstunde. Acht Uhr und die Sonne strahlt noch golden am Horizont und der meiste Teil des Himmels ist mit Wolken bedeckt. Der Spaziergang tut nicht nur Geist und Seele gut, er regt auch meine Darmtätigkeit an. Was mach ich jetzt? Zurück zum Bus ohne Foto vom Totempfahl? Hier wäre zwar gerade ein Gebüsch. Aber habe ich ein Papiernastuch dabei? Ein Blick in meinen Bauchkiosk hilft mir, rasch zu entscheiden – das Gebüsch! Doch ich hätte etwas besser hinsehen sollen. Das vermeintliche Papiertaschentuch entpuppt sich als Plastiksack, fein säuberlich zusammengefaltet für Eventualitäten. Da sitze ich nun ja wieder mal richtig in der Scheisse. Mit Plastiksack geht’s nur gerade ein klein wenig besser als von Hand. Jetzt muss ich doch zurück zum Bus. In der Toilette hat’s wenigstens Wasser und im Rucksack habe ich parfümierte Feuchttüchlein. Peter liegt immer noch neben dem Bus und es geht ihm offensichtlich schlecht, er stöhnt sogar laut. Ich frage Ian, wass geschehe. Er erklärt mir, dass von Marree ein Arzt komme.
Ziemlich genau einer Stunde nach dem Halt erscheint eine Staubwolke am Horizont. Eine Krankenschwester steigt aus dem Landrover und kümmert sich um Peter. Sie gibt ihm eine Schmerzspritze. Das Herz ist es wohl nicht, aber ich höre irgendetwas von Kidney, also eine Nierenkollik oder so. Jetzt wird auch etwas konkreter, was weiter passiert. Via Funk und Telefon ist mächtig organisiert worden. Peter geht mit der Krankenschwester zurück nach Marree, von dort wird er mit den Flying Doctors in ein Krankenhaus nach Adelaide geflogen. Als wir gestern die Geschichten ab Tonband gehört haben, hätten wir nie gedacht, dass wir diese Engel heute brauchen. Von Marree kommt ein neuer Chauffeur, der uns wieder dorthin zurückbringt. Ein neuer Fahrer sei schon aus Alice Springs per Flugzeug unterwegs, damit wir unsere vorgesehene Route weiter verfolgen können. Bis der Mann aus Marree kommt, sitzen wir also noch sicher eine Stunde hier fest.
Vorhin kam eine ganze Emu-Familie aus dem Busch und verschwand ebenso schnell wieder jenseits des grossen Pferdes, noch ehe ich ein Foto machen konnte. Ich frage Fran, ob ich ein bisschen querbuschein auf die Suche nach Emus gehen dürfe. Sie informiert den Farmer, einen Aboriginal, bei dem sie telefoniert haben und der nun auch herumstehen hilft. Ob es wohl der Wüsten Dainguely ist? “Kein Problem” – und er weist in Richtung Wassertank-Pferd. Ich bekomme eine halbe Stunde gut.
Mit schussbereiter Kamera und Abenteuergefühl schleiche ich mich durch den Sand an. Hinter dem Pferd erhebt sich eine sandige Düne und hinter dieser befindet sich ein mit Bäumen und Büschen umrahmtes Wasserloch. Doch sein Boden ist trocken und mit stoppligem Gras überwuchert. Im Geäst drei schöne, weisse Kakadus, aber bis meine müde Kamera eingestellt ist, haben diese sich schon wieder in die Lüfte davongemacht. Auch vom Emu mit seiner Familie ist nichts zu sehen. Vielleicht verstecken sie sich da vorn im ausgewaschenen Flussbett. Ganz offensichtlich gibt es Zeiten, da hier ein reissender Fluss die Wüste durchfliesst. Aber im Moment ist alles ausgetrocknet und staubig. Auf der andern Seite des Creeks, so sagt man hier einem kleineren Fluss, ist der Boden immer mehr verwachsen mit dürrem Gestrüpp. Mein Ziel wäre dort drüben der Totempfahl. Ich möchte aber sehen, wohin mein Fuss tritt, denn ich habe keine Lust, eine Schlange aus ihrem Versteck zu vertreiben. Also kehre ich zurück zum Creek, dort ist der Boden schön sandig und ich komme fast bei den Skulpturen wieder auf die Strasse zurück. Nun muss ich natürlich diese Kunstwerke einfangen. Doch eigentlich wäre ein Tonband noch fast besser. Wie Tainguely, hat hier der Künstler alte, rostige Auspuffe, Räder, Stangen und sonst alles mögliche zusammengefügt. Das ganze Gebilde träumt jetzt in der heissen Sonne dahin. Der Wind bewegt eine Stange, welche als Klöppel an eine Platte schlägt. Dong – dong – dong! Die absolut passende Begleitmusik in meinem Outback-Abenteuer-Film. Ich habe zwar kein Emu getroffen, aber ein bisschen konnte ich in dieser halben Stunde ein Auge, eine Nase, ein Ohr und einen Schweisstropfen voll Outback hautnah erleben.
Noch bevor ich ganz beim Bus zurück bin, werde ich von einer Staubwolke eingehüllt. Unser Fahrer, der uns zurück nach Marree bringt, ist eingetroffen. Es ist eine Frau und das erste Vergnügen, das sie hat, ist den Bus samt Anhänger auf der Holperpiste zu wenden. Zudem sind die Bankette recht weich. Aber sie schafft es. Sie hat vor 25 Jahren einen Schulbus gefahren. Sie ist vielleicht ein bisschen aus der Übung, aber sie hat die Car-Lizenz. Nach einer Stunde hat sie uns wieder nach Marree zurückgebracht und alle klatschen ihr Beifall. Wir entsteigen der angenehmen Temperatur des Busses in die Gluthitze des dahinschlummernden Nestchens. Gerade eben startet das Flugzeug. Bye, bye Peter! Hoffentlich wird bald alles gut.
Alles verkriecht sich in die Kühle des Pubs oder den Innenhof des Hotels, der wenigstens ein bisschen Schatten spendet. Kim managt es, dass sie an der Theke unsern Lunch arrangieren kann. Dünne Fladenbrote, die nach Lust und Laune mit Schinken, Salami, Käse, Tomaten, Gurken, Fleischsalat, Thonsalat oder Teigwarensalat gefüllt werden können. Dann kommt die Batterie mit all den Saucen wie Ketchup, Mayonnaise und noch viele mir fremde Tubenflaschen. Ja, wir sind dankbar, dass wir in der Kühle essen können. Doch leider gibt es hier nur fünf oder sechs Barhocker und zwei oder drei Stühle. Dafür gibt’s Musik bis zur Bewusstlosigkeit. Vor dem Haus an der Strasse hat’s etwa zwei Tische mit Bänken, doch niemand hält es hier lange aus. Gegenüber ist der Bahnhof, wo die alte Commenwealth Lock noch immer in der Sonne dahinbrütet. Alles hängt mehr oder weniger herum. Noch mehr als zwei Stunden müssen wir irgendwie über die Runden bringen. Jemand sagt, es sei 44 Grad. Ich versuche es noch mal im Hof. Dort spielen zwei Aborigines Billiard. Ein Stuhl ist noch frei. Ich setze mich mit einem kalten Sprite und dem Notizblock in den Schatten. Warum muss denn diese verfluchte Musik in solch ohrenbetäubender Lautstärke nach hier draussen plärren? Ich halte es auch hier nicht allzu lange aus. Vielleicht doch auf den Bänken vor dem Haus. Da sagt mir jemand, dass quer über der Strasse, fast beim Campingplatz ein Raum sei mit Schatten und dort sei es etwas kühler. Also gehe ich auf die Suche. Auf der andern Seite des Geleises sitzt Nel auf einer Bank. “Ist dort der kühle Raum?” – “Nein, nur Internet!” – “Machst du Spass?” – “Nein!”. Jetzt bin ich natürlich neugierig. Im schön gekühlten, klimatisierten Raum sitzen hinter etwa 10 Computern eifrig mailende Freaks. Ich buche natürlich auch gerade 20 Minuten für 2$. So kann ich unser Abenteuer brühwarm der andern Seite der Welt kundtun. Doch was höre ich da? Schwyzerdütsch! Ah, tut das gut. Auch sie haben Outbackabenteuer hinter sich. Sie haben uns gestern noch bei Blinman gekreuzt und kurz darauf standen sie da mit einem Plattfuss. Und ihr Wagenheber funktionierte nicht. Niemand mehr weit und breit. Wir waren die Letzten. Also mussten sie eine Rampe bauen, um alles wieder ins Lot zu bringen. Sie sind zu dritt und ihr Ziel ist auch Coober Pedy. Sie haben nicht vorbestellt und eventuell suchen sie noch vorher eine Unterkunft. Nur, ob da noch etwas dazwischen ist, ist fraglich. Die Mahnung, jedenfalls genügend zu Trinken mitzunehmen ist nicht nötig, sie haben es selbst erfahren. Sie hätten gestern 12 Liter getrunken.
Nun habe ich auch den “kühlen Raum” gefunden. Es ist der überdeckte Picknickplatz von Marree. Es hat eine gemauerte Grillstelle, ein paar verwitterte Stühle und diverse Informationstafeln über den Ort. Marree, den Eisenbahnknotenpunkt, Telegrafenstation und die Stelle, wo Oodnadatta- und Birdsville Track zusammenkommen. Wo heute eine Flugpiste und ein Pub, aber keine heiratsfähigen Männer zu finden sind, dafür Internetanschluss.
Das Brummen eines Flugzeuges kündet das Ende des Wartens an. Happy landing, neuer Driver. Tim hat sich zur Verfügung gestellt, für uns einzuspringen. Er hat eigentlich Ferien, weil seine Frau ein Baby bekommen hat. Er wird mit einem Applaus begrüsst. Zur Sicherheit noch einmal auftanken, eine Ehrenrunde durch den Ort, vielleicht 100 Meter im Quadrat und dann geht’s zum zweiten Mal auf ins endlose Outback, wo nach einer Stunde das erste Haus in Sicht kommt, eben jenes des Wüsten-Dainguely. Auch die Bahnlinie begleitet unsern Weg, jedoch scheint mir, dass ab und zu ein Teil der Schienen fehlt. Mit den hölzernen Schwellen steht hie und da an der Bahnböschung ein Name. Ein Zeichen, dass hier in der Nähe irgendwo eine einsame Farm versteckt liegt.
Der grosse Eyre Salzsee erstreckt sich bald zu unserer Rechten. Viel kann man jedoch davon nicht sehen. Ebene ist Ebene und ein Ufer hat ein Salzsee eh nicht. Verkrustete weisse Tümpel links und rechts der Strasse, Wasser gibt es im Moment auch nicht. Dazwischen wieder mageres Gras. Wir würden dem jedenfalls nicht Weideland sagen und doch war es in dieser Gegend, wo ein gewisser Sidney Kidman seine unvorstellbaren Ländereien hatte. Er war der reichste Farmer weit und breit. Mit 340’000 Quadratkilometern, die er in der Gegend von Williams Creek besass, kann man sich vorstellen, dass er der König des Outbacks genannt wurde. Er konnte sein Geld machen, weil er ein Talent hatte, sein Vieh immer zum besten Zeitpunkt auf den Markt zu bringen. Er nutze auch als Erster die Bahn für seine Tiertransporte und auch die Telegrafenleitung war für ihn eine neuer Verbündeter. Er erlebte aber auch viele Rückschläge und hatte zeit Lebens in der Dürre den grössten Feind. Er verlor in der Trockenperiode 1900-03 70’000 und 1927-30 sogar 120’000 Stück Vieh.
Williams Creek ist der erste Ort seit 160 Kilometern nach Marree, der auf der Karte eingezeichnet ist. Auch er besteht nur aus einem Pub, einem öffentlichen WC und noch sonst einem Heuschober. Im Garten auf der andern Seite der Strasse ist demonstrativ eine Superrakete ausgestellt. Ich glaube, die ist hier irgendwo runtergekommen. Die Flugpiste mit einer Station für die Flying Doctors und ein dazugehöriges Kommandogebäude runden die Ortschaft schon ab. Erst macht man einen kurzen Rundgang, um auch alles fotografisch gut zu dokumentieren. Nur die typische Handbewegung, die hier alles sagen würde, sieht man auf dem Bild nicht so eindrücklich. Jedwelcher marschiert hier nämlich mit beiden Armen vor dem Gesicht hin- und herwedelnd vor sich hin. Zum verrückt werden, diese aufsässigen Fliegen! Man öffnet tunlichst nicht den Mund, wenn man nicht Fliegen zum Apéro will.
Happy hour ist in einer Viertelstunde drinnen im Restaurant. Doch vorher muss man noch die Bar genügend bestaunt haben. Jedermann und jedefrau scheinen hier ihre Visitenkarte hinterlassen zu haben. Hunderte von Adresskarten tapezieren die Wände. Oder man schenkte dem Wirt ein anderes persönliches Souvenir. Unzählige BH’s, vom langen Hängen im rauchigen Raum ziemlich schmutzig anzusehen, vielleicht aber auch vom Betatschen. Signierte, jede Grösse, vom Tiny mini bis zum Zweierzelt.
Eigentlich hätten wir hier zum Mittagessen sein müssen, aber da wurde alles bestens umorganisiert. Fran veranstaltet zur Auflockerung sogar ein Lotto. Man kann für ein Los geben, was man will, jedoch sollte es wenigstens gelb sein. Die Ein- und Zwei-Dollarmünzen sind messingfarben. Wobei ein Dollar viel grösser ist als ein Zwei-Dollarstück. Der Erlös von stolzen 115 Dollars kommt den Flying Doctors zugute. Kanada Hilda gewinnt ein T-Shirt, welches sie nach ihrer Grösse und Lieblingsfarbe sogar eintauschen kann.
Es drängt uns weiter, denn bald werden die Schatten länger und die Dunkelheit bricht herein. Gegen halb zehn nähern wir uns Coober Pedy. Seit die Nacht hereinbrach, sieht man in der Ferne ausser den Sternen am Himmel die ersten Lichter. Seit 1100 Kilometern in Port Augusta unten am Meer auch die erste wirkliche Ortschaft mit Strassenlaternen und Geschäften. Doch so viele Häuser sind es auch wieder nicht. Man wohnt hier hauptsächlich unter dem Boden. Auch wir werden vor einem unterirdischen Hotel ausgeladen und ich habe nur einen Wunsch, möglichst bald in die Heja. Dass es eher aussieht, wie in den Katakomben ist doch egal. Eigentlich besteht das Hotel nur aus einem langen Kellergang, von welchem links und rechts je etwa 10 Nischen hinter einem Vorhang vier bis sechs Kajütenbetten verbergen. Vor dem “Haus” befinden sich in einem überirdischen Gebäude die Dusch- und WC-Anlagen, wo fingerlange Kakerlaken herumhuschen. Das ist auch der Grund, warum ich eine Liege in der oberen Region belege.
Freitag 23. Januar 2004
Ein sonniger Morgen erwartet uns und jetzt können wir direkt über unserer Höhlenunterkunft ein Auge voll von Coober Pedy nehmen. Maulwürfe sind direkt fade dagegen. Bagger und Baumaschinen auf unserem Dach und soweit das Auge ins Land schaut, weisse spitzige Kegel, wo die Erde und das Gestein nach dem schimmernden Edelstein, dem Opal abgesucht wird. Auf dem Platz vor dem Haus gibt’s erst mal Frühstück und wenn alle Tische, Stühle und Kühlboxen wieder sicher im Anhänger verstaut sind, beginnt das heutige Programm. Eine Dame empfängt uns vor dem Opalmuseum, natürlich alles unterirdisch.
Zuerst wird uns ein Video vorgeführt über die Gewinnung des Opals. Dieses bildet sich irgendwie aus eingetrockneter Kieselsäure. Näheres habe ich natürlich nicht verstanden. Dann wird die Leinwand beiseite geschoben und unsere Museumsführerin steht dahinter an einer Schleifmaschine. Sie bittet Margaret, allen eine Handvoll Sticks, an denen verschiedene weisse, rohe Opalsteine befestigt sind, zur Ansicht herumzureichen. Dann demonstriert sie, wie diese Dinger bearbeitet und geschliffen werden. In dieser kurzen Zeit der Demonstration geht das natürlich nicht so perfekt. Sie schenkt das Demoobjekt Margaret für ihre Handreichungen und diese ist überglücklich.
Auch so eine unterirdische Wohnung dürfen wir besichtigen. Alles einfach aus dem Stein herausgebuddelt. Wohnzimmer mit TV, Küche und Schlafzimmer. Die Wände aus rau abgehämmertem Stein. Die elektrischen Leitungen in einen Schlitz eingelegt und mit herausgebuddeltem Material vermischt mit etwas Zement wieder verpflastert. Kaum zu sehen. Was fehlt sind einfach die Fenster. Dafür braucht man keine Heizung und keine Aircondition. Die Raumtemperatur beträgt das ganze Jahr über 24 Grad. Sehr angenehm, wenn man bedenkt, dass draussen manchmal bis zu fünfzig Grad Hitze herrschen. Auch von Lärm ist man hier verschont. Hier kann sich jeder sein Heim bauen, wie es ihm gefällt. Es besteht zwar so was wie eine Bauvorschrift und Baubewilligung, doch wer kann das schon kontrollieren. Stösst man beim Erweitern der Wohnung rein zufällig auf eine Opalader, kann das Zimmer dann halt einfach leicht Tennishallengrösse erreichen. Nur müsse man dann eben schon mit dem Kompass arbeiten, sonst stehe man plötzlich seinem Nachbarn in der Stube.
Sandy erzählt uns mehrere amüsante Geschichten und alle lachen, ausser mir. Aber nach unserer Heimkehr hat mir Hilda eben ihren Tagebucheintrag von Coober Pedy auch geschickt und nach anderthalb Monaten kann nun auch ich lachen:
So erzählte sie, dass es in der Stadt einen Junggesellen gebe, der eine Wohnung mit 44 Schlafzimmern habe, ein anderer sei am bauen eines unterirdischen Schwimmbades und ein dritter hat die Erlaubnis, eine Tennishalle auszubuddeln, obwohl er überhaupt nicht Tennis spielt. Eine Frau wollte ihre Wohnung nur um eine Vorratskammer vergrössern. Sie fand aber niemanden, der ihr dabei half. So ging sie selber hinter die Arbeit und fand einen Opal, der einen Wert von 285’000 $ hatte. Dann konnte sie sich plötzlich der Helfer nicht mehr erwehren.
Am schnellsten und billigsten komme man mit Dynamit zugange und Coober Pedy ist wohl der einzige Ort auf der Welt, wo man Sprengstoff im Lebensmittelgeschäft kaufen kann. Schon Kinder wüssten mit Sprengstoff umzugehen. Sandy selber war vier Jahre alt, als sie lernte, wie man eine Bombe macht. Und sie erzählt die Geschichte, als sie mit sieben das Familienauto hochgehen liess. Anscheinend war der Vater frustriert, weil die Kiste irgendwelche Tücken hatte und sie hörte, dass er zur Mutter sagte, am besten würde man das Ding in die Luft jagen. Das war ein paar Tage vor dem Vatertag und sie hatte kein Geschenk für ihren Dad. So hatte sie eine Glanzidee. Sie machte eine Bombe und am Vatertag in der Früh um sieben Uhr flog das Auto in die Luft. Als der Vater aus dem Haus kam, er war Ortspolizist, rief sie ihm glücklich zu: “Happy Father’s Day!” Als er Sandys Erklärung der Geschichte gehört hatte, sei er ein paar Minuten ganz ruhig gewesen und habe ihr dann gesagt, dass sie nie auf ihn wütend werden dürfe und dann ging er zurück ins Bett. Von der Wohnung kann man direkt in die ausgehöhlte Unterwelt gelangen, wo man die verschiedenen Grabungsarten sehen kann. Das mühsame Abpickeln mit der Spitzhacke und auch die moderne Tunnelbohrmaschine. Natürlich kann man sich am Schluss des Rundganges mit allen möglichen Opalartikeln eindecken. Ein Paar Ohrstecker kommen mit mir heim. Eine rote Teerstrasse führt uns hinaus aus Coober Pedy und noch lange leuchten am topfebenen Horizont tausende von diesen kegelförmigen Maulwurfshaufen strahlend weiss im morgendlichen Sonnenlicht. Die einen grösser, die andern wurden bald wieder aufgegeben und man suchte sich etwas weiter einen ergiebigeren Claim.
Wir folgen nun wieder dem Stuart Highway, dieser wichtigen Verbindungsstrasse zwischen Adelaide und Darwin, welche den ganzen Kontinent in der Mitte durchquert. Auch die Bahnlinie ist immer wieder zu sehen und wohl führt auch die Telegrafenleitung hier entlang. Obwohl wir eine riesige Einöde durchfahren, ist es eigentlich trotzdem abwechslungsreich und unmerklich ändert sich die Landschaft. Mal sind überall Büsche und halbverdorrte Sträucher, dann wieder nur noch graue, pelzige Grasbüschel und der Boden dazwischen wird langsam immer etwas röter. Hier wieder ein Skelett irgend eines Tieres, welches vielleicht Opfer des Highways geworden ist und dessen Knochen nun sauber abgenagt jetzt etwas verstreut in der Sonne dahinbleichen. Einmal muss Tim auch abbremsen, weil sich zwei Adler auf der Autostrasse niedergelassen haben. Ihre Grösse kommt gut an die eines fast ausgewachsenen Menschen heran. Dann werden die Büsche wieder grösser. Es hat wieder mehr Eukalyptusbäume und schon ist Lunchtime in Marla.
An einer Tankstelle hat es auch immer ein Restaurant. Vielleicht sagt man dem eher Pub. An einer Theke kann man entweder Kaffee oder gekühlte Getränke aus einem Eisschrank oder Eiscreme und sonstige Naschereien bezahlen. Für den Kaffee bekommt man manchmal eine Tasse und mit dieser kann man sich dann an der Heisswassermaschine selbst mit Wasser und Pulver bedienen. Bestellt man einen Capuccino, muss man sich schon etwas gedulden. Damit machen sie hier den Doktor. Sie geben sich alle Mühe ein wunderschönes Schäumchen zu kreieren, welches solange hält, bis die ganze Tasse ausgetrunken ist. Zuoberst kommt dann noch das obligate Schoggipulver. Manchmal bekommt man sogar eine Nummer mit auf den Tisch, wo sie einen dann nach vollendeter Kreation bedienen. Toiletten sind meist in einem separaten Gebäude und für Grossandrang eingerichtet. Manchmal sind sogar auch Duschen vorhanden.
Der Bus fährt nahe an eine kleine Wiese, wo man unter schattigen Bäumen gut rasten kann. Kim öffnet den Anhänger und reicht den bereitstehenden Helfern einen Tisch und eine Kühlbox heraus und im Nu ist angerichtet. Verschiedene Schinkensorten, Reis- Kartoffel- Teigwaren- und grüner Salat und Brot und man kann sich nach Herzenslust bedienen. Wer das Hahnenwasser nicht mag, kann es mit einem Schuss Sirup färben. Der Sirup, sowie die Salate sind nie die gleichen, wie am Tag vorher und es schmeckt immer wirklich frisch. In der Schweiz wäre dies schwer vorstellbar, wenn einfach ein Car voll Leute auf dem Parkplatz eines Restaurants picknicken würde.
So Schnell, wie das Buffet aufgestellt ist, so schnell ist auch Alles wieder verstaut. Gesättigt geht die Reise nach einer einstündigen Pause wieder weiter. Langsam werden all die Büsche noch grösser und die Grasbüschel haben die verschiedensten Farben von silbrig über oliv bis dunkelgrün. Der Kontrast zur recht (rost)roten Farbe der Erde ist amazing (ich habe doch tatsächlich in meine Notizen das englische Wort eingetragen, weil mir das deutsche nicht in den Sinn kam!).
An der Grenze zum Northern Territory gibt’s einen Fotostop. Hier will niemand was wissen von wegen Früchten, die man ein- oder ausführt. Und ich denke die Fliegen halten sich eh nicht an die schnurgerade auf der Landkarte eingezeichnete Grenze. Nur die Uhr müssen wir wieder eine Stunde zurückstellen.
Den letzten Kaffeestop gibt’s in einem Roadhouse, das schon an der Strasse Richtung rotem Zentrum liegt. Schon draussen ist vieles von Aborigies gestaltet oder bemalt, ein Hinweis auf die vielfältigen Angebote im Innern, von Didgeridoo über gemalte Bilder und handwerklich gefertigte Sachen. Ich erstehe eine CD mit Aboriginal Bildern als Bildschirmschoner. Ich frage mich, ob das wirklich zur Unterstützung von Aborigines beiträgt. Ich habe da so meine Zweifel.
Die Landschaft sieht jetzt nicht mehr ganz so wüstenhaft aus. Recht viel Grün erfreut das Auge. Vielleicht regnet es hier ja auch dann und wann. Lustige Bäume, die wie Staubwedel oder Flaschenputzer aussehen, probiere ich unbedingt aufs Bild zu bekommen. Vielleicht finde ich dann daheim bei der Ausbeute ein einziges, welches scharf genug ist. Jetzt wird’s aufregend. Dort am Horizont endlich der Berg. Wie eine ungestülpte Cakeform allein in der weiten Ebene. Doch nein, es ist gar nicht der Ayers Rock, wie ich schon gemeint habe. Es ist ein Tafelberg, der Mt. Connor und in meinem gescheiten Buch lese ich, dass dieser 700 Millionen Jahre alt ist und damit noch 150 Millionen Jahre älter als Uluru. Aber wir nähern uns dem für mich ersten Höhepunkt unserer Reise. Man sieht, dass hier ein regerer Touristenverkehr herrscht als überall, wo wir seit Adelaide durchgekommen sind. Weggeworfene Bierdosen und Petflaschen zieren den Strassenrand… Dann endlich der richtige Uluru in der Ferne und endlich sind wir da. Yulara. Wir bekommen davon aber nur das komfortable Ayers Rock Resort und den Campground zu Gesicht und das Ganze scheint noch recht weitläufig zu sein, denn es lohnt sich sogar ein Shuttlebetrieb. Der Himmel hat sich mit grauen Wolken überzogen und ich fürchte, dass es heute Abend keinen farbenprächtigen Sonnenuntergang am Ayers Rock zu bestaunen gibt. Wer sagt denn, dass es immer nur das schöne Wetter sein muss, das fasziniert. In Marokko habe ich ja auch eine Überschwemmung in der Wüste erlebt und das ist nicht jedem beschieden.
Auf dunkelrotem, heissem, sandigem Boden schlagen wir unsere Zelte auf. Bis zum Nachtessen bleibt ein bisschen Zeit, um sich im Pool etwas abzukühlen oder man kann auch grosse Wäsche machen. In der Laundry stehen in einer Reihe 8 Waschmaschinen und etwa 6 Tumbler. Ich kann Dutch Hilde meine verschwitzten Sachen geben. Zusammen gibt’s schon eine Maschine voll. Man muss nur die goldenen Dollarmünzen nicht ausgeben. Es braucht immer zwei Dollars und zwei Zwanziger pro Maschine. Auch der Tumbler frisst nachher nochmals zwei oder drei Dollars. Die schauen schon, wie sie zum Geld kommen. Dabei habe ich eine Tube Feinwaschmittel mitgenommen. Jedoch im Lavabo zu waschen scheint nicht willkommen zu sein. Man findet fast nirgends Stöpsel. Da habe ich mir aber auch schon zu helfen gewusst. Ich nehme einfach einen Plastiksack, das geht auch. Ein Plastiksack geht sogar noch für vieles andere auch …
Während also die Wäsche diesmal in der Waschmaschine badet, muss ich nun endlich zum Ausguck. Gerade bei unserem Platz ist der Wegweiser zum Outlook. Der Weg führt über eine Sanddüne und er ist mit einer Art Scharreisen befestigt. Etwa zweihundert Meter geht’s auf dieser Sanddüne dahin, bis zu einem kleinen Platz, wo man im Süden den Uluru und im Westen die Kata Tjuta sieht. Bis dort ist es aber noch recht weit, einige Kilometer. Nur durch ein Loch, welches die Wolken noch am Himmel freigelassen haben tasten die letzten paar Strahlen der Sonne durch den Vorhang. Doch sie reichen weder zum Uluru, noch treffen sie die Olgas. Trotzdem mache ich mit Zoom und Tele ein paar Fotos. Wer weiss, vielleicht regnet’s ja morgen.
Kim hat wieder einen prima Znacht hingekriegt. Pouletfleisch und Folienkartoffeln mit Quarksauce und Broccoli und zum Dessert Bananensplit. Einfach ohne Glace, dafür kann man sich mit Schlagrahm aus der Spraydose, Schokolade, Caramel oder Himbeersauce bedienen.
Wer Lust hat, geht noch ins Pub. Ich gehe lieber schlafen, obwohl ich auch nur widerstrebend in mein Zelt krieche, denn so wie der Himmel jetzt aussieht, muss ich meine Fensterblachen schliessen. So heiss wie es ist, halte ich es nicht aus, auch noch ein T-Shirt zum Schlafen anzuziehen. Kommt dann Regen in der Nacht, müsste ich mich zuerst ankleiden, um nach draussen zu gehen und die Blachen zuzumachen. Also entschliesse ich mich, jetzt schon dicht zu machen und dafür bleibt der Reissverschluss an der Tür oben offen. So habe ich immer noch einen Luftschlitz von etwa 30 cm Breite, wo zwar Regen und Wind, aber wenigstens keine Schlangen und Eidechsen hereinkommen können.
Samstag 24. Januar 2004
Ich musste mich doch ankleiden heute Nacht. Aber nicht wegen dem Regen, sondern weil ich auf die Toilette musste. Schön der Strasse nach, nicht quer über den benachbarten Platz. Dort ist nämlich gestern Abend noch eine Gruppe angekommen und die haben nur eine Blache ausgebreitet und nun schlafen sie so unter dem Himmelszelt. In den Waschräumen brennt die ganze Nacht Licht und der Weg dorthin ist belagert. Mit jedem Schritt, den man dem Licht entgegengeht, scheucht man hunderte von Heuschrecken auf. Fast kommt es einem vor, wie wenn sich ein Meer beim Dahinschreiten teilt.
Und nun bin ich gespannt auf den Uluru. Wahrscheinlich geht gerade dann die Sonne auf, wenn Morgenessen ist. Ich möchte furchtbar gerne nochmals zum Ausguck, um das Schauspiel zu sehen. Trotz einiger Wolken am Himmel erliege ich meinem Zwiespalt, indem ich die Hälfte der Morgenessenzeit opfere und dafür hoffe, dass sie sich bis dann beeilt hat, über den Horizont zu klettern und ihre ersten Strahlen auf den Stein zu werfen. Aber sie lässt sich Zeit. Ich denke, das Bild heute morgen unterscheidet sich nicht gross von dem von gestern Abend. Die Spielverderber sind wieder die Wolken. Also doch lieber zurück zum Frühstück. Für die neuneinhalb Kilometer lange Wanderung rund um den Uluru sollte man ja schon ein wenig gestärkt sein. Jedoch noch wichtiger sei das Wasser. Also kommt zu meiner Feldflasche noch ein Liter in der Petflasche in den Rucksack. Das Camp liegt noch etwa 5 Kilometer ausserhalb des Nationalparks und nach dem Morgenessen ist Abfahrt. Am Ausguck habe ich zwei Schweizer getroffen (es waren schon die vierten hier in Australien). Diese wollten am frühen Morgen schon in den Park, aber da sei die Strasse wegen einem Waldbrand gesperrt gewesen. Bis wir aber dort ankommen, scheint alles unter Kontrolle zu sein. Ein Feuerwehrauto und noch ein kleines Räuchlein aus etwa einem 100 Quadratmeter grossen Brandfleck deuten auf den Zwischenfall hin. Schon treffen wir auf die Fahrstrasse, die den Monolithen umrundet. Eine Gesteinsformation am Fusse des grossen Felsens, aber nicht mit diesem verbunden, sieht aus wie der Kopf eines Labradors. Pulari ist einer der besonderen Plätze, die für die Anangu Aborigines heilig sind. Diese sakralen Orte darf man nicht betreten und man darf auch kein Foto von ihnen machen. Fotoverbotsschilder stehen überall an diesen speziellen Orten. Zum Einstimmen umrunden wir erst mal im Bus diesen roten Brocken, der in den Strahlen der Morgensonne, die nun doch bis hierher gelangen, in einem fantastischen Orange zu leuchten beginnt. An einem Punkt, der sich für ein morgendliches Bild gut eignet, können wir auch kurz aussteigen. Weit drüben bei den Olgas ist das Schauspiel der Sonne aber fast utopisch. Sie wirft nur auf einzelne der vielen Köpfe ihr Licht, andere bleiben im Schatten der Wolken. Ein wunderschönes Bild, nur viel zu weit weg, sogar auch für meinen digitalen Zoom, es ist immer so. Jetzt habe ich die Taube in der Hand und der Spatz dort drüben leuchtet so verführerisch!
Beim Mala Walk Parkplatz steigen wir aus und beginnen unseren Fussmarsch. Hier würde auch der Aufstieg beginnen, wenn …
Aber heute ist er geschlossen. Es habe zuviel Wind und eine Besteigung ist eben gar nicht so harmlos. Natürlich handelt es sich immer noch um die Hauptattraktion für die meisten Besucher und ich weiss nicht, für wie viele von uns es eine Enttäuschung ist. Man sieht von hier aus den feinen Pfad der vielen Fusstritte, die den Stein schon bezwungen haben. Ein befestigtes Drahtseil hilft einem über die steilste Partie hinauf. Dennoch wird auf allen Informationsbroschüren und Reiseführern immer darauf hingewiesen, dass die Anangu die Besteigung eigentlich nur sehr ungern dulden und man doch den wunderschönen Wanderweg unten am Fuss des Heiligtums unter die Füsse nehmen soll. Fran geht uns allen voran und wir kommen auch auf diesem Weg vielen Heiligtümern genau so nahe. Hier eine Höhle, die aussieht, als ob der Fels einfach aufgeplatzt wäre, oder man sieht erst auf den zweiten Blick eine spezielle Form des Steins oder etwas Besonderes. Uns bleibt das Geheimnis dieser Plätze verborgen. Für mich jedenfalls ist überhaupt nicht offensichtlich, warum hier ein unscheinbarer Ort heilig ist und nicht fotografiert werden darf, während ein paar Meter weiter hinten eine sagenhafte Kaskade eines Baches, der zwar im Moment überhaupt kein Wasser daherbringt, wieder fotografiert werden darf. Oder an der Nordseite des Felsens, die verwitterte Oberfläche der Felsenhaut, welche aussieht wie ein riesiges Porträt. Da steht keine Tafel. Es gibt männliche und weibliche sakrale Orte, oder vielleicht sind sie für Männer oder Frauen bestimmt?
Die Anangus jedenfalls lehren an diesen Orten ihren Kinder den Sinn des Lebens und ihres Seins seit mehr als zwanzigtausend (!) Jahren. Noch nie haben sie eine Schrift gebraucht. Diese Formationen und heiligen Orte lehren sie ihr Leben und ihre Kultur. Und wir kommen und trampeln darauf herum. Ich habe ein Zitat eines Aboriginal gefunden, der über die Touristen, die kommen und fotografieren sagt: Was haben sie damit? Ein Bild mehr vom Uluru, das sie heim nehmen. Sie sollten eine andere Linse nehmen, sie würden geradewegs hinein sehen. Sie würden nicht einen riesigen Felsen sehen. Sie würden Kuniya sehen, der dort drin lebt, wie vor Anbeginn der Zeit. Und sie würden die Kamera wegschmeissen.
Da ich jetzt aber eine Zeiss- und eine Milnolta-Linse habe, fotografiere ich eben dort, wo man darf auf Teufel komm raus’ den Stein. Und staune ob dem riesigen Gwäggi, der 350 Meter aus der Ebene herausragt und den zu umrunden man gut zwei Stunden braucht. Jedenfalls in dem Tempo, welches Fran an den Tag legt. Ich meinte doch wahrlich, dass ich im Wandern schon ein bisschen geübt bin, aber ich muss mich recht sputen, damit ich das Tempo halten kann. Zum Stehenbleiben oder nach möglichen Kriech- oder Flugtieren Ausschau zu halten, bleibt überhaupt kein Raum. Das einzige was fliegt und surrt und man überhaupt nicht zu suchen braucht, sind die Fliegen. Die meisten Wanderer verhüllen sich deshalb in ihre feinen grünen, weissen oder schwarzen Gesichtsnetze.
Die zweite Hälfte der Rundumwanderung ist nicht so heilig wie die erste. Es hat fast keine Fotoverbotstafeln mehr hier. Dafür entdecke ich in einer Felsnische ein paar Zeichnungen. Fast wäre ich daran vorbeigegangen. Auch führt der Weg durch eine erfrischend grüne Wiese. Ich sehe auch an einem Ort eine Gruppe um einen Aboriginal versammelt, der probiert, den Fremden etwas über seine Kultur zu vermitteln. Man kann solche Führungen im Kulturcenter buchen.
Beim Parkplatz ist schon wieder fast die ganze Gruppe versammelt. Nur noch etwa drei oder vier stossen nach mir dazu. Dass die alle noch schneller gerannt sind als ich, kann ich kaum glauben. Rob jedenfalls ganz bestimmt nicht. Vielleicht sind sie einfach umgekehrt. Ja, ganz bestimmt sind sie es. Sie hätten mich ja alle überholen müssen.
Niemand fehlt mehr, also steigen wir wieder in den Bus. Nochmals eine Ehrenrunde um den Berg mit einem Halt bei Mutijulu. So können auch jene, die nicht bis hierher kamen, die Felsmalereien sehen.
Beim Kulturcenter werden wir wieder ausgeladen. Dort kann man sich an sehr anschaulichen Informationstafeln über die Kultur und das Leben der Anangus ein Bild machen. Man bewältigt hier die unvorstellbare Zahl von 650’000 Besuchern pro Jahr. Sogar in Deutsch sind die Beiträge kurz zusammengefasst. Manchmal sind auch Bilder und Zitate von Leuten dabei. Besonders beeindruckend für mich ist, dass manchmal Namen und Bilder einfach schwarz übermalt wurden. Was die Leute gesagt haben, das bleibt bestehen. Aber ihre Namen werden nicht mehr ausgesprochen, wenn sie gestorben sind. Also darf man sie auch nicht mehr lesen. Das würde sie in ihrer wohlverdienten Ruhe stören.
Im Souvenirshop decke ich mich nun mit Karten ein. Ich habe ja in Sydney 40 Marken gekauft und da steht mir jetzt meine nächste Aufgabe bevor. Ich möchte, dass die Karten vor mir zu Hause angekommen sind. Mein Sinn steht weder nach Didgeridoo, noch nach Bumerang. Das Souvenir mit dem Wein reicht gerade. Vielleicht höchstens noch ein T-Shirt werde ich mit heim nehmen.
Heute müssen wir uns wieder mal selber ums Mittagessen kümmern. Darum werden wir beim Ayers Rock Resort Center abgeladen. Da kann man zwischen Restaurant und Take-away wählen. Oder einfach zwischen ziemlich happigen Preisen und eben einem Sandwich. Da ich sowieso in diesen Ferien immer viel zuviel esse, lasse ich diesmal das Sandwich auch gerade ausfallen und bleibe bei Wasser ohne Brot. Zum Dessert gibt’s dann jedoch noch ein Eiscreme und zusammen mit den beiden Hilden nehmen wir den Heimweg unter die Füsse. Es ist gerade kein Shuttle zu sehen und den einen Kilometer bis zum Camp schafft man schliesslich schon noch. Bis vier Uhr hat man nun Zeit für allerlei Fun. Emma zum Beispiel hat eine Fahrt mit einer Harley gebucht. Glücklich reitet sie auf dem Sozius davon. Soviel ich mitbekomme, macht aber niemand einen Rundflug über den Uluru und Kata Tjuta, dafür sind die meisten im Pool. Der sei ziemlich warm gewesen. Jedenfalls hätte man am Schluss das Gefühl gehabt, dass die Luft noch kühler gewesen sei als das Wasser, erzählt mir jemand. Und ich weiss ja, was ich zu tun habe. Ich lasse mich von meiner Kartenschreiberei einzig von einem gut einen halben Meter langen Lizard (Eidechse) ablenken, der zwischen unseren Zelten hindurch huscht.
Für die Olgas, oder wie man jetzt sagt, die Kata Tjuta, was “viele Köpfe” heisst, ist wieder eine Wanderung vorgesehen. Sie sind etwa 45 Kilometer vom Uluru entfernt. Es gehe in eine Schlucht, das bekomme ich jedenfalls mit. Die grauen Wolken vom Morgen haben sich verzogen und es ist heute heiss geworden. Es ist eine regelrechte Völkerwanderung, darunter viele Japaner. Man muss schon etwas auf den Weg achten, aber grosse Worte von wegen Wanderung! In kaum einer Viertelstunde ist man zwischen zwei senkrechten Felswänden am Ende des Pfades auf einem kleinen hölzernen Podest angelangt. Und dort bestaunt man jetzt die Schlucht. Ich drücke jemandem meinen Fotoapparat in die Hand, damit sich daheim meine Freunde auch an dem “atemberaubenden Blick” ergötzen können.
Aber eben, was ist für uns Schweizer schon so ein Chlack. Ich hätte es vorgezogen, wenn wir an einem Ort angehalten hätten, wo man die ganze Formation dieser Felsbrocken sehen könnte. Aber das musste ich wieder alles aus dem fahrenden Bus erhaschen, wo immer, wenn der Blickwinkel gut wäre, irgend ein Baum vorbeiflitzt, der dann als grüner Schlirp aufs Bild kommt. Oder dann kommt eine Kurve und ich sitze wieder auf der falschen Seite! Doch, oh Wunder, es gibt noch einen zweiten Halt, ein kleines Bisschen weiter weg von der Schlucht. Auch nicht schlecht, aber trotzdem sagt die Perspektive nichts aus über den ganzen Felshaufen hier.
Was uns gestern versagt war, können wir heute nachholen, den Sonnenuntergangsapéro am Uluru. Weil es noch ein ganz klein wenig zu früh ist, gibt’s nochmals eine Ehrenrunde rings um den Monolithen. Er strahlt in einem wunderbar warmen Orange in der frühen Abendsonne. In einer idealen Distanz und einer guten Perspektive für den Sonnenuntergang halten wir auf einem extra für diesen Zweck vorgesehenen Parkplatz. Wir sind bei weitem nicht die Ersten. Autos und Busse warten schon auf das Schauspiel. Fran gibt den Ratschlag, man solle etwa alle zehn Minuten eine Aufnahme machen. Erst auf den entwickelten Fotos könne man den Chamäleoneffekt auf dem Stein richtig sehen, der den Sonnenuntergang so spektakulär mache. Leider verstehe ich auch diesen Hinweis erst daheim im Tag 8, den mir Hilda aus Kanada gemailt hat. Aber ich habe ja heute eh schon zu viele Fotos gemacht mit meinen beiden Kameras. Nur, auch das sehe ich erst daheim richtig, dass die Zeiss-Linse wohl die Hitze in Australien nicht so recht vertragen hat. Ich bin mit ihrer Farbeinstellung nicht ganz zufrieden.
Während Hilde von mir die legendäre Foto mit dem Uluru im Hintergrund schiesst, sind Fran und Tim eifrig dabei, auf einem aufgestellten Tisch ein gigantisches Apéro-Buffet zu arrangieren. Pfeffer- Blue- und anderer Cheese, Sülzli, Gürkli und Oliven, dazu Shrimps und eingelegter Tintenfisch etc. daneben Chips und Crisp und weiss der Herr was alles. Dazu wird Sekt entkorkt und entkorkt und entkorkt und angestossen und geknipst….. and finaly i am tipsy (wieder ein neues Wort gelernt!).
Es ist schon ganz dunkel, als wir ins Camp zurückkommen. Und dort hat Kim das Nachtessen bereit! Sie hat Gulalsch gemacht. Dabei habe ich schon soviel von dem Käse und all den andern Herrlichkeiten intus. Also opfere ich mich halt nochmals, denn das Gulasch ist auch wunderbar. Und wenn schon, dann auch noch her mit dem Rest vom Schüttelwein.
Heute bleiben die Fensterblachen wieder aufgerollt und ich geniesse den Sternenhimmel über mir, bis ich wahrscheinlich auch in das Konzert der Schnarcher ringsum einstimme.
Sonntag 25. Januar 2004
6 – 7 – 8 heisst es heute. Sechs Uhr aufstehen, das geht noch. Dann ist wenigstens nicht mehr dunkel. Auch heute schaffe ich es, schon zum Frühstück wieder wie ein Ferkel auszusehen. Schön rosa vom roten Sand. Dabei habe ich mir Mühe gegeben. Da muss ich nun wirklich was ändern.
Kim überrascht uns heute mit einem extravaganten Zmorgen. Es gibt Hashbrowns, das ist Rösti und Spaghetti an Tomatensauce!
Das neben den obligaten Flocken, Joghurt Orangensaft etc. welches immer zur Verfügung steht. Da ich ja Schwerarbeiter bin, jedenfalls an meinen Arbeitskleidern nach zu schliessen, lange ich zu. Das habe ich jedenfalls noch nie gehabt in dieser Kombination und erst noch am Morgen früh.
Los geht’s Richtung Osten. Erst jetzt realisiere ich, dass noch jemand im Bus sitzt, der vorher nicht da war. Es ist Stuart, ein neuer Fahrer. Er ist gestern in Yulara gelandet. Also wird wohl Tim seine unterbrochenen Ferien in Alice Springs wieder fortsetzen. Im Moment sitzt er aber noch am Steuer. Bald kommt wieder der Mt. Connor in Sicht, der Tafelberg. An einem kleinen Rastplatz halten wir an und es gibt eine gute Gelegenheit, von der ganzen Gruppe ein Foto zu bekommen. Man muss einfach seine Kamera auf den Tisch legen und sich dann als Gruppe in Achtungsstellung formieren. Tim, Stuart, Kim und Fran knipsen dann drauflos, ein Apparat nach dem andern. Hoffentlich geht meiner nicht vorher schon in Ruhestellung. Nachher müssen die Vier natürlich auch noch herhalten. Es wird ein Bild von ihnen vor dem Bus gewünscht. Ganz enttäuscht muss ich feststellen, dass von dem Gruppenbild auf meiner Kamera nichts zu sehen ist. Auch Andreas schüttelt den Kopf. Schade, bei den Digitalkameras muss man immer zuerst warten, bis die Automatik eingestellt ist, erst dann kann man auslösen. (Die eingebundene Foto habe ich nachher von carolyn aus USA erhalten).
Wir fahren durch eine relativ grüne Gegend. Es hat viele Bäume und auch diese Flaschenputzer, aber noch immer scheint der Boden in diesem kräftigen Rot stark durch. Irgendwo in der Ferne brennt der Wald. Ereignisse, die in der sommerliche Hitze nicht selten sind. Hoffentlich dehnt sich das Ganze nicht zu sehr aus.
Zum Kaffeehalt kehren wir in Curtin Springs ein. Cattle Station heisst glaube ich so was wie Rinderfarm. Jedenfalls hat es nicht nur eine Gelegenheit, was zu konsumieren. Im Hof hat es auch Gehege mit Papageien, Kakadus, Emus und sonstigem gefiedertem Zeug. Am meisten aber staune ich ob zwei riesigen Kakteen, die höher sind als das Haus und die wunderschöne Blüten machen.
Schon vor dem Mittagessen sind wir in Kings Creek Station angelangt, unserem heutigen Campground. Die Zelte sind schnell aufgeschlagen und das Mittagessen bald gekocht. Es gibt Aufschnitt und Salate. Und es ist heiss. Ich mache mich hinter meine Karten, während andere sich im Kamelreiten versuchen. Man könnte hier auch einen Helikopterrundflug machen. Auch einen Quad könnte man mieten. Das sind so vierrädrige Motorräder, die für die Fahrt auf ungeteerten Strassen sehr geeignet sind. Man brauche keine vorherige Erfahrung oder einen Führerschein. Für Fun ist immer gesorgt.
Martins Thermometer zeigt wiederum 42 Grad an. Glaub wohl, bleiben meine Postkarten an den Händen kleben. Ich gönn mir auch eine Pause im seichwarmen Pool beim Wasserballspiel. Duschen allein bringt’s nämlich nicht, dort kommt aus dem blauen Hahnen wärmeres Wasser als beim roten.
Um vier Uhr ist wiederum Abfahrt zum Kings Canyon, der grössten Schlucht Australiens. Eigentlich steht dort eine “Rundwanderung am oberen Rand des Canyons mit beeindruckenden Felslandschaften und fantastischen Aussichten in die Schlucht” auf dem Programm. Eine anstrengende Wanderung und sie dauert drei Stunden. Wir befinden uns hier im Watarrka Nationalpark und auch hier ist alles sorgfältig und gut ausgeschildert und angeschrieben. Ein grosses Thermometer mit noch grösserem Hut obendrauf mahnt einen, erst die Temperatur zu checken. Bei grosser Hitze stellt eine Wanderung doch eine gewisse Gefahr dar. Hat man genügend Wasser und Sonnenschutz dabei? Fran führt die grosse Tour an und die andern können sich Tim anschliessen. Der Hike über den Rim scheint mir nicht so wahnsinnig beschwerlich zu sein, klammert man den ziemlich steilen Aufstieg gerade zu Anfang davon aus. Jedoch bei 42 Grad und mit Fran als Vorrenner? Wenn sie dieses Tempo wie gestern an den Tag legt, mache ich die Schraube noch ehe ich auf halber Höhe bin. Also, lassen wir doch die Vernunft walten. Schluchten hat es nämlich in der Schweiz grössere und viel mehr. Nur nicht rote. Also schliesse ich mich Tim an. Kanada Hilda und Jamie aus Florida sind die beiden einzigen Frauen der doch elf Mutigen, die sich für den Rim entscheiden. Tim weiss dafür viel über Fauna und Flora in diesen Gegenden zu erzählen. Doch ich muss mich damit begnügen, was ich mit den Augen sehe. Das ist auch gar nicht so übel, nur sind wir schon hinten in der “Schlucht”, kaum dass wir gestartet sind. Als ob man für einen halben Kilometer eine halbe Stunde bräuchte, wie angeschrieben steht.
Dafür führt uns Tim ins Kings Canyon Resort, wo wir bei einem kühlen Bier warten können, bis die andern auch zurück sind. Dreieinhalb Stunden für sechseinhalb Kilometer wird berechnet. Dabei ist erst noch alles eben. Aber bei Fran’s Tempo müssen wir wohl nicht so lange warten. Wir fahren ihnen entgegen und kommen gerade richtig. Sie sind soeben wieder am Ausgangspunkt eingetroffen. Hilda kommt etwas empört zu mir. Sie will nicht neben Jürgen sitzen. Der habe nämlich dort oben in einem stehenden Gewässer gebadet, obwohl sie ihn gewarnt hatte und davon abhalten wollte. Jetzt stinke er und sie ist sauer auf ihn. Es sei aber sehr schön gewesen dort oben. Und heiss. Man sei sich fast wie in einem Sciencefiction Film von Star Wars vorgekommen. Kahler Sandstein, gespickt mit fossilem Meeresgetier. Aber der Garten Eden sei wunderbar gewesen. Im Gegensatz zur kahlen Öde ein Palmengarten mit Farnen und Vögeln und eben einem stehenden Gewässer in welchem ein grosser Baum wuchs und sogar Enten, die darin herumschwammen.
Bis wir heimkommen, hat Kim gekocht. Sie hat heute eine Kürbissuppe, Würste, Kartoffeln, Erbsen und Rüebli gemacht. Hier finde ich nur einen Stecker, um die Batterie aufzuladen, und den braucht Kim. In solch einem Fall muss man warten, bis sie den Strom nicht mehr braucht, dann darf man auch anzapfen.
Nach der Abendtoilette kommt Suzan ziemlich aufgeregt wieder zum Zelt. Sie ist bei den Waschräumen einer grossen Schlange begegnet. Natürlich will ich sie sehen, aber sie ist im Gebüsch verschwunden und denkt nicht daran, mir zuliebe eine Vorführung zu machen. Nur meine Vorstellung in der Nacht aufs WC zu müssen, ist doch ein bisschen mulmig.
Montag 26. Januar 2004
Ob heute wohl eine so lange Strecke bis Alice Springs zu bewältigen ist, dass wir schon um fünf aufstehen müssen? Eigentlich macht es mir gar nicht soviel aus. Irgendwie gehört früh aufstehen zum Leben unter freiem Himmel, der Natur und dem Reisen. Happy Australia Day! Heute ist Nationalfeiertag und Kim hat zum Frühstück als Überraschung Rührei mit Bratspeck gemacht. Auf jeden Teller steckt sie noch eine kleine papierene Australien-Flagge. Es sind so kleine Aufmerksamkeiten mit grosser Wirkung. Ich beeile mich mit meinem Ei, denn die Fliegen sind auch schon wach und sie lieben Rührei. In ganzen Schwärmen kommen sie herbei und rufen all ihre Verwandten und Bekannten zu Hilfe. Wo nicht gewedelt und verscheucht wird, sieht der Teller bald schwarz aus statt gelb und bei mehr als einem haben sie Erfolg. Zurück vom Toaster vergeht einem die ganze Lust auf das liebevoll angerichtete Zmorgen und die Biester können sich im Abfall weiter gütlich tun.
Heute schiebt Fran ein Video ein, welches auch mich fesselt. Es ist die Geschichte von drei Aboriginal-Kindern, die ihrer Mutter weggenommen wurden, um sie in einer Missionsstation zu erziehen. Sie durchquerten weite Teile einer Wüste, immer verfolgt und gejagt von ihren Häschern und zwei schafften es, wieder heim zur Mutter zu kommen. Noch nicht mal sechzig Jahre seither, da hat man es mit den sogenannten “Half Casts” gemacht, wie bei uns mit den Kindern der Fahrenden. Weisse scheuen sich nicht, den Eingeborenenfrauen Kinder zu machen, dann ist es aber Abschaum, mit dem man machen kann, was man will. 1932 bis 1942 war die Telegrafenstation in Alice Springs in solch ein Lager für die Erziehung von Mischlingskindern umgestaltet worden und man holte sich die Kinder mit Gewalt und List. Ein weiteres trauriges Kapitel und dies nicht nur in der australischen Geschichte und auch nicht im tiefen Mittelalter.
Draussen zieht Kilometer um Kilometer an uns vorbei. Ziemlich rot und immer noch weit, die Ebenen. Lustige Büsche fallen mir auf, wie ich vorher noch keine gesehen habe. Wie um einen Strunk wächst und spriesst ein Busch von silbrig grünem frischem Laub, während lange, dürre Äste wie riesige Spinnenbeine daraus herausragen. Ich nenne sie ganz für mich selber Skelettbüsche.
Hier flieht mal eine Handvoll wilder Kamele vom Highway weg. Es sind Nachkommen jener Tiere, die man aus Afghanistan eingeführt hat und die in der Pionierzeit zum Gelingen beim Bau der Telegrafenleitung und der Eisenbahn quer durch den Kontinent beigetragen haben. Als man sie nicht mehr brauchte, liess man sie einfach frei. Anscheinend konnten sie hier gut überleben. Jene Kamele, mit denen Hilda, Carolyn und Jamie gestern geritten sind, wurden auch von diesen wild lebenden Herden hier eingefangen. Man fängt sich Jungtiere im Alter von etwa 4 Jahren. Dann sind sie gross genug, dass sie die Mutter nicht mehr brauchen, aber doch noch jung genug, dass man sie zum Reiten dressieren kann. Der Farmer von Kings Creek Station verkauft sogar Kamele wieder zurück in die arabischen Länder. Aber er züchtet sie nicht selber. Es sind alles solche gefangenen Jungtiere, die man schult. Seine Herde besteht ausschliesslich aus kastrierten Hengsten und einer Kameldame.
Jetzt legt Fran eine CD mit Countrymusic ein, das gefällt mir besser. Das wäre doch ein Souvenir, das auch noch in der Tasche Platz fände. Aber leider kann man diese CD nicht kaufen. Es sind wahrscheinlich selbst zusammengestellte oder aufgenommene Stücke. Doch die Waltzing Matilda geht mir beim einen Ohr rein, aber beim andern nicht wieder raus. Sie hat mich nach Hause begleitet und in den Nachtstunden, die ich wegen des Jetlags wach lag, hat sie in meinem Kopf rumgewalzt.
So waltzen wir mit der Matilda Richtung Alice Springs. Plötzlich bekommt die Erde wieder Buckel, Hügel und kleine Berge. Gehören die wohl schon zu den Mc Donell Ranges? Doch nicht nur Hügel sind in der Landschaft neu, auch der Verkehr nimmt zu. Wir kreuzen schon wesentlich öfter als alle halbe Stunden und werden sogar auch mal überholt! Da liegt sogar ein Flugplatz am Fuss eines Steinhügels. Ein Windsack jedenfalls lässt das vermuten. Die Pistenmarkierung ist nicht wie in Kloten mit hochtechnischen Geräten und Lichtern installiert. Es reichen auch ganz gewöhnliche weisse Verkehrshüte für diesen Zweck.
Wiederum sind wir auf unserem Campingplatz angekommen, noch ehe Mittag ist. Heavitree Gap Outback Lodge heisst es hier. Gap darum, weil der Todd River eine richtige Spalte oder einen Einschnitt aus der Kette der Heavytree-Kette herausgearbeitet hat. Der Fluss, die Bahn und der Stuart Higway führen durch diese Passage, dicht daneben unser Camp.
Wir können uns wieder Sandwiches machen und anschliessend gibt’s Sightseeing in der näheren und weiteren Umgebung von Alice Springs. Tim fährt mit uns in die westlichen MacDonell Ranges, wo er uns an einem schattigen Parkplatz auslädt, auf dass wir zu Fuss die paar Meter weiter den Standley Chasm erkunden können (sie haben aber Wanderung gesagt). Im Dix finde ich unter Chasm: Schlucht, Kamm, Riss, Spalte, dasselbe was auf arabisch Siq heisst. Ein ähnliches Gefühl (aber nur fast) wie in Petra. Ähnlich ragen Felswände bis zu 80 Metern über der Schlucht auf, die selber vielleicht sechs oder sieben Meter breit ist und etwa fünfzig Meter lang. Auch der Simpson’s Gap ist so eine Spalte oder Einschnitt in den uralten Gesteinen dieser Auffaltung. Sie gehören zu den ältesten Gebirgen der Erde. Tim weiss viel über das Alter und die Geologie dieser Ranges, die Alice Springs wie eine schützende Ringmauer umgeben. Wenn ich ihn recht verstanden habe, waren sie einmal sogar noch höher als der Himalaya. Und einmal mehr nerve ich mich, dass ich ihn nur der Spur nach verstehen kann. Aber auch im Simpson’s Gap kann ich kein Rock Wallaby sehen, soviel ich mich auch anstrenge. Wenn auch von hier genügend Fotos im Kasten sind, geht’s wieder Richtung Alice zurück. Der Anzac Hill ist ein idealer Ort um einen allgemeinen überblick auf Alice Springs zu bekommen. Ein Kriegsdenkmal mit wehender Fahne gibt dem Ort eine komische Art Feierlichkeit. Oder ist es, weil man von hier nach soviel Tausend gefahrenen Kilometern durch einsames, ebenes Land wieder mal auf eine ganze Stadt blicken kann? Vielleicht ist ja auch der Name Stadt allein schon falsch. Alice hat etwa 28’000 Einwohner und seine Häuser sind alles mehr oder weniger einstöckige Gebäude, die oft die Bäume im Garten gar nicht überragen. Deshalb hat man auch eher den Eindruck auf eine grüne Oase herunterzuschauen, die von langgezogenen Hügeln umgeben ist. Natürlich wurden wir auch hier heraufchauffiert und unten am Fuss des Hügels habe ich an einer Tankstelle einen Roadtrain gesehen. Es sind sogar zwei und von hier oben kann ich ein gutes Bild davon machen. Beide haben vier Tankwagen angehängt. Etwas über fünfzig Meter lang dürfen sie ihre Strassenzüge hier machen.
Dann geht’s wieder durch die Stadt zurück hinaus Richtung Heavytree Gap. Extra langsam kurven wir im Center, denn Fran ist beflissen, uns zu erklären, wo wir morgen an unserem freien Tag die Einkaufsstrasse, Post, Internet, Museum und die Flying Doctors finden können.
Ich hätte da schon noch ein paar Karten fertig zu schreiben, aber ich glaube, ich schliesse mich heute wieder mal denen im Pool an. Die Holländer sind meist dort zu finden. Ich stelle mir nach dem Bad auch noch eine kühle Erfrischung für die Kehle vor, aber das Restaurant ist einfach zu. Es ist jedoch abgemacht, dass wir hier das Nachtessen haben. Also schwimmen wir halt noch eine zusätzliche Runde. Wenigstens ist das Wasser ziemlich tief und nicht ganz so warm. Plötzlich merkt Nel, dass sie ihren goldenen Ohrring verloren hat. Hier im Pool. Mit vereinten Kräften probieren wir zu tauchen um ihn zu entdecken. Da wäre eine Tauchbrille jetzt hilfreich. Ich habe doch eine mitgenommen für das Riff! Also gehe ich zurück zum Zelt. In der Zwischenzeit hatte aber Andreas Erfolg. Jedenfalls einen teilweisen. Der Ring ist wieder da, nur noch der Stecker fehlt. Das ist natürlich fast hoffnungslos, so ein kleines Ding zu finden. Trotzdem versuche ich’s und entdecke tatsächlich bald etwas winziges Gelbes am Boden. Es braucht aber etwa drei Anläufe oder Tauchgänge, bis ich das Ding zu grabschen kriege. Es ist so klein und leicht, dass es mir durch die Wasserverdrängung der Hände immer davon huscht. Diesmal bekomme ich für eine Rettung einen Kuss.
Inzwischen ist nun schon bald Zeit fürs Nachtessen. Jetzt ist offen und zuerst holt sich mal jeder was zu trinken an der Bar. Ein Panaché wäre doch jetzt gut. Es ist zwar ein bisschen kompliziert, bis ich zwei verschiedene Getränke bekomme und dazu sogar noch ein Glas, aber ohne Eis drin. Dabei gibt’s doch für jene, die nicht aus der Flasche trinken können, Röhrchen. Gläser sind nämlich hier in Australien meist überflüssig. Man trinkt auch im Restaurant aus der Flasche oder aus der Dose. Abgesehen davon ist es natürlich auch hygienischer. Also setze ich mich mit meiner Eroberung an meinen Platz und mein Tun wird neugierig beobachtet. “Ah – you make a shandy!” – Shandy? Na saugut, jetzt weiss ich, was ich das nächste mal bestellen muss.
Obwohl unser Nachtessen am Buffet schon in einer langen Reihe auf Bunsenbrennern auf uns wartet, gibt’s erst mal was fürs Gemüt. Man nennt ihn Reptil Rex, der uns nun zuerst eine ganze Menge über die einheimischen Reptilien und Schlangen näher bringt, nicht nur mit Worten. Er hat drei verschiedene Eidechsen dabei und 4 Schlangen. Er kommt nahe an die Tische und der blue-tongued Lizard, leckt spontan Hildas Nase ab. Ich glaube es war ein solcher, der in Yalara unters Zelt kriechen wollte.
Er hat auch noch ein komisches Reptil dabei, eine Tannzapfeneckse, dessen Schwanz fast die gleiche Form hat, wie sein Kopf, sodass man auf den ersten Blick nicht feststellen kann, was jetzt hinten und was vorn ist. Dann holt er Giftschlangen aus der Kiste, mit den blossen Händen. Pam und Suzanne fliehen in die hintersten Ecken des Saales. Er hält diesen Lindwurm hoch und lässt ihn auch auf den Boden, während er alles über Schlangen erzählt und wie man sich verhalten soll, wenn man einer begegnet oder gar von einer gebissen wird. Auf jeden Fall sollte man die Wunde nicht abwaschen, sondern mit einer elastischen Binde zubinden. Eine Hand zum Beispiel bis zu den Fingern, dann zurück bis zum Oberarm und ja nicht mehr bewegen. Auf diese Weise verteilt sich das Gift nicht so rasch im Blut, nur im Lymphsystem. Im Spital können sie dann das Gift in der Bandage analysieren, und können das entsprechende Gegengift verabreichen. Ich frage mich, warum er nicht gebissen wird. Das sei, weil die Schlangen seinen Geruch kennen, denn er habe sie praktisch gross gezogen. Er sei auch schon gebissen worden, aber das war sein Fehler. Er habe die Hände nicht gewaschen, nachdem er eine Ratte, also ihr Futter angefasst hatte.
Zum Schluss holt er noch eine Riesenschlange aus der Kiste, eine olivefarbene Python. Sie ist etwa zweieinhalb Meter lang und sie windet sich um seinen Körper, über die Schulter, um die Brust, zwischen den Beinen durch… Wer will auch? Die Mutigsten beginnen eine Reihe zu machen und Olive schlängelt sich nun langsam von Nacken zu Nacken. Natürlich kommt sie auch bei mir vorbei. Sie ist mächtig schwer und ein bisschen ein komisches Gefühl habe ich bei ihren Zärtlichkeiten schon.
Dann gibt’s endlich Essen. Man kann sich am Salatbuffet gütlich tun. Es hat Fisch und Gulasch. Erst am Tisch sagt mir jemand, dass das nicht Rinds- sondern Kängurufleisch sei, darum ist es so dunkel. Na gut, es schmeckt und jedenfalls kann ich jetzt sagen, ich hätte auch schon Kängurufleisch gegessen. Auch der Fisch ist nicht irgendein Fisch, sondern ein Barramundi. Der berühmte Barramundi, den jeder Australienreisende probiert haben muss. Auch da kann ich mich fassen. Aber vielleicht hat er einfach schon zu lange dort im Warmhaltebecken geschmort.
Nach dem Essen probiert eine Sängerin das Ihre zur Unterhaltung beizutragen. Das Einzige, was ihr aber gelingt, ist dass ich ziemlich bald die Flucht ergreife. Überhaupt möchte ich sehen, ob draussen am Fuss des Abhangs jetzt die Wallabies erschienen sind. An der Rezeption kann man nämlich Wallabiefutter kaufen und bei Einbruch der Dunkelheit kann man sie füttern. Etwa fünf oder sechs sind da und sie fressen einem sogar aus der Hand, obwohl sie sehr darauf achten, dass man ihnen sonst nicht allzu nahe kommt. Sie sehen aus wie kleine Kängurus und sind auch Beuteltiere.
Auch heute verführt mich wieder die Drohgebärde eines Gewitters dazu, mein Zelt zu schliessen. Doch am Schluss sind wieder alles leere Versprechungen.
Dienstag 27. Januar 2004
Wer meint, er könne heute mal ausschlafen, hat sich getäuscht. Zuerst braust mal ein donnernder Güterzug durch den Gap. Hat man sich vom ersten Schreck etwas erholt, bläst der erste Papagei Tagwache. Dann der zweite und dritte und schliesslich stimmen alle 999, welche die Nacht auf den Eukalyptusbäumen hier im Camp verbracht haben, mit ein. Vielleicht eine Viertelstunde lang, dann kehrt wieder einigermassen Ruhe ein. Ich nutze die Musse, um noch weiter an meinen Karten zu schreiben.
Um acht öffnet die Rezeption und ich melde mich auch noch an, um mit dem Shuttle in die Stadt zu kommen. Zusammen mit Holland Hilde suchen wir mal zuerst die Flying Doctors auf. Teresa und John wollen gerade dasselbe. Der Stützpunkt in Alice Springs existiert seit 1939 und betreut ein Gebiet mit einem Radius von 600 Kilometern. Das Team besteht aus sechs Ärzten und acht Krankenschwestern, die für die ärztliche Hilfe auf allen Routine- und Notflügen verantwortlich sind. Hier in Alice haben sie drei einmotorige Pilatus PC-12 Flugzeuge, die von sechs Piloten geflogen und drei Ingenieuren gewartet werden. Das alles und noch mehr erfahren wir auf einem Video, welches extra für uns vier gestartet wird und ich bekomme sogar ein deutsches Blatt. Merkt man’s? Im Besucherzentrum bekommt man auch Informationen über die Flugzeuge selbst und deren Innenausstattung mit Bett, Apparaturen und sogar einem Brutkasten. Im Kontrollzentrum kann man den diensttuenden Beamten durch eine Glaswand bei seiner Arbeit beobachten und er lächelt sogar für ein Foto.
Dann schlendern wir noch ein bisschen durch die Todd Mall und stecken unsere Nase ins Einkaufszentrum, wo wir uns für ein Subway-Sandwich entscheiden. Am Abend wollen wir nämlich zusammen im Restaurant essen gehen. Da kommt Kanada Hilda. Wie war’s denn heute morgen auf der Ballonfahrt? Sie wurde am Morgen um halb fünf abgeholt und erlebte einen wunderbaren Sonnenaufgang im Heissluftballon. Ganz beglückt erzählt sie, dass sie viele Kängurus gesehen habe. Sie hatte eine halbe Stunde Fahrt gebucht, aber da die Windverhältnisse nicht so ideal waren und man zur Landung ein Gebiet suchen musste, wo auch das Auto hinfahren konnte, um alles wieder in Empfang zu nehmen, war sie schlussendlich doch mehr als eine ganze Stunde in der Luft.
Es sind jetzt doch noch ein paar Adressen übriggeblieben, also besorge ich mir noch die restlichen Karten dazu und auch die Marken. Dann zeigt mir Kanada Hilda, wo ich diese praktisch abgepackten Waschpulverbeutel bekomme, welche man in den Maschinen in der Laundry braucht. Auch Trinkwasser poste ich mir, aber diesmal kostet anderthalb Liter nur ein Dollar zwanzig.
Weil Hilde den doch relativ weiten Weg dem Todd River entlang zum Camp unter die Füsse nehmen will, trennen sich unsere Wege. Mir ist es entschieden zu heiss und der River hat auch kein Wasser. “Usually Dry” steht auf dem Stadtplan neben der Bezeichnung Todd River. Manchmal gibt es im Flussbett auch eine Regatta. Die Boote haben aber keinen Boden und vor dem johlenden Publikum wird um die Wette gelaufen.
Wieder allein gelassen, verlaufe ich mich prompt und finde den Durchgang zu jenem Hotel nicht mehr, wo der Shuttle Einstieg ist. Nochmals zu Hilde zurück in den Souvenirshop, wo ich sie verlassen habe, aber sie ist schon verschwunden. Dafür treffe ich Barry. Wieder mal Glück gehabt, er will nämlich auch heim. Auch im Bus sind Suzan und die anderen Holländer. Suzan hat einen Aboriginal-Speer gekauft und zirkelt eine etwa zwei Meter lange Röhre aus dem Bus. Das nimmt mich wunder, wie sie diese mit heim nehmen will. Aber was macht man nicht alles für die geliebten Söhne!
Auch Jürgen hat das Erlebnis seines Lebens. Er hat einen Aborigial getroffen, der mit ihm Bumerang werfen will. Dabei übt er nun eben auch im Flussbett und er ist überglücklich. Zum Andenken bekommt er auf seinem Gerät auch ein echtes Autogramm von einem wahrhaftigen Aboriginal, worauf er natürlich mächtig stolz ist. Ich hatte zwar keine Gelegenheit ihm zuzuschauen, aber Hilda sagt, dass er gar nicht so sehr erfolgreich war mit dem fremden Bumerang. Und das, wo er doch zweifacher Schweizer und auch Deutscher Meister ist …
Auch ein Erlebnis, das ich selber nicht gerne haben möchte, hatte Mike. Er musste sich eine neue Kamera kaufen. Vielleicht hat seinem Apparat das Klima nicht bekommen und er hat sämtliche Daten verloren, den ganzen Uluru und all das? – Ja, es sei wie verhext. Er habe auch noch eine Advantix und diese habe den Film irgendwie nicht transportiert. Jetzt hat er überhaupt keine Bilder. Das soll mir eine Lehre sein. Ich wechsle noch heute den Chip in meiner Kamera aus und nehme mir vor, irgendwo eine Möglichkeit zu suchen, das ganze auf eine CD zu brennen.
Ich habe noch anderes zu tun und probiere mein neues Waschpulver aus. Drei Dollars kostet eine Maschine voll. Es dauert meistens etwa eine halbe Stunde bis sie fertig ist, aber nur, wenn man’s richtig macht. Irgendwie schiebe ich glaube ich die Schublade mit dem Geld nicht richtig ein. Das Geld ist zwar weg, aber es tut sich nichts. Bei der andern Maschine habe ich dann wenigstens Erfolg, aber für sechs Stutz könnte ich mir direkt frische Unterwäsche kaufen. Und am Schluss ist das ganze noch nicht mal sauber. Das nächste Mal nehme ich zwei Beutel.
Auch Hilde hat noch Wäsche aufzuhängen, ehe wir nun zusammen ausgehen wollen. Die erste Enttäuschung ist im Restaurant bei der Rezeption. Das ist auch heute wieder geschlossen. Aber hinten auf der andern Seite im Park hat es auch noch ein Beizlein.
Hier treffen wir auf die meisten von uns. Sie sitzen alle an einem grossen Tisch und vor ihnen herrscht ein wildes Durcheinander von ausgebreitetem Papier. Es sieht aus wie unbedrucktes Zeitungspapier, zum Teil zusammengeknüllt, zum Teil noch offen und darin die letzten Pommes und Fischstücke. Hier gibt’s fish n’ chips! Ich stelle mir eigentlich so eine herzhafte Salatplatte vor und ein rechtes Stück Fleisch. Doch der Koch hat eben gerade die Küche geputzt und will nun Feierabend. Dabei ist erst acht Uhr Null zwei. Ja, dann halt, gibt’s für uns auch Fischnchips – im Zeitungspapier, ohne Geschirr. Und ich freute mich so auf ein feines Nachtessen im Ausgang. Das Bier dazu beschert mir dafür einen baldigen Schlummer.
Mittwoch 28. Januar 2004
Heute heisst’s doch erst 6 – 7 – 8, warum zündet denn Kim das Licht direkt vor meiner Haustüre schon um halb sechs an? Sie ist schon eine Weile am rumoren. Oh – Verzeihung, sie hat sich um eine Stunde geirrt. Bald beginnen auch die Papageien wieder ihr viertelstündiges Morgenkonzert. Da kann wirklich kein Mensch mehr schlafen. Also räume ich mein Gepäck erst mal vor die Haustür. Das habe ich nun gelernt. Duschen und frisch anziehen, das macht man erst nachher. So bin ich heute noch sauber beim Frühstück. Es gibt heute weisse Böhnchen an Tomatensauce und Würstchen, die nach Leberwurst schmecken.
Noch bevor wir wieder weiterziehen, erscheint Tim. Auf den Armen zeigt er uns stolz seinen Sohn. Nochmals vielen Dank, dass du uns gerettet hast!
Die alte Telegrafenstation ist eine Besichtigung wert. Erstens ist es die Geburtsstätte von Alice Springs und die einstigen Gebäulichkeiten sind um 1963 liebevoll in ein Museum umgewandelt worden. Ein Führer erklärt die Funktion um die Jahrhundertwende dieser Anlage, welche jetzt unter Denkmalschutz steht. Wie sie in der Pionierzeit die Leitung gebaut haben. Zuerst haben sie hölzerne Stangen genommen, die frassen die Termiten auf, dann nahmen sie ein Hartholz, welches den Buschfeuern zum Opfer fiel, dann sind sie aufs Eisen gekommen, das hielt. Passierte im Busch dann irgend ein Unglück, wurden manchmal die Drähte gekappt. Das wirkte, es kam bald jemand vorbei.
Später, noch bis im zweiten Weltkrieg waren da eben diese Aboriginal-Kinder zuhause. Ich kann mir kaum vorstellen, wie in diesem Haus, das eigentlich für den Stationsleiter und seine Familie und allenfalls noch für ein paar Angestellte bestimmt war, mehr als fünfzig Kinder Platz gehabt haben sollten. Noch während des Krieges wurde es dann eine Militärbasis.
Weiter geht’s nordwärts. Doch nicht sehr lange, dann gibt’s wieder einen Besichtigungsstop. Es ist der Wendekreis des Steinbocks, dem wir gebührende Aufmerksamkeit zuwenden. Zuhause muss ich mal nachschauen, wo der nördliche Wendekreis verläuft und herausfinden, was das mit dem Steinbock zu tun hat (es ist der Wendekreis des Krebses, mehr hab ich noch nicht rausgefunden). Das Bild auf dem Sockel des Monuments hier am Strassenrand, ist jedenfalls eher das eines Schafbocks.
Somit habe ich nun alle bis auf einen dieser magischen Kreise überschritten. Zuerst war es der Polarkreis im Jahr 1983 auf meiner ersten Reise zusammen mit Werner. Dass der Wendekreis des Krebses eben über dem Oman verläuft, wo ich vor drei Jahren war, habe ich bis jetzt gar nicht gewusst. Den Äquator habe ich vor zwei Jahren, als ich in Brasilien war, zweimal überfolgen. Doch eine Urkunde wie meine Schwester, habe ich nie bekommen. Sie wurde beim Polarkreis von Neptun persönlich getauft und ist jetzt Mitglied beim Polarbärenklub. Auch Datumslinie und Äquator waren noch Ereignisse die eines Zertifikats würdig waren, in einer Zeit, wo noch nicht Krethi und Plethi in der ganzen Welt herumreiste. Dafür verteilt Fran jetzt im Bus ein solches. Aber nicht für den Wendekreis des Steinbocks, sondern eins von AATKings. Das Uluru Walkers Certificate. Es beglaubigt, dass Rita Graber Biel den Wunsch der Anangu respektiert hat und den Uluru nicht bestiegen hat, sondern dass sie die folgenden Wanderungen gemacht hat: Und es sind von den vier möglichen Wanderungen alle angekreuzt, der Mutitjulu-, der Kuniya-, der Mala Walk und der “entire base of Uluru”. Dies bezeugt F.Calvert am 24. Januar 04.
Jemand hat eine gute Idee gehabt und hat eine Karte gekauft. Die bekommt nun Peter, von allen unterschrieben mit den besten Wünschen für eine gute Besserung.
Dass wir nun die Grenze zum tropischen Gebiet überschritten haben, zeigen schlagartig spitze, rote Gebilde an, die aus der Erde wachsen. Es sind Termitenhügel. Zwanzig, dreissig Zentimeter oder vielleicht noch höher ragen sie aus dem hier nun schon überall zu sehenden, niederen Gras heraus. Hügel ist eher das falsche Wort. Es sind meist ganz schlanke Türme, die gleich aussehen, wie jene, welche manchmal die Kinder am Strand mit dem noch flüssig nassen Sand aufpfluttern.
In Ti-Tree halten wir wiederum vor einer Raststätte, wo wir die schattige Veranda zum Lunchen benützen können. Die Getränke holt man sich drin und draussen bedient man sich mit sechs verschiedenen Salaten, Mortadella, Schinken und Würstchen, jene vom Morgen, die nach Leberwurst schmecken. Doch auch jetzt hält sich die Begeisterung im Rahmen. Die Wirtsleute hier haben zwei Hunde und die tun jedenfalls nicht so verschleckt. Sie lieben Fran und freuen sich bestimmt, wenn sie wieder mal vorbei kommt. Auch eine Aboriginal Art Gallery ist diesem Pub angegliedert. Ich erstehe mir eine CD mit Didgeridoo Musik. “Tribal Offerings” heisst sie und ich hoffe, dass sie mich beim Schreiben meiner Memoiren dann etwas inspiriert, (das kommt dann allerdings etwas anders heraus. Das zweite Stück darauf heisst Labyrinth und sei ein Cool Jazz Didjeridu. Das ganze Stück mit virtuoser Klaviermusik mit etwas Didgeridoo im Hintergrund und ich stelle mir dabei immer das Klavier vor, wie es in der Grashütte draussen im Busch herumsteht, auf Hochglanz poliert. Oder wie jenes Klavier von der Telegrafenstation, das auf dem Rücken der Kamele über eine Distanz von 500 Kilometern durch die Wüste transportiert werden musste).
Links von unserer Route beginnt sich Wüste auszubreiten, die Tanami Desert. Das sieht man aber eigentlich nur auf der Karte.
Auch auf der Karte sehe ich, dass in dieser Wüste der Central Mount Suart ist, welcher das geografische Zentrum des Kontinents ist. Wir befinden uns also jetzt wirklich im Herzen Australiens, es ist alles Aboriginal Land, auch die Devil Marpels, wo wir den nächsten Stop einlegen. Links und rechts neben dem Highway säumen eine ganze Anzahl riesiger Granitkugeln die Strasse. Manche stehen da auf einem noch grösseren runden Felsen und man denkt, dass sie beim nächsten Sturm herunterrollen könnten. Die Luft erscheint einem beim Aussteigen schon merklich feuchter, tropisch eben. Natürlich ist Fotopirsch angesagt. Doch es dünkt mich, dass irgendwas mit meiner Kamera nicht stimmt. Ob ihr wohl auch das tropisch Klima zu schaffen macht? Oder sind es die Devil Marpels? Die Geschichte der ersten Weissen, die hier vorbeikamen habe ich aus Hildas Tagebuch erfahren. Selber habe ich sie wieder mal nicht verstanden. Es waren Viehhändler. Sie beschlossen im Schutze dieser Kugeln, die ihnen wie riesige Murmeln vorkamen, zu übernachten. Als sie aber am andern Morgen erwachten, war all ihr Vieh gestorben. Deshalb heissen sie jetzt die Teufels-Murmeln. Die Aborigines nennen sie Karlwekarlwe. Für sie sind es die Eier der Regenbogenschlange, also auch ein mystischer Ort.
Am Himmel brauen sich graue Wolken zusammen. Eine besondere Stimmung begleitet uns, dunkelgrauer Himmel und davor leuchtend weisse Wolken! Es gibt nochmals einen Bisihalt in Wycliffe Well. Es hat neben einer Tankstelle wieder ein Restaurant und was wir natürlich brauchen: WC’s. Es wird behauptet, dass hier einst grüne Männchen gelandet seien oder was in dieser Richtung. Es ist jedenfalls alles dafür vorgesehen. Zum Willkomm stehen solch grüne, jedoch freundlich winkende Mönsterchen in einem Garten. An allen Wänden der Gebäude sind UFO’s und Ausserirdische gemalt. Jedes Roadhouse und jeder Pub entlang des Highways macht halt irgend mit etwas auf sich aufmerksam. Sei es mit BH’s in der Bar oder Raketen im Garten. Hier sind es Aliens. Die Damentoiletten sind mit “FEMALIENS” angeschrieben und die Herren einfach mit “UNISEX”.
Unsere Zelte schlagen wir heute in Tennant Creek auf. Der Kilometerzähler hat seit heute morgen 521 Kilometer mehr aufzuweisen und man merkt, dass wir ins tropische Klima gewechselt haben. Bis das Zelt steht, ist man schon wieder nass und alles entflieht zum Pool. Ein relativ kleines Becken, dass bei so vielen Besuchern ziemlich “crowded” aussieht. Da gehe ich lieber etwas später. Zuerst hole ich mir über der Strasse ein Bild von einem Termitenhügel aus der Nähe.
Nach dem Nachtessen gibt’s heute was spezielles. Jimmy Hooker, ein hier ansässiger Buschmann ist gekommen und hat uns Buschnahrung mitgebracht. Er zeigt uns, was die Eingeborenen alles finden und mit was man überleben kann. In der Mitte eines gemütlichen Sitzplatzes hat er schon ein Feuer entfacht und in dessen Glut schmort bereits ein in eine Alufolie gewickelter Känguruschwanz. Noch ist er nicht gar, doch in der Zwischenzeit hat uns Jimmy eine Menge zu erzählen.
Auf Rindenstücken hat er fein säuberlich verschiedene essbare Samen und Pflanzenteile angerichtet. Man kann von allem etwas kosten. Er gibt uns die Wüstenerdnuss und die Buschbanane, von welcher man alles, also Blatt, Blüte und Früchte essen kann. Tatsächlich ist nichts von alledem zum Ausspeien. Einen flaumigen Pinsel, von einem Gebüsch geerntet, kann man als Seife benützen, er desinfiziert auch. In einem Behälter hat er eine lebende Raupe. Sie ist etwa fingerlang und sieht aus wie ein grosser Engerling. Von den Informationstafeln im Kulturzentrum beim Uluru habe ich schon gesehen, dass diese Made zum Leben der Aborigines gehört, genau wie das Känguru und die Schlange. Sie kommt auch auf vielen Aborigial-Bildern vor. Es ist die Witchetty-Raupe und man findet sie im Wurzelbereich des Witchettybusches. Sie ist wegen ihrem hohen Eiweissgehalt sehr nahrhaft und auch begehrt. Sie werde scheins lebendig gegessen. Da wir von allem probieren können, ist anzunehmen, dass auch die Raupe herhalten muss. Jürgen ist schon ganz giggerig und man sieht ihm förmlich an, dass er hofft, niemand habe den Mut, auf dass er sie bekommt.
Aber zuerst kommt der Känguruschwanz dran. Das schmeckt jetzt wieder ganz anders, als vorgestern das Gulasch. Der kräftige Schwanz, der vom Känguru zum Gehen und Springen benützt wird, hat natürlich auch sehr viele Muskeln oder Sehnen. Wie ein Panzerschlauch ist das Fleisch von einer Ringsehnen-Hülle umgeben. Eigentlich liebe ich solches Zeug, aber ich glaube doch, dass ich mir nie in einer Beiz einen Känguruschwanz bestellen werde. Dann kommt die Made dran. Da sie ausser Jürgen bestimmt niemand roh essen würde, wird sie geröstet. Auch so ist sie eine Delikatesse. Jimmy wirft sie in die Glut und sie explodiert wie ein Popkorn. Dann wird sie auf einem Rindenstück fein säuberlich in viele kleine Stücke aufgeteilt und alle die den Mut haben greifen zu. Sie schmeckt gar nicht so übel. Vielleicht ähnlich wie ein Erdnüsschen?
Jimmy hat aber noch mehr auf Lager. Eine ganze Ballade singt er vor. Ob er selber der Dichter ist? Ich weiss es nicht und verstanden habe ich auch kein Wort davon. Aber es ist trotzdem so gemütlich hier am Lagerfeuer.
Es ist schon bald zehn und ganz dunkel, bis ich heute ins Bett komme und über uns glänzt ein wunderschöner Sternenhimmel.
Donnerstag 29. Januar 2004
Ich habe heute Logenplatz. Als Copilot direkt hinter dem Fahrer. Die Sitze sind nummeriert, aber nicht der Reihe nach. Am ersten Tag musste sich jeder seine Sitznummer merken und am andern Tag musste man einfach zur nächsthöheren Ziffer wechseln. Die Reihenfolge ist so ausgetüftelt, dass man mal weiter vorn, dann wieder eher in der Mitte, dann hinten, mal rechts und mal links sitzt. Heute haben wir eine lange Strecke vor uns, wohl etwa die längste bis jetzt. Stuart, der neue Fahrer nimmt’s locker. Er sitzt bequem, die Ellbogen auf dem Steuerrad und die Hände in der Mitte gefaltet. Es geht ja kilometerweit immer geradeaus Richtung Norden. Erster Halt ist ein Fotostopp am John Flynn Denkmal, dem Initiator der Flying Doctors. Sein Grab haben wir in Alice Springs gesehen, mit einem Stein dekoriert von Devil Marpels. Hier zweigt der Barkley Highway nach Osten ab. Diese Abzweigung habe ich aus dem Flugzeug gut gesehen. Dieses lange, schwarze, ziemlich gerade Band und die rechtwinklige Fortsetzung nach links. Was mich wunderte, waren die vielen roten Striche, die in einem Winkel von etwa 45° von der Strasse abzweigten und von oben wie eine Art Kamm aussahen. Jetzt kann ich sehen, dass es alles etwa fünfzig bis hundert Meter lange, ausplanierte, flache Gräben sind, die wohl dazu dienen, das Wasser von der Strasse weg ins Feld hinein abzuleiten. Wir kommen ja jetzt in eine Gegend, die vom Monsun geprägt wird. Und ich habe die feuchteste Jahreszeit für meine Reise gewählt.
Bis das Denkmal besichtigt und fotografiert ist, ist auch der Bus wieder aufgetankt und weiter geht’s auf dem Stuart Highway. Langsam wird das karge Land saftiger und das Gras erscheint grüner. Man sieht auch ab und zu Kühe weiden. Ein weiterer Bisihalt in Renner Springs beschert uns einen Blick auf einen kleinen See mit vielen weissen Kakadus in den Ästen der Ufergebüsche. Ein kleiner grüner Vogel macht Shirley ganz aufgeregt. Es sei ein Bee eater, ein Bienenfresser. Auch diese hochstelzigen schwarzen Hennen, die purple Swampheads hühnern hier einfach über den Highway. Mindestens alle zehn Minuten kommt ein Brummi oder sonst ein Gefährt. Mehr als ein solch dünner, plattgefahrener Ameisenschmaus zeugt von einer misslungenen Überquerung.
Während der Fahrt schwänzelt auch plötzlich eine etwa halbmeterlange Eidechse über den Weg. “A Lizard!” tönt’s von den vordersten Rängen. Zum Bremsen reicht die Zeit nicht, nur ein sorgfältiges Ausweichen unseres schweren Busses gegen die Mitte der Strasse und es hat ihr gereicht. Sie hat Glück gehabt. In den Sicherheitsinfo-Broschüren wird immer wieder darauf hingewiesen, dass man während des Fahrens immer mit Tieren rechnen müsse und bremsbereit sein soll. Trotzdem habe allzu brüskes Bremsen schon viele ins Schleudern gebracht und das Fahrzeug könne sich dabei überschlagen. Man soll immer daran denken, dass das eigene Leben wichtiger sei, als das einer Eidechse. Ob es auch jener Schlange gereicht hat, welche ein anderes mal über den Asphalt tanzte, bin ich nicht sicher. Ihre Farbe war fast wie die Strasse und ich habe sie erst im letzten Moment entdeckt.
Ein sehr lichter Baumbestand von Eukalyptus und Akazienbäumen hat nun die Einöde des heissen Outbacks abgelöst. Zwischen den Stämmen wimmelt es von tausenden von Termitenhügeln. Waren sie bis jetzt schlank und spitzig wie Giacometti-Skulpturen, dann haben sie nun wieder eher rundere Formen, so dass es aussieht, als ob Samichläuse, Osterhasen oder rostrote Gnomen den Wald bevölkerten.
Lunch time ist im Daly Waters Pub, einer weit herum bekannten Absteige. Fran hat hier noch einen Kaffee zugut. Eine Sitte, wonach man ein persönliches Andenken, sei’s ein Hut, BH’s oder eine persönlich signierte Geldnote aus aller Herren Länder hinterlässt, berechtigt einen bei einem Wiedersehen zu einem Drink. Wer war wohl jener Schweizer, dessen Zehnernote wie an einer Wäscheleine an einem Balken aufgepinnt ist?
Lunch gibt es hier nicht aus unserem Picknickkorb, sondern den für Daly Waters berühmten Hamburger und dazu Chips, sprich Pommes, eingewickelt in ein unbedrucktes Zeitungspapier. Das heisst, ein Riesending von einem Sandwich, gefüllt mit Salat, Randenscheiben, Tomaten und eben einer Riesenscheibe gebratenem Hackfleisch. Zum Glück ist das Brot so amerikanisch schaumgummig, sonst könnte man wohl kaum hineinbeissen.
Hierzulande schreibt man nicht mehr Ladies oder Gents an die Toiletten, da sind’s Dunnies und weil’s nicht alle verstehen, macht ein Schild alles klar: Ladies Toilet, Dunnie, Long drop, Thunderbox, The Loo, Powder Room, WC, The out house, Klo und Scheisshaus.
Schon sind wir wieder weiter unterwegs nordwärts. Ein penetranter Piepston unterbricht den Abba-Sound, der zur Auflockerung des eintönigen Motorengebrumms durch den Bus plärrt. Ein Funkspruch aus dem Äther. Wegen Überflutung können wir heute nicht in Mataranka Homestead campen. Wir werden uns demnach nicht in jenem Palmen umwachsenen Thermalbecken entspannen können, wie dies auf dem Programm vorgesehen ist. Ein Fluss ist dort ziemlich am Steigen und es bestünde die Gefahr, dass wir dann nicht mehr wegkommen, also wird umgeorgelt. Wir fahren weiter nach Katherine. Der Jahreszeit wird alle Ehre angetan, wir fahren durch einen heftigen Regenschauer, aber wirklich nur ein Schauer. Bis wir Katherine erreichen, sieht alles wieder scheinheilig aus. Im Nitmiluk Nationalpark auf dem Campingplatz finden wir genügend Platz. Kein Mensch ausser uns campiert hier.
Entsteigt man dem angenehm klimatisierten Bus, erschlägt einen die Schwüle fast. Erst wird geholfen, die Küche auszuräumen dann, wird das Zelt an ein lauschiges Plätzchen geschleppt, und schon trieft alles. Am besten versorge ich zuerst mal die Brille, denn damit sehe ich schon bald alles verschleiert. Bis die vier Heringe eingeschlagen und die Mittelstange aufgerichtet ist, bin ich komplett nass. Mein neues Uluru T-Shirt ist hinten und vorn klitschnass, mit Ausnahme der BH-Form. Wir haben etwa 80% Luftfeuchtigkeit. So geschwitzt habe ich noch nie, ausser in einer Sauna und dort macht es wenigstens Spass.
Ich habe meinen Platz zwischen drei Bäumen und neben einem Tisch mit Bänken ausgesucht. Das Zelt steht und jetzt geht’s ans Einräumen. Doch tausend Ameisen haben inzwischen meine Tasche erobert und inspizieren neugierig meine Habseligkeiten. Ich stelle alles zuerst auf den Tisch und hoffe, dass sie ihre Gwundernase gestillt haben, bis ich erst mal geduscht habe. Ich klopfe meinen Kulturbeutel aus und schnappe mir ein paar frische Unterhosen und meinen Super-Wickelrock und halte Ausschau nach der Ladies Toilet. Nel will mir ziemlich aufgeregt was erzählen. Ich verstehe was von Fox und schaue wieder mal blöd in die Welt. Lassen wir’s, ich muss jetzt zuerst aufs WC. Da ist glaube ich auch nicht runtergespült worden. Schon will ich auf den Knopf drücken, da sehe ich, dass es ein grüner Frosch ist, der mich mit grossen Augen aus dem Klo anstarrt. “Da ist ein Frosch im WC!” – Nels lakonische Antwort: “Das ist ja das, was ich dir sagen wollte!” …
Da das T-Shirt schon so nass ist, kann ich es auch geradeso gut auswaschen. Ob die Wäsche wohl zum Trocknen kommt? Ich wringe sie einfach mal gut aus, eingewickelt in mein supersaugfähiges Handtuch und dann kommt sie an meine Wunder-Wäscheleine, die zwischen zwei der drei Bäume gespannt ist, wo ich heute schlafe.
Muss ich wohl heut nacht die Fensterblachen schliessen? Mir das vorzustellen, treibt mir schon wieder den Schweiss aus allen Poren. Der Frosch im Klo war ja im Begriff aufzusteigen, also lege ich meine Matratze einfach wieder quer ins Zelt, mit dem Kopf unter das Fenster und geniesse den feinen Durchzug der Nachtluft auf dem nackten, schweissnassen Körper.
Freitag 30. Januar 2004
Noch scheinen die Sterne am Himmel, aber ich bin erwacht ob verschiedenen zipp – zipp-Geräuschen. Es hat dicht gehalten. Nur mein Handtuch ist nicht ganz trocken, dafür ist alles, was trocken war, jetzt eher feucht anzufassen. Ich schlüpfe erst mal in das dreckige und verschwitzte Zeug von vorgestern. Irgendwie bin ich heute wohl mit dem falschen Bein aufgestanden. Ich habe wieder mal Stacheln. In der Dusche hat es jetzt zwei Frösche. Dreht man den Wasserhahn auf und will sich die Hände waschen, beginnt dieser ohrenbetäubend wie ein Presslufthammer zu kreischen und jegliche Art von Käfern und Insekten fliehen aus dem Lavabo. Kakadus, Papageien und Rabenvögel beobachten gut, was auf dem Campground vor sich geht und man hat das Gefühl dass man vom lachenden Hans dauern ausgelacht wird. Einer hat sogar englisch gelernt und sagt dauernd terrible und horrible. Meine Stimmung geht völlig mit ihm einig, triefend und klebrig alles schon am Morgen früh.
Nach dem Frühstück gibt’s eine Bootstour auf dem Katherine River. Der Fluss schlängelt sich hier über eine Strecke von etwa 12 Kilometern durch dreizehn eindrückliche Schluchten mit zum Teil über 100 Meter hohen Sandsteinklippen. Bei der Rezeption des Camps ist auch das Visitor Center des Parks, wo man wieder viel über die Jawoyn-Aborigines erfahren kann, an welche das hiesige Gebiet vor 15 Jahren wieder zurückgegeben wurde. Sie probieren nun mittels Video und Ausstellungen dem Besucher diese, ihre Heimat und Kultur ein bisschen näher zu bringen. Auch hier sind heilige Stätten zu finden.
Auf dem Weg hinunter zum Boot läuft schon mein Foto heiss. Hunderte von fliegenden Hunden hängen noch schlafend im Geäst der Eukalyptusbäume. Der Wasserspiegel des Flusses ist bereits wieder auf eine kritische Höhe angestiegen und der Bootsführer bedauert, dass man nur die erste Schlucht befahren kann. Mit etwas Glück könnte man hier Süsswasserkrokodile sichten, aber möglicherweise sind deren Lieblingsplätze eben auch überflutet. Viele Bäume ragen nämlich fast nur noch mit der Krone aus dem Wasser. Wir legen bei einem grossen flachen Felsen an. Von hier geht’s etwa fünf Minuten dem Fuss einer hohen, senkrechten, orangefarbigen Felswand entlang zu einem Ort, wo tausende von Jahren alte Felszeichnungen von der Geschichte des Jaowyn Stammes erzählen und wo Väter ihren Söhnen ihr Kulturerbe immer weitergeben oder gegeben haben. Bei all den Tausenden von Touristen, die jährlich hier vorbei kommen ist dies wohl in der überlieferten Form nicht mehr möglich.
Das Hochwasser sperrt uns durch eine Stromschnelle den Eingang in die zweite Schlucht ab. Dadurch kommen wir zu einem zweiten Ausflug an Land. Es gibt dort was zu sehen. Es sei aber ein nicht ganz so einfacher Weg und jene mit den Zehenschlappen bleiben an Bord, auch jene, die nicht gerne wandern, gell Rob. Wie meistens trample ich einfach hintendrein und lasse mich überraschen, denn ich habe wieder mal kein Wort verstanden, was der Bootsführer alles Interessantes gesagt hat. Die Felszeichnungen habe ich jedenfalls gesehen und jetzt bin ich froh, dass ich meine neuen Amphibienschuhe angezogen habe. Es geht über Stock und Stein und durch den Bach hin und her. Zum Glück hat’s eine Kette, an der man sich halten kann. Und dann tönt’s aaahh und ooohh. Wir sind an einem Wasserfall angekommen und der Boots-Anbinder, der uns hierher geführt hat, ist schon im Wasser. Ich sehe gerade noch Nel in Slip und BH eintauchen. Es sieht schon recht erfrischend und verlockend aus. Einen Moment noch zögere ich und mache lieber Fotos. Jetzt entschliesst sich auch Hilda noch. Da bin ich nun aber auch dabei. Es braucht gerade etwas Anstrengung und richtiges Gegenstromschwimmen um unter den Wasserfall zu gelangen. Doch ich schaffe es und es prasselt ganz ordentlich auf den Kopf. Für mich ist die Welt wieder in Ordnung und die Vögel singen.
Die Erfrischung tut gut und hält noch lange an, vor allem weil man mit tropfnassen Unterhosen wieder in die Kleider steigt. Aber hiezu habe ich ja meine Funktionswäsche. Am Körper ist alles nochmals so schnell trocken. Auf dem Schiff hat’s Plastikstühle und ich frage mich, ob die andern wohl alle Ersatzwäsche bei sich haben, denn wieder an Land angekommen, verschwindet alles in den Toiletten. Ich habe es wahrscheinlich wieder nicht mitbekommen. Aber im Auto habe ich einen Plastiksack, und das schützt den Sitz auch auf der kurzen Strecke nach Katherine.
Dort sucht sich nun jeder sein eigenes Mittagessen aus, sei’s im Convenience Food Abteil des Supermarktes oder im Bistro. Dort hat’s aber gepolsterte Stühle und es sieht mir etwas zu nobel aus, auch Ian kehrt um. Er geht hier lang und ich dort. Mein Sinn steht nach Salat und in einer Pizzeria versprechen sie griechischen Salat und sie haben Plastikpolster auf den Bänken. Aber ich bin inzwischen schon wieder fast ganz trocken, Odlo sei dank!
Wir sind eine disziplinierte Gruppe und noch nie mussten wir auf jemanden warten. Auf der Weiterfahrt kann man nun zurücklehnen und etwas dösen. Die Landschaft draussen verändert sich nur unmerklich. Vielleicht das Gras, das jetzt langsam höher wird und eine ziemlich hellgrüne Farbe angenommen hat. Daraus empor erheben sich überall die manchmal beachtlichen Termitenhügel in der meist rostroten Farbe des Bodens. Magnettermiten bauen ihre Burgen immer in der Nord-Süd Ausrichtung, damit sie die grösstmöglichen Vorteile von Sonne und Schatten ausnutzen können. Auf dem Bildschirm zeigt man uns zur Einstimmung auf den Kakadu Nationalpark ein Video über die vielfältige Flora und Fauna dieses Gebietes. Ein halbstündiger Bisistopp in Pine Creek verführt überhaupt nicht zu irgend welchen Erkundungstouren durch die Goldgräberstadt. Die Goldmine ist eh schon erschöpft. Der Weg vom Bus zu den Toiletten und zurück an die Bar ist weit genug, wenn’s nur Schatten hat und kühl ist. Letzteres ist zwar ein frommer Wunsch. Nicht mal Eiscreme hat’s hier im Pub. Nur einen Propeller, unter welchem ich einen freien Stuhl ergattern kann. Erst zehn Minuten vor Abfahrt kommt Suzanne mit einer Glace daher. Sie hat sie drüben an der Tankstelle bekommen. Immer verpasse ich das Interessanteste. Ich hole mir auch eine. Bei diesen Temperaturen muss ein solches Ding sowieso speditiv gegessen sein. Ich schaff das noch spielend, bevor der Letzte eingestiegen ist.
Hier zweigt der Kakadu Highway vom Stuart Highway ab und führt uns fast 100 Kilometer durch den Park zu unserem heutigen Camp, dem Gagudju Lodge Cooinda in Jabiru. Auch hier sind wir fast die einzigen Gäste auf dem Platz. Die Sommerferien sind mit dem Australia Day zu Ende gegangen. Ein üppiges Grün mit vielen verschiedenen tropischen Pflanzen und Bäumen mit Papageien und vor allem triefende Schwüle empfangen uns beim Aussteigen aus dem angenehm temperierten Bus.
Wie meistens, verschwinden auch heute wieder fast alle im Pool, sobald das Lager steht. Ich schliesse zuerst wieder meine Batterien zum Aufladen an und dann mache ich mich auf Fotopirsch. Generell sind im Moment nicht allzu viele Blumen am Blühen. Es ist die schmucklose Zeit zwischen den Blüten und den Früchten. Doch hier in diesem Camp finde ich viele blühende Büsche und schöne Palmen in der Nähe des Pools. Ein Auge voll zu nehmen von schwimmenden und tauchenden Kameraden reicht mir vollends. Niemand merkt, dass ich heimlich ein Bild von Emma’s strammen Waden mache.
Sie ist einundzwanzig, sicher hundert Kilo und liebt es im Wasser den Handstand zu üben. Ich selber habe einfach eine Abneigung vor diesen lauwarmen Bassins, weil ich daheim nicht wieder zum Arzt gehen möchte, wie seinerzeit als ich aus Amerika heimkam. Ich denke, je mehr man Angst vor diesen Mushrooms hat, je eher holen sie einen ein.
Wir haben ein schönes und gepflegtes Camp heute. Die WC-Anlagen und Duschen sind erstaunlich sauber und ohne Getier. Dafür hat es heute keinen Sitzplatz mit einem Dach. Aber ringsum stehen hohe schattige Bäume und wir haben einen grossen Rasenplatz für unser Esszimmer zur Verfügung. Die einzigen unerwünschten Viecher hier sind die Mücken. Sie haben die Fliegen des Outbacks abgelöst und ich bin ziemlich darauf bedacht, mich immer gut einzusprayen. Kim verteilt unter allen Tischen brennende Antimücken-Kerzen. Aber Al hat jetzt schon ziemlich verstochene Beine und er kann das Kratzen nicht lassen.
Heute muss ich mich nun nochmals anziehen und von draussen die Läden schliessen. Blitz und Donner machten das zu Bett gehen noch attraktiver. Der Sound ist unüberhörbar, wenn es zu tröpfeln beginnt. Wahrscheinlich würde ich darob erwachen und müsste mir nicht erst das Gesicht waschen lassen. Alles kommt nochmals aus dem Zelt, um die Luken zu schliessen. Über der Tür hat es auch noch eine zusätzliche Blache, diese lasse ich aber aufgerollt. Das macht gerade ein winziges Vordach, dass ich darunter den Reissverschluss, der die Tür oben quer abschliesst, offen lassen kann. So kommt doch wenigstens noch einen kleines Bisschen frische Luft ins Zelt. Der Guss ist aber nur von kurzer Dauer und vorüber, noch ehe ich eingeschlafen bin.
Samstag 31. Januar 2004
Draussen wird’s unruhig. Zipp – zipp – raschel – raschel – murmel – murmel – tropf – tropf ! Gegen Morgen hat es nochmals geregnet. Beim Blick aus meinem Luftschlitz trete ich zuerst mal in einen kleinen See. Die Rolle über dem lebensrettenden Luftschlitz hat das Wasser mitnichten abgeleitet. Im Gegenteil, sie hat es gesammelt und aus diesem Wasserreservoir tropft es nun genau durch den Schlitz. Zum Glück habe ich die Tasche und den Rucksack in den Ecken und die Fläche des Zeltes scheint gegen die Tür leicht schräg zu sein. Mit meinem hochsaugfähigen Trekkinghandtuch ist der See bald geleert, aber trotzdem ist heute der Zeltsack einiges schwerer als sonst. Und für die nächsten zwei Tage bleibt alles so nass versorgt im Anhänger! Entsprechend wie aus dem Dreck gezogen sehe ich auch nach dem Zusammenräumen wieder aus. Die frischen Kleider habe ich mir noch bereitgemacht und die erfrischende Dusche ist jetzt fällig. An Handtuch, T-Shirt und Hosen den gröbsten Dreck schnell ausgewaschen und klitschnass in einem Plastiksack zuoberst in der Tasche verstaut, wartet das Ganze auf eine Waschmaschine im Hotel in Darwin.
Nachdem wir uns den Bauch heute mit Omeletten vollgestopft haben, gibt es erst mal eine Wanderung. (?) Nur 15 Minuten, aber Wasser soll man mitnehmen. Den Rucksack brauche ich nicht, sagt Fran. Aber ich habe gelernt. Besser ich habe ihn immer dabei. Und wie jetzt, ist der Fussmarsch nur zum Boot, auf welchem wir eine Kreuzfahrt auf dem Billabong machen. Und natürlich ist die Batterie schon nach 10 Minuten down. Hätte ich nicht alles dabei, könnte ich von den sagenhaften Spiegelbildern auf dem ruhigen Wasser, dem Jacana und den Seerosen kein einziges Bild machen. Was würde ich mich ärgern! Zwei riesige Adler auf einem Eukalyptus, der Jacana, der auf dem Wasser laufen kann und deshalb der Jesusvogel genannt wird, und sicher 20 Stilleben mit spiegelnden Süsswasser-Mangroven und Jim Jims würden später zur Illustration meines Berichtes über den Yellow Water Billabong fehlen.
Was ein Billabong ist? Das konnte mir vorher auch niemand erklären. Es ist ein Feuchtgebiet mit vielen Tümpeln und relativ sumpfig, wie etwa die Everglades in Florida. Ein Ort, wo sich viele Vogelarten, Schildkröten und nicht zuletzt Süsswasserkrokodile wohl fühlen. Während der Trockenzeit kann man über extra Laufstege verschiedene Teile des Gebiets erkunden. In der Regenzeit überschwemmt dann das ganze Gebiet. Die Tümpel werden zu einem zusammenhängenden See, welcher aber auf weiten Flächen von schwimmendem Gras überwachsen ist. Die Bäume und Jukka-ähnlichen Palmen, die Jim Jims, versinken manchmal bis zu ihren buschigen Kronen im Wasser. Der Wasserspiegel ist im Moment zwei Meter höher als in der Trockenzeit, kann aber absolut nochmals zwei Meter höher werden. Die Handläufe der Stege schauen gerade noch etwa 30 cm aus dem Wasser. Nur die Krokodile sind ganz untergetaucht, keins will sich sehen lassen.
Bis wir zurückkommen, hat Kim die Tische und die Küche noch selber fertig eingeräumt und es geht los zum nächsten Abenteuer. Wie immer ist es eine mehr oder weniger grosse Überraschung für mich, denn ich verstehe die Ankündigung selten ganz. Hinterher kann ich es mir dann zusammenreimen. Auf dem Programm steht ein Besuch des Ubirr Rocks, wo die berühmtesten Felszeichnungen zu sehen sind. Wir fahren wohl zu einem roten Berg, aber er sieht nicht aus wie der Rock Ubirr aus meinem Apa Guide. Ein kurzer Fussmarsch führt uns zum Felsen, wo aber auch recht guterhaltene Zeichnungen zu sehen sind. Der Blitzmanöggel und anderes, dabei auch wunderschöne Waldblumen am Wegesrand. Wer will, kann noch 250 Meter weiter einen Aussichtspunkt geniessen. Den Liter Schweiss, den es kostet, belohnt ein Blick über ein grünes Meer von Bäumen, welches von roten Felsklötzen überwacht wird.
Beim Bus zurück erwartet uns Kim mit einem Stängel Wasserglacé, den wir sogar im kühlen Bus essen dürfen. Hinterher sammelt sie die klebrigen Plastikhülsen bei allen persönlich grad wieder ein.
Nicht weit, und wir halten wieder an. Aus einer Kühlbox werden uns unsere Sandwichs wieder verteilt, welche wir heute morgen noch vor dem Frühstück eigenhändig machen mussten. Aus einer Auswahl von Schinken, Käse, Tomaten, Peperoni, Gurken und Salat, welches auf einem sauber mit Alufolie bezogenen Tisch fein säuberlich in Schüsseln bereit stand, konnte man seine Füllung für das Schwammbrot selber zusammenstellen. In einem Zipp-Beutel, auf welchem man seinen Namen schreiben konnte, kam es dann in der Kühle im Anhänger mit. Im Bowali Visitor Center gibt’s Tische und Stühle unter einem Ventilator und man bekommt kühle Getränke. Wir haben auch genügend Zeit, um die Marrawuddi Galerie zu durchforschen, falls jemand noch kein Didgeridoo, Bumerang oder sonstige Souvenirs eingekauft hat. Ich erfahre hier auch, dass wir am Nourlangie Rock waren, anstelle des Ubirr. Der Ubirr ist nämlich im Moment auch nicht erreichbar wegen Hochwasser und so. Am angenehmsten ist es jedoch im gekühlten Kinoraum, wo man allerlei Wissenswertes über den Kakadu Nationalpark, die Marrawuddis und deren Sitten und Lebensgeheimnisse erfahren kann.
Dann dreht Stuart eine Runde ums Holiday Inn in Jabiru. Es ist mit einer Aussenverkleidung aus grünem Eternit wie ein riesiges Krokodil gestaltet. Mit gelben Augen, Beinen und einem gezackten Schwanz liegt es mit einer Länge von sicher 150 Metern zwischen den Bäumen eines urwaldähnlichen Parks. Ich hoffe, dass wir neben dem Schwitzen nun nicht auch noch strahlen, denn hier in Jabiru ruht dicht unter der Oberfläche des ganzen Nationalparks eines der grössten Uranvorkommen der Welt. Die Mine wurde als Exklave den Ureinwohnern nicht zurückgegeben.
Auf dem Arnhem Highway geht’s nun alles Richtung Darwin. Grössere und kleinere Billabongs reichen bis zur Strasse oder sind gar auf beiden Seiten am Ansteigen. Einmal müssen wir sogar durch einen etwa 1/2 m tief überschwemmten “Floadway” pflügen. An den tiefsten Stellen stehen jeweils Messlatten, woran man den Wasserstand auf der Strasse ablesen kann.
Das Pub beim letzten Kaffeestop gehört wohl einem passionierten Angler. Warum hätte er sonst einen ausgestopften Fisch (dass es so was überhaupt gibt?) in einer Vitrine an der Wand. Er ist sicher mehr als einen Meter lang. Natürlich, er ist angeschrieben. Es ist ein Barramundi! Fran hat immer was von einem Bäremani erzählt, bis ich drauf kam, dass sie von diesem Fisch sprach. Es ist ein eigenartiger Fisch. Ich fragte jemanden, ob es ein Süsswasserfisch sei. Man probierte mir beizubringen, dass er beides sei. Das heisst, er lebt bis er erwachsen ist, im Süsswasser, dann wandert er zum Küstengebiet. Zuerst sind alle Barramundis männlich. Mit drei oder vier Jahren sind sie erwachsen und etwa 60 cm gross und etwa mit fünf Jahren wechseln sie das Geschlecht und werden weiblich. Damit das prozentuale Gleichgewicht erhalten bleibt, bleiben kleinere Fische immer männlich. (Dass es so was überhaupt gibt? Und wer zählt?)
Dann kommen grosse Mango- und sogar Bananenplantagen und langsam hat man das Gefühl, nach so vielen Kilometern hat uns die Zivilisation wieder. Darwin! Jeden Morgen notiert Fran die am Vortag gefahrenen Kilometer auf einen Zettel und zeichnet die Route auf einer Karte ein. Wir haben alle eine solche bekommen und können das ganze darauf übertragen. Seit Adelaide sind es 4966 km. Dazwischen liegt nur Alice Springs als einzige nennenswerte Ortschaft. Wie in Adelaide machen wir zuerst eine kleine Ehrenrunde durch die Stadt, gespickt mit Infos, was wo zu finden ist, wo man am besten Fisch isst und wo man diese füttert. Ich verstehe natürlich wieder: wo man sie futtert.
Ich habe wieder mit Kanada Hilda zusammen ein schönes Zimmer mit zwei französischen Betten drin. Da schon sechs Uhr ist, möchte Hilda erst mal ins Internet, da man nicht weiss, wie lange dort offen ist. Da bin ich natürlich dabei. Hier ist die Benützung nicht begrenzt, man zahlt am Schluss für die gebrauchte Zeit. Inzwischen sind etwa zwölf Mails in meiner Mailbox und jetzt will ich sie doch mal ansehen. Die letzten beiden Male war ich unter Zeitdruck und war mit schreiben der News beschäftigt. Jetzt habe ich halt grad nochmals Geburtstag und sonne mich ein bisschen im Gefühl, beneidet zu werden. Nicht wegen des Sechzigsten, sondern darum, wo ich ihn feiern kann. Ich schicke jedem per AW einfach mal den gleichen Text zurück. Es kappt sogar mit kopieren und habe trotzdem eine ganze Stunde getöggelt. Das nächste Mal will ich jetzt dann doch ein Rudelbums versuchen.
Jetzt wollen wir aber etwas zwischen die Zähen kriegen. Mein Sinn steht nach einem Barramundi. In Alice Springs hatten wir neben dem Känguru auch einen Fisch. Jenes soll auch Bäremani gewesen sein, doch ich stelle mir vor, dass man hier in einer Hafenstadt einen besser Zubereiteten bekommen kann.
Martin kommt des Weges, seinerseits auch auf der Suche nach einer Beiz und ein paar Schritte weiter stossen Frank und Bill dazu. Wir finden einen Tisch, wo wir Spare Ribs, Seafood und Bäremani bekommen. Ich dacht mir’s ja, dass der besser sein kann! Er ist sogar hervorragend. Frank, der Kanadier, der morgen wieder von hier aus heim fliegt, ist über sein Spare Rib enttäuscht. Er vermisst die Knochen. Das ganze riesige Stück Fleisch freut ihn gar nicht so recht. Unterhalten kann man sich hier auch nur, indem man den Saukrach von 2 laufenden TV-Kästen und den eigentlich eher wenigen Gästen noch übertrumpft.
Zeitig kommen wir wieder im Hotel an. Wir können ja für zwei Nächte jede ein riesiges Doppelbett geniessen. Nur die nasse Wäsche, die schon seit gestern nass ist, wartet halt jetzt noch bis morgen, dann wird wohl eine Maschine in der Laundry frei sein.
Sonntag 1. Februar 2004
Wir haben den Wecker auf sechs Uhr gestellt. Hilda hat den eintägigen, freiwilligen Ausflug in den Litchfield Nationalpark gebucht. Ich freue mich hingegen auf einen Tag süssen Nichtstun, nein, erst die Wäsche. Für 3$ ist eine Maschine in einer halben Stunde fertig. Während dieser Zeit kann ich gemütlich zmörgele. Es hat alles was das Herz begehrt. Vom Müesli über Früchte, Joghurt zu Bratspeck, Rösti, weissen Bohnen, Würstchen und sogar Spiegeleier, die in der Konsistenz noch überhaupt nicht “durchgekocht” sind. Nur die Auswahl an Brot ist auch hier amerikanisch. Toastbrot, mehr oder weniger helles, das wirklich den Toaster passieren muss. Eine weitere halbe Stunde und weitere 3$ und unsere T-Shirts und Shorts sind schon wieder trocken.
Ich habe gestern einen Fotoshop gesehen, der am Sonntag offen hat und der anbietet, Fotos ab Memory Stick auf eine CD zu brennen. Den peile ich mir als Nächstes an. Unterwegs treffe ich Suzan an und sie hat dasselbe vor. Ich bin froh, so kann ich ihr das Reden überlassen. In anderthalb Stunden können wir das ganze schon wieder abholen. Für 25$ bekomme ich 2 CD’s. Eine für Mike, der wird sich bestimmt freuen. So hat er wenigstens auch was vom Uluru.
In der Zwischenzeit kann ich ja etwas den Strand oder den Park inspizieren. Doch bis zum Beach schaffe ich es gar nicht. Oberhalb der Klippen ist ein grosser Park mit schattigen Bäumen, wo ein herrliches Lüftchen geht. Dort entwerfe ich ein etwas ausführlicheres Mail, welches ich an ein paar Adressen gleichzeitig senden will. Das Internet-Lokal ist schön kühl und ich verweile wieder fast eine Stunde, bis ich den ganzen Roman eingetöggelt habe. Am Schluss brauche ich nur ein kleines bisschen Hilfe, weil ich zulange auf dem Server war und dieser inzwischen mein Fenster wieder geschlossen hat. Mit vereinten Kräften (die Hilfe versteht die deutschen Infos von Bluewin nicht und ich weiss nicht, was es auf englisch heisst) finden wir das verschwundene und noch nicht gesendete und mit soviel Enthusiasmus getippte File wieder. Ich hoffe nun sehr, dass alle Neun diesen Rudelbums vollständig erhalten werden.
Um eins habe ich mit Holland Hilde abgemacht, dass wir zusammen die Mall, das ist eine Einkaufsstrasse, unsicher machen wollen. Weil es Sonntag ist, haben aber fast nur Didgeridoo-, Bumerang- und Ansichtskartenläden offen, so dass wir bald im Park dem Meer entlang zum Fish feeding wandern. Dort treffen wir Suzan, die die 6$ Eintritt bezahlt hat und eigentlich nichts spektakuläres erlebt hat. Ob jetzt Fische oder Enten füttern, das kann ich auch daheim. Also lenken wir unsere Schritte dem Botanischen Garten zu. Doch auf dem Meer ballen sich graue Wolken zu einer schwarzen Wand zusammen und ein Regenvorhang kommt rasch auf die Stadt zu. Wir kehren lieber um. Dabei treffen wir im Park auf Frank, der den Tag mit Warten zubringt. Sein Flieger geht heute nacht um halb eins. Wir setzen uns noch ein bisschen zu ihm in den Schatten, während das Wetter sich langsam zurückzieht. Von hier aus sieht mein Auge eine interessante Perspektive einer langen Reihe von Parkbänken, die je von einem pergola-ähnlichen Gestell umgeben sind, woran sich schattenspendende Pflanzen ranken.
Um sechs Uhr sind wir am Pool eingeladen. Heute hat Shirley aus England Geburtstag. Kim, dieser Goldschatz hat einen Geburtstagskuchen gemacht und will ihn bis am späten Nachmittag noch an der Kühle halten.
Ein Schwumm im Pool ist eine willkommene Abkühlung noch vor dem Nachtessen. Es hat hier sogar zwei schöne Bassins mit Wasserfall und auch einen Sprudeltopf. Lachend bringt mir das Geburtstagskind ein Stück vom Kuchen und meint, die Stücke würden immer wie kleiner.
Weil ich diesmal nicht wieder allein auf Nachtessensuche gehen möchte, wie in Adelaide, habe ich mich mit Holland Hilde für heute verabredet. Ich könnte absolut nochmals einen Bäremani essen, doch nicht in diesem Krachlokal. Da sich die meisten hier im Hotelrestaurant angemeldet haben und gestern auch sehr zufrieden waren, wollen wir auch nicht in die Ferne schweifen und haben auf der Terrasse einen Tisch bestellt. Neben Bäremani gibt es hier auch Seafood und Känguru. Bestimmt ist es aus dieser Küche auch anders als dort in Alice. Mein Entschluss ist schnell gefasst. Mit einer Art Sojasauce serviert, schmeckt es wirklich ganz anders . Es ist ganz dunkles Fleisch und hat einen Wild-Geschmack. Vielleicht wie ein Wildschwein? Nein – eben wie Känguru!
Kanada Hilda und Ian kommen am Schluss noch an unseren Tisch. Beide waren heute im Litchfield Nationalpark und haben was zu erzählen. Es gibt dort ganz riesige Termitenhügel und Wasserfälle mit Pools, wo sie baden konnten. Ian hatte nachher einen Blutegel am Bein, den man aber kurzerhand mit Salz bestreute und das wirkte auf der Stelle.
Montag 2. Februar 2004
Abfahrt ist heute um acht Uhr und erwartungsvoll haben alle das Badekleid im kleinen Handgepäck oder schon unter den Shorts kopfsprungbereit. Wir nehmen den Stuart Highway und bei niesligem Regen erreichen wir auch schon bald Adelaide River. Dort werfen wir einen Blick auf den Kriegsfriedhof. Ich kann nicht feststellen, wie viele Kriegsopfer hier ihre letzte Ruhe fanden, jedenfalls sind alles junge Männer. Ich habe nur mitbekommen, dass Darwin im zweiten Krieg stark bombardiert wurde und zwar durch einen Angriff der Japaner, die von einer unerwarteten Seite anflogen und dadurch eine ungewarnte Bevölkerung ausbombten. Ein anderer schwerer Schicksalsschlag traf Darwin am Heiligabend 1974. Ein Hurrikan tobte mit Windgeschwindigkeiten über 280 km/h und zerstörte über 5000 Häuser. Weniger als 500 bleiben stehen.
Im Adelaide River Inn steigen wir gerade nochmals aus, diesmal für den Bisistopp. Die Attraktion in diesem Pub ist Charlie, der Star aus dem Film des Crocodile Dundee. Dieser riesige Wasserbüffel mit seinen gewaltigen Hörnern hat das Zeitliche gesegnet und lockt nun ausgestopft noch viele Touristen an. Alle kennen ihn. Da muss ich wohl zu hause wieder mal meine Wissenslücke stopfen.
Unter dem geschützten Dach der Veranda müssen wir direkt die Auswirkungen eines Wolkenbruchs abwarten. Es giesst – wie ein Vorhang rinnt das Wasser über die Kante des Vordaches herunter. Es ist zum Weinen.
Die Wegstrecke zurück nach Katherine ist nicht abwechslungsreich. Alles recht grün und im Moment halt sumpfig und überschwemmt. Die Sitznachbarn vor mir probieren sich gegenseitig Wörter in Walesisch und echt britisch beizubringen. Ich muss natürlich meinen Senf auch dazugeben und werfe das Chuchichäschtli in die Runde. Jetzt muss ich erklären, was das ist und da wird’s schon schwieriger. über Sideboard kommen wir der Sache glaube ich am nächsten. Dafür weiss ich jetzt wie man dem sagt, was jeweils am Morgen nach dem Zeltzusammenräumen unter die Dusche muss: das ist ein wales’sches Muchinbrut.
Darob sind wir bei den Edith Falls angelangt, wo ein Eingeborener uns über die dortigen Bäume und Pflanzen eine kleine Einführung gibt. Die Blüten der Bäume kann er uns nur auf einer Broschüre zeigen, da eben die Zeit der Blüte vorbei ist, genauso wie die Sommerferien. Der schöne See, in welchen die Edith’s fallen, hält auch nicht, was sie uns versprochen haben. Baden ist im Moment verboten. Ob wegen Krokodilen oder Hochwasser, weiss ich nicht. Gehen wir halt ungebadet zum Picknick über. Jedes bekommt wieder ein herzhaftes Sandwich. Diesmal nicht selbstgemacht, aber gut und frisch aus der Kühlbox. Der blauflüglige Kookaburra schaut uns glustig zu und lässt sich sogar fotografieren. Dafür lacht er uns dann nachher wieder aus.
Zum Dessert kann man sich beim Kiosk am Parkplatz eine Glacé kaufen und während man sich gemütlich schleckend fragt, was man jetzt ohne Baden die ganze Stunde bis zur Abfahrt noch tut, kommt die Antwort vom Himmel. In Sturzbächen. Man muss meistens nur etwa 10 Minuten warten, bis es nur noch tröpfelt und alles flüchtet zum Bus. Jetzt sind wir einfach eine Stunde zu früh in Katherine und vertrödeln diese im Woolworth und Café herum. Dabei entdecke ich auf einem Prospekt, dass gestern ein historischer Tag gewesen wäre in Darwin. Die Bahnlinie des Ghan, welcher bis jetzt nur nach Alice Springs verkehrte, wurde erweitert und seit gestern ist nun Der Ozback Explorer auf den Schienen. 5000 Kilometer ist die Strecke zwischen Sydney und Darwin. Die Jungfernfahrt ist schon längstens ausgebucht und habe ein kleines Vermögen gekostet. Die ganze Reise dauert 19 Tage in diesem supermodernen Hotel auf Schienen. In 14 Waggons sind maximal 90 Gäste auf der Reise. Tagesausflüge werden mit Minibussen durchgeführt, welche auf dem Zug mitreisen. Morgen im späteren Vormittag müsste er hier in Katherine sein. Bis dann sind wir aber wahrscheinlich schon über alle Berge, oder nein, in die endlose Ferne entschwunden.
Endlich ist es Zeit, auf unserem heutigen Camp, der Springvale Homestead in Katherine einzufahren. Ich bereite mich schon seelisch auf Frösche in der Toilette vor, aber Stuart biegt diesmal auf die linke Seite ab. Vielleicht ist eine Homestead was besseres als ein Camp in einem Nationalpark. Oder auch nicht. Bei der Ankunft auf dem Gelände hat man eher das Gefühl, man fahre in einen Billabong. Mächtige alte Bäume säumen den Weg links und rechts, die Stämme bis zu einem Viertel im Wasser. Die Krone triefend und die Rinde schwarz vom Regen. Auf einer halb unter Wasser stehenden Wiese tummeln sich 20 bis 30 Wallabies. Fran und Kim steigen aus, um an der Rezeption den Platz zugewiesen zu bekommen und Stu fährt langsam und sorgfältig den bodenlosen Wegen entlang und schafft es, dass der Anhänger wunderbar vor einer schlammigen Pfütze zu stehen kommt. Dafür ist beim Aussteigen aus dem Bus etwa ein Meter breit kein Schlamm. Die gute Nachricht: wir können unseren Platz auf dem ganzen Gelände aussuchen. Niemand anders ist hier. Wiesenplätze hat’s da und dort. Mein Auserwählter liegt in der Nähe der Waschräume, dafür versinkt man im Sumpf, wenn man zum “Esszimmer” geht. Zum Glück hat’s hier ein Dach.
Ich helfe noch, die Tische und Stühle auszuladen und dann geht’s ans Zeltaufstellen. Nummer 6 ist verschwunden. Renz merkt erst, dass er das Falsche hat, als es schon steht. Ich glaub’s nicht recht, denn er hat vorgestern gesagt, dass sein Zelt undicht sei. Widerstrebend nehme ich halt seins und mache mich an die Arbeit. Dabei werden wir wie immer vom Empfangskomitee beobachtet und es tönt unaufhörlich “terrible” und “horrible” und Hans lacht uns aus. Sie haben ja so recht. Im Nu bin ich das reinste Muchinbrut. Im Moment regnet es gerade nicht und die Sonne scheint sogar für zwei Sekunden. Fensterblachen und Türen geöffnet bewirken sogar, dass die Nässe vom Samstag bald aufgesogen ist. Es wird aber zweifellos weiter Regen erwartet und Fran gibt uns den Tipp, mit zwei Schnüren und zusätzlichen Heringen die Fensterblachen etwas anzuheben. Exakt dieses Patent habe ich mir gestern ausgedacht und dafür in Woolworth zwei lange Schuhbändel erstanden. Sie waren billiger als eine Rolle Schnur. Helga brachte mir bei, dass Schnur String heisst. Als ich dann am Pool den Holländern rapportierte, was ich am Nachmittag alles gemacht habe und erwähnte, dass ich Strings gekauft hätte, lachten mich wieder alle aus.
So, die Arbeit ist getan, das Zelt steht und ist am Trocknen, dafür bin ich am Triefen. Vom Mittag her noch im Bikini unter den Shorts. Also suche ich nicht lange weiter und wasche erst mal unter der Dusche den gröbsten Schlamm von den Füssen und zwischen den Zehen ab und gehe auf die Suche nach dem Pool. Natürlich auch hier bisiwarmes Wasser. Trotzdem bringt ein Schwumm etwas Abkühlung. Da hat jemand die Rutschbahn entdeckt und solches muss man mir bekanntlich nicht zweimal sagen. Sie hat etwa vier Kurven und das fliessende Wasser lässt einen in heissem Tempo herunterflitzen. Das Zuschauen macht wohl noch viel mehr Spass, denn beim Auftauchen grölt alles. Bis ich realisiere, dass ich eben einen regelrechten Strip hingelegt habe. Mein “Hüdeli” von Oberteil hat dem Stress nicht standgehalten und fühlt sich nun eher als Halstuch an. Ach Du Schande! Die beiden Holländer Renz und Andreas, die mich sowieso immer mit “Jodelike” aufziehen, lachen Hallo und Dug, der ruhige Brillenflickende und in der Nacht mit seiner Frau Plaudernde, schmunzelt still vor sich hin. Grad zleid gehe ich nochmals, halte aber das Oberteil mit beiden Händen fest, wackle dafür aber nach dem Auftauchen als Entschädigung so gut es geht mit meinem Hintern. Den Foti habe ich dabei, aber die andern Frauen haben ganz seriöse Badkleider an und nur von Emma gelingt mir ein specktakuläres Bild.
Die Wallabies, die ich eigentlich fotografieren wollte, sind eher scheu und entfliehen, sodass ich sie nur mit dem Zoom zu fassen kriege.
Es hat jetzt doch gewartet mit dem Regen bis wir fertig gegessen haben. Zum Dessert kommt Kim wieder mit einem Kuchen, der mit zwei brennenden Wunderkerzen verziert ist. Gestern war es Shirley und heute hat Ria, Renz’s Frau Geburtstag. Als Wiegenlied wird uns heute das aufs Zelt Trommeln des Regens gesungen, jedoch nach einer halben Stunde ist alles wieder ruhig. Nur saugendes und schmatzendes Geräusch der Schritte jener, die vom Waschraum durch den Schlamm heimzu waten. Auf was habe ich mich da wieder eingelassen!
Ich probiere, meine Sachen zu packen und die dreckigen Hosen von heute Abend und sauberes Zeug für nach dem Zeltabbruch zur Hand zu haben. Fünf – viertel vor sechs – halb sieben ist das Motto morgen. Da wird es noch dunkel sein und wir haben die längste Strecke unserer Tour vor uns.
Dienstag 3. Februar 2004
Ich habe diese Nacht lang wach gelegen, doch das Wetter hielt dicht. Nun erwache ich beim ersten Zipp. Es ist viertel vor fünf. Oder war es der erste Regentropf? Ein zweiter folgt, ein dritter… Das ist doch wirklich unfair! Ausgerechnet jetzt! Ich versuche mein Gepäck ans Trockene zu retten. Stu kriecht im Bauch des Busses umher und probiert die Koffer von dort aus in Empfang zu nehmen und einzustapeln. Bis ich das Zelt auf den einen Quadratmeter zusammengefaltet habe, hat seine Innenseite sicher etwa fünf Liter Wasser mitbekommen. Es ist heute auch merklich schwerer zum Schleppen. Die letzte Prüfung wartet vor dem Verstauen im Anhänger. Dort versinkt man jetzt fast bis zu den Knöcheln im Sumpf. Bevor ich mich nun dusche und umziehe, helfe ich den beiden Hilden beim Zelt zusammenpacken. Hoffentlich wäscht der strömende Regen wenigstens den ärgsten Dreck aus meinen Kleidern.
Endlich gibt’s den verdienten Kaffee. Kim hat inzwischen die Küche auch unters Dach gezügelt und allenthalben ist man stehend am Frühstücken. Und jetzt, wo alles klatschnass ist und man die Tische und Stühle einladen kann, hört der Regen auf! Jemand hat Galgenhumor und behauptet: “It could be worse”.
Stuart will erst den Bus wenden, ehe wir alle einsteigen. Das rückwärts Manövrieren mit dem Anhänger, welcher allein sechs Tonnen wiegt, ist nicht so einfach. Bäume sind im Weg. Also wieder vorwärts – wenn’s geht! Die Antriebsräder beginnen sich in den Dreck zu fressen. Anfeuern mit ho – hopp, ho – hopp fruchtet nichts. Die beiden Hinterräder versinken tiefer im Schlamm. Die Fussmatte, welche man vor dem Einsteigen zum Schuhe abputzen braucht, auch. Kartonschachteln, Rindenstücke der Eukalyptusbäume die zu Hauf herumliegen und ganze Äste – nützen nichts. Schaufeln werden aus dem Anhänger geholt. – Nichts! Ein Tisch wird geopfert und unter ein Anhängerrad gelegt, welches auf der andern Seite zu versinken droht. Wie bringt man einen solchen Koloss wieder flott. 23 Tonnen im ganzen. Die daheim haben mir ja einen starken Engel mitgeschickt. Warum soll denn nicht der dem Bus ein winziges Schübslein geben. Bei diesem Gedanken bin ich gerade am Händewaschen auf der Toilette und schon höre ich draussen ein Brummen und Händeklatschen! Danke für das Schübschen! Nochmals vor, aber halt, dort liegt ein riesiger Stein. Gerade im letzten Moment kann Stu noch stoppen und zu zweit holen sie den Brocken unter der Busfront hervor. Nachmals zurück und vor und diesmal knirscht’s. Der beiseite geräumte Stein droht die Tür aufzustauchen. Wieder Spaten her und den Stein untergraben um ihn wegzuräumen. Endlich geschafft! Wir sollen auf der Strasse warten, während der demolierte Tisch und die Schaufeln wieder versorgt werden. Jetzt endlich können wir die längste Etappe unserer Reise beginnen.
Vor uns liegen zuerst einmal 600 Kilometer Stuart Highway, den wir auf dem Herweg gekommen sind. Bekannt sind nun die hier noch grünen und sumpfigen Weiten, die mit Akazien und Eukalypten, wohlbestückt sind. Sagt man dem wohl jetzt Savanne? Dort, wo’s nicht sumpfig ist wieder die hunderttausend Termitenhügel in allen Variationen. Fran schiebt ein Video ein, um die Eintönigkeit etwas aufzulockern, dann schlafen die Meisten wieder. Ich finde das schade, ich sehe nämlich trotzdem immer wieder was Interessantes, und sei’s auch nur einen Wald- oder Steppenbrand in der Ferne. Bei Daly Waters sollten wir nach Programm jetzt in den Carpentaria Highway nach links abbiegen, wo sich einige der grössten Rinderfarmen Australiens befinden. Doch wir bleiben auf dem Stuart Highway, denn die schmälere Strasse ist gesperrt. Sie würde uns noch mehr Abenteuer mit Schlamm und Hochwasser bescheren. In einem Pub beim langersehnten Kaffeehalt muss mir Renz unbedingt was zeigen. Hier bieten sie nebst Ansichtskarten auch Kleber an mit Sprüchen für aufs Auto. Er deutet auf einen der etwa so lautet: Gehe ohne BH und du hast keine Runzeln im Gesicht! Da musste ja was kommen!
Es ist wirklich anstrengend, nichts zu tun und nur mitzureiten. Schnurgerade die Strasse, schnurgerade der Horizont, gleich schnurgerade wie auch die Grenze des Landes ist: eine auf der Karte eingezeichnete schnurgerade Linie. Von Three Ways aus, wo auch das John Flynn Denkmal steht, zweigt die Strasse ab und jetzt geht’s geradeaus weiter ostwärts. Draussen die immer gleichen Bilder: Büsche, Ebene, Eukalyptus, Thermitenhügel.
Gegen Abend ändert sich die Landschaft langsam. Die Ebene sieht mehr nach Weideland aus. Wir sind nun offensichtlich im Land der Rinderfarmen angekommen.
Unser Camp ist heute in der Barkley Homestead. Wenn ein Farmer neben seinem Bauernbetrieb auch noch Übernachtungs- und Verpflegungsmöglichkeiten anbietet, ist dies eine Homestead. Vielleicht so etwas wie Ferien auf dem Bauernhof. Das habe ich jedenfalls so verstanden. Das Angebot der Verpflegung nehmen wir hier in Anspruch, Kim muss nicht kochen. In der mit altertümlichen Landwirtschaftsgeräten dekorierten Gaststube serviert man uns Bratwürste, die schweizerisch sein könnten, mit Rüebli und Stock aus süssen und gewöhnlichen Kartoffeln.
Auf unserem Platz hat es heute wieder Gras, einen gedeckten Sitzplatz und 5000 Fliegen. Das ist der Preis dafür, dass es hier nicht mehr so schwül ist. Wir sind heute 842 Kilometer gefahren. Und ich hab gelauert, bis Zelt sechs aus dem Trailer zu fliegen kam.
Mittwoch 4. Februar 2004
Gut geschlafen und ausgeruht verlassen wir die Homestead. Bye, bye flies! Es geht weiter ostwärts. Weiter ebenes Grasland, bestückt mit braunem Vieh bietet es eine Abwechslung zu den unendlichen, buschigen, termitenverseuchten Steppenlandschaften. Fran macht zum Zeitvertrieb ein kleines Quiz. Au ja, aber da kann ich ja überhaupt nicht mithalten. Man soll nämlich zehn Worte mit nur drei Buchstaben finden, die irgendwie Teile des Körpers sind. Das stimmt schon. Englisch hat sehr viel mehr ganz kurze Worte. Eye, nez, toe, arm, leg…. Sie hirnen alle bis nach vielleicht einer halben Stunde jemand auf den Kiefer gestossen ist. Jaw – mit drei Buchstaben.
Wir nähern uns der Grenze zu Queensland. Die tiefliegende Wolkendecke scheint die Grenze auch zu respektieren, drüben begrüsst uns der blaue Himmel. Ob wir nun wohl die Regenzeit hinter uns haben? Auch die Uhr geht anders in Queensland. An der Grenze lassen wir gerade eine halbe Stunde liegen und beim Einsteigen nach dem Fotohalt bei den Grenztafeln steht wieder ein Fliegenverscheucher an der Bustür, damit nicht jeder auf seinem Rücken 50 Fliegen mit hinein bringt. Kurz nach der Grenze in Camooweal gibt’s Lunchhalt. Dabei ist erst halb elf, oder eigentlich dem Magen nach erst zehn Uhr. Jedoch wir müssen hier rasten, nachher komme lange nichts. Hier hat es wenigstens steinerne Tische und Bänke an einem Rastplatz, ein öffentliches WC, eine Post, eine Art ein Supermarkt, ein Museum und gleich daneben nochmals einen Krämerladen. Damit ist die Ortschaft schon wieder zu Ende. Gestern Abend habe ich mal gesehen, dass Kim die Lunchpakete selber bereit gemacht hat. 34 Schinken-Gurken-Tomaten-Salat-Schalen in Einweg-Plastikschalen. Dazu gibt’s immer Plastikbesteck und fürs Getränk Plastikbecher. So gibt’s keinen Abwasch, dafür sind die Abfalleimer an der Raststätte jeweils voll. Die Sonne scheint und ein Vogel singt dauernd: “pretty – pretty!” Ein kleiner Spaziergang zwecks Dokumentation und Lust auf einen Kaffee bringt mich etwa 100 Meter weiter ans andere Ende des Dorfes zum geschlossenen Museum und auch Grannys Café hat zu. Der Krämerladen gerade daneben hat Glacé zum Dessert. Al schmökert am Tresen in einem antiken Buch, oder besser gesagt in losen, ungebundenen, vergilbten Blättern – Ortsgeschichte. Hinter dem Ladentisch in unzähligen Nischen und Tablaren alles mögliche an Dosen, Spezereien und was man einfach so nötig hat. über der Tür zum Büro, in welchem ebenso ein Durcheinander herrscht, wie hier im Laden, ist ein geschlossenes Kästchen mit der Aufschrift “Poison”, also Gift. Die Tiefkühltruhe erinnert mich etwas an jene im Krämerladen in Japaratinga in Brasilien, wo das Fleisch, Würste und solche Sachen, eingefroren mit einer Kruste aus Eiskristallen auf Käufer warteten. Ist es wohl eine gute Idee, hier ein Glace zu kaufen? Ich hätte schon gerne ein Foto gemacht von diesem Laden hier, darum angle ich mir ein schlankes Eis, worauf was von Berries versprochen wird. Der Verkäufer scheint nicht einen riesigen Umsatz an Glacé zu haben. Mit seinem von Rheuma verkrümmten Zeigefinger, fährt er an der Wand über eine Liste von Preisen. Eins dreissig macht es. Von wo kommen Sie? – Ah, Switzerland ! Und ich erfahre das Neuste und noch mehr über Roger Federer. Das heisst, eigentlich verstehe ich nur Roger Federer und wundere mich, dass man hier wirklich am Ende der Welt den Roger Federer aus der Schweiz kennt. Da ich auf unserem Trip weder irgendwelche Nachrichten zu hören bekomme, noch sportlich auf dem Laufenden bin, habe ich natürlich keine Ahnung davon, dass dieses Tennis-Ass eben gerade bravourös einen Australier besiegt hat. Noch im Laden öffne ich meine Errungenschaft, welche auch prompt auseinander fällt. Ich habe eine erwischt, die mit Gummibärchen gefüllt ist!!!! Zum Glück kommen John und Teresa in den Laden und der Krämer verschwindet mit ihnen im Nebenraum um ihnen was zu zeigen. Diese Gelegenheit benutze ich jetzt um ein heimliches Bild von seinem Sammelsurium zu machen. Dabei beginnt mein Eis zu schmelzen und es tropft auf den Tresen. Während ich ein Papiertaschentuch aus dem Rucksack klaube, zerfällt der Rest des Stängels und am Schluss liegen auf dem Fussboden alles Gummibärchen herum. So kann ich das ganze jetzt küblieren. Das Datum ist einewäg bestimmt schon letztes Jahr abgelaufen.
Dann geht’s auf, weiter ins Nichts. Manchmal ist die Strasse ganz schmal und wenn man ausnahmsweise kreuzen muss, muss jeder ganz aufs Bankett ausweichen, damit man vorbei kommt. 188 Kilometer durch fast unberührtes Land bis Mount Isa, unserem nächsten Camp. Mount Isa in the middle of nowhere, in der Mitte von Nirgendwo. Und dieses Nirgendwo beginnt schon bald nach der Grenze, bald nach dem Krämerladen und ist 40’977 km2 gross. So gross wie die Schweiz, was ich auf grund einer Infotafel auf unserem Campground beweisen kann.
Der Grund, warum Mount Isa überhaupt eine Stadt in Nirgendwo wurde, ist die Entdeckung von reichen Kupfer-, Silber-, Blei- und Zinkvorkommen im Jahr 1923. Laut unserem Tourenbeschrieb könne man hier eine Underground Mine Tour machen. Ich verstehe natürlich wieder was miss und mache, was alle machen. Der Eintritt in zwei Museen erfüllt nicht meine Erwartungen. Es wird die Geschichte der Entstehung der Stadt erklärt und man kann einen Blick in ein Fossilmuseum tun. Versteinerte Kochen von Ur-Vorfahren des Kängurus, Schildkröten und Krokodilen über eine Zeitspanne, wie behauptet wird, von 20 Millionen Jahren. Ich hätte doch besser den kegeligen Hügel erklommen, ich hätte einen lebendigeren Eindruck dieser Stadt mit seinem 250 Meter hohen Schmelzofen-Kamin erhalten. So kaufe ich halt eine Postkarte von diesem wichtigen Ort in Nirgendwo, dessen Grundfläche aber so gross wie die Schweiz ist. Hier, wie auch in Alice Springs und noch an zwölf andern Orten gibt es die School of the air, wo Lehrer die weit verstreut wohnenden Kinder der Grundschule über Ultrahochfrequenzradios unterrichten. In diesem “Klassenzimmer” sind 230 Schüler, die weder ihren Lehrer sehen können noch umgekehrt. Wäre es Vormittag, könnte man dieser Schule einen Besuch abstatten. Nun reicht die Zeit gerade noch, im Supermarkt eine neue Zahnbürste zu kaufen. Meine habe ich wieder irgendwo liegen gelassen.
Noch scheint die Sonne voller Kraft und auf dem neuerstellten Riverside-Campingplatz bauen wir unsere Zelte auf Rasen zwischen den Stämmen von Schatten spendenden Bäumen auf. Wer hat denn da “horrible” gesagt? Es war ganz in der Nähe und nur einmal. Auf dem untersten Ast, aber dennoch unerreichbar für mein Tele sitzt sie. Wahrscheinlich gehört sie zur Gattung Taube und lässt sich nicht von der Ankunft einer Horde zeltaufschlagender Zweibeiner vertreiben. Sie kann ihr Junges doch nicht im Stich lassen. Also ist es diesmal für sie “horrible”. Uns scheint der Platz “pretty” und willkommen auch der Pool direkt daneben. Auf meinen Entdeckungsreisen finde ich einen Riesenkäfer. Es ist die leere Hülle einer ausgeschlüpften Zikade, wie jemand behauptet. Auch dass der Papayabaum zweihäusig ist lerne ich hier. In Brasilien habe ich die Blätter dieses Baums kennen gelernt. Deshalb bin ich sicher, dass diese beiden Bäumchen hier am Wegrand Papayas sind. Aber sie haben verschiedene Blütenstände. Um solche Fragen zu beantworten, führen wir auf dem hintersten Sitz eine Bibliothek mit. Dort kann man nachschlagen was man wissen will über Flora, Fauna, Geo- und Ornithologie und was es sonst noch alles in Australien gibt. Hätte ich doch noch mehr als nur über Papayas nachgeschaut, dann wüsste ich jetzt vielleicht, wie der Horrible-Vogel heisst, oder der Skelett-Busch.
Shirley hat nachträglich alle zu einem Drink eingeladen. Es war vorgestern ihr 74ster Geburtstag. Auch Maurice will heute schon feiern, denn morgen, an seinem Geburtstag, stösst die neue Gruppe zu uns. So gibt’s heute ein spezielles happy hour mit Sekt und Freibier. Ich geniesse einen gemütlichen Abend und ein feines Nachtessen. Vorspeise: nicht geröstete Crostinis, dann Hackfleischpie mit Gemüse und selbstgemachtem Stock und zum Dessert Wassermelone. Ich geniesse auch die Aussicht auf eine regenfreie Nacht bei fast Vollmond und zwei blachenfreien Fenstern.
Donnerstag 5. Februar 2004
Die Fahrt durch die frühen Morgenstunden – es war heute wieder 5 -6 -7, bezaubert durch eine bizarre, hügelige Gegend. Im weichen, gelben Sonnenlicht erscheinen die Bäume wie grüne Flocken verstreut in der Gegend oder sie zieren die Hügelkette wie ein grüner geklöppelter Spitzenabschluss. Die Faszination des rotgrünen Spiels von Boden und Vegetation dauert etwa 100 Kilometer bis Cloncurry. Dort kennen sie wieder nur weites, weites, grünes Gras und Kühe, Kühe, Kühe. Hier sind diese jetzt weiss. Die beiden Ortschaften Julia Creek und Richmond liegen fast zwei Stunden im Hundertkilometertempo auseinander, sind aber wichtige Stationen für den Viehtransport. Seit Cloncurry beigleitet unsere Strasse eine einsame Bahnlinie. Grosse Sammelgehege liegen in der Nähe der Bahnstationen. Nochmals hundert Kilometer weiter in Hughenden gibt’s nochmals einen Bisihalt. Eigentlich hat eher der Bus Durst und wir können inzwischen ein Glacé essen oder den Friedhof über die Strasse besuchen.
Ich mache beides und versuche, die Glacé in den Mund zu bekommen, ohne dass sich bei jedem Mal noch eine oder zwei Fliegen dazwischen drängeln. Auf den zum Teil hundert Jahre alten Gräbern kann man manchmal noch Namen und Jahrzahlen lesen, dann gibt es Stellen, wo man nur nach einem am Boden dahinrostenden Nummernschild ein Grab erahnen kann. Ich frage mich, wo all die vielen Leute herkamen, die hier begraben sind. Da, wo man auf hunderten von Kilometern kaum Spuren von menschlichem Daseins ausmachen kann. Es war das Gold und die Bodenschätze, die hier vermutet und gesucht wurden, vielleicht auch gefunden und inzwischen ausgebeutet.
Beim Bahnhof in Hughenden steht ein etwa ein Kilometer langer Zug mit vier Lokomotiven vorgespannt, abfahrtbereit, direkt eine Attraktion.
Auch unsere Reise geht weiter. Um uns von der grünen Eintönigkeit draussen etwas abzulenken, zeigt uns Fran ein Video zum nächsten Höhepunkt unserer Reise. Dem Great Barrier Riff. Es folgt eine detaillierte Information über die uns erwartende Kreuzfahrt mit Schnorcheln, Tauchen, Glasbodenboot und anderen Unterwassergefährten, was wichtig und was zu unterlassen ist. Ich bin wieder mal ein wenig deprimiert. Habe ich nun das Wichtigste richtig verstanden oder wie schon so oft gerade den gegenteiligen Sinn aufgefasst? Ich werde mal wieder Hilda oder Hilde belästigen müssen.
Nach Stunden ist am Horizont wieder mal ein Hügel in Sicht, direkt wieder eine Attraktion. Und mit dem Hügel kommt der Wald. Die bewaldeten Höhen gehören nun bereits zu den Great Dividing Ranges, die den östlichen Küstenstreifen von der riesigen Fläche des grossen, artesischen Beckens trennt. Die Erde ist hier nicht mehr so rot. Die Termitenhügel haben eine entschieden bleichere Farbe. Gegen Abend haben wir Charters Towers erreicht. Hier fand ein junger Aborigine namens Jupiter im Jahr 1872 Gold. Prompt entstand hier ein florierender Umschlagplatz mit prachtvoller Architektur. Die Börse in der Stadt sei eines der schönsten Wahrzeichen aus dem 19. Jahrhundert. Heute ist Charters Towers mit 12’000 Einwohnern ein Zentrum der Schaf- und Rinderzucht. Würden wir dessen nicht belehrt, würden wir davon nichts spüren, denn unser Camp ist irgendwo ausserhalb der Zivilisation. Auf einem gemähten Feld finde ich die ganze Gruppe bei einem Kricket-Spiel. Ich müsse unbedingt auch helfen. Doch nicht mit den Zehenschlappen. Während ich zum Zelt zurückgehe um die festen Sandalen anzuziehen, hoffe ich, dass es ihnen in der Zwischenzeit verleidet ist. Aber dazu brauchen sie schon mich. Ich habe die Regeln noch nicht ganz begriffen, nur, dass ich jetzt den Knüppel bekomme und abwehren soll. Wieder mal zeigt sich mein brillantes Talent, mit Bällen umzugehen. Ich erwische keinen einzigen der sechs Bälle, auch wenn sie ihn mir noch so wunderschön zuwerfen. Und jetzt habe ich sie wirklich soweit, dass es ihnen verleidet ist, ausserdem ist jetzt happy hour.
Was gibt es sonst noch zu erzählen von Charters Towers? Ah, in der Toilette hat es hier keine Frösche, sondern wir finden einen etwa sechs Zentimeter grossen Hirschkäfer, der unbedingt wieder dorthin ans Licht flieht, auch wenn man ihn draussen vor die Tür gesetzt hat. Sonst ist man heute einfach wirklich müde. Wir haben wiederum eine Etappe von 767 Kilometern hinter uns und das bremst auch die Schreibwut ein wenig.
Freitag 6. Februar 2004
Frühe Morgenstunden lassen einem eine erwachende Stadt noch viel friedlicher erscheinen. Es ist erst sieben und Charters Towers mit seinen hübschen einstöckigen Häusern und eben der alten Börse ist noch nicht sehr belebt. Ich setze mir zur Aufgabe, dass ich einen so schmucken Queenslander auf meinen Chip kriege. Die Verzögerung bis zum Auslösen macht mir natürlich die Sache nicht einfach und wenn von 50 Aufnahmen bei einem das Licht und die Distanz stimmt und das Sujet an und für sich getroffen ist, ohne dass davor ein Kandelaber, ein Auto oder Baum vorbeihuscht, dann kann ich glücklich sein. Ein Queenslander ist ein auf Stelzen stehendes, quadratisches Haus in Holzrahmenbauweise mit einer umlaufenden Veranda. Es sei der einzige eigenständige Architekturstil Australiens.
Mit Charters Towers lassen wir aber die Zivilisation wieder hinter uns. Wir verlassen den Flinders Highway und folgen einer recht schmalen Strasse, welche uns durch das tropische Hochland des Atherton Tablelands führt. Alles ist bewaldet. Es ist zwar kein dichter Wald und überall weiden darin die Kühe und Rinder, also ist die Gegend doch nicht unbewohnt. Auch Kängurus tun sich am frischen Gras gütlich. Der Himmel ist grau und der Scheibenwischer ist meist in Betrieb. Niemand begegnet uns. Bald ist schon Zeit für einen Kaffeehalt. Greenvale ist ein kleines Dorf, wo Fran ein Restaurant weiss. Schon beim Einfahren ins Nest hat es Wegweiser, die einen zum Sausage Tree führen. Im Garten des Restaurants kann man dann dieses Kuriosum bestaunen. Ein Baum, der statt Äpfel jetzt halt Würste hat. Sie sehen aus wie Zucchettis. Die etwa zehn Zentimeter grossen auberginefarbigen Blüten sind eben am Abfallen, aber der ganze Baum hängt voller Früchte. Neben dem Schulhaus hat es noch einen zweiten solchen Wurstbaum. Der Baum kommt in Südafrika, hauptsächlich in Mozambique, vor. Es hat in Australien nur noch zwei in Townsville und einen in Adelaide im Botanischen Garten. Dort habe ich ihn aber nicht gesehen. Aber noch andere Bäume ziehen hier ihre Aufmerksamkeit auf sich. Direkt über der Strasse kokettiert einer im gelben Blütenkleid. Ein Busch erinnert an unseren Goldregen, nur sind seine Blüten doppelt so gross. Im Moment scheint auch kurz die Sonne und man hat hier ein richtig frühlingshaftes Gefühl. Ein dritter, hoher Baum steht nicht mehr in Blüte, dafür gibt er mit prallen, dicken Bohnen hoch an.
Die Waldreise geht weiter. Habe ich schon gesagt, dass es in Australien über 700 Arten von Eukalypten gibt? Meistens bestehen die Wälder aus solchen. Der Baumbestand ist nicht so eng. Der Boden hat noch genug Licht für eine dichte Grasnarbe und daraus erheben sich Termitenhügel. Diese Ameisen hier gingen aber in eine andere Schule. Ihre Häuser sind nicht so schlank und spitzig, wie jene im Northern Territory. Hier haben sie einen bulligen und runden Baustil. Es sieht aus, als ob kleine Elefanten durch den Wald bummelten.
Es ist Mittagszeit und wieder regnet es. Am Picknickplatz in Mount Garnet hat es nur ein öffentliches WC, aber keinen gedeckten Sitzplatz. So erleichtert man sich mal dort, wo’s ein Dach hat und wartet die Viertelstunde ab, bis man seinen Lunch am Salatbuffet fassen kann. Am Trailer hat man einen grossen Plastikvorhang angebracht, um wenigstens den Tisch, wo die Schüsseln aufgestellt werden, am Trockenen zu haben. Dann sieht man Leute mit Schirm und Plastikteller über die Strasse wandern, dort wo man bei der Tankstelle noch was zu Trinken dazu bekommen kann. Es sagt aber auch niemand was, wenn man dort nur unter dem Vordach seinen Teller leer isst. Heute steht mein Sinn nach einem heissen, guten Kaffee, aber ich sehe nirgends eine entsprechende Maschine. Also probiere ich’s mal hundert Meter weiter. Doch auch in jenem Pub, wohin einige in Erwartung eines besseren Lunches entflohen sind, erhalte ich nur den allgemeinen, angebrühten Feld- Wald- und Wiesenkaffee. Auch die andern haben keinen guten Schigg gemacht. Sie sitzen vor einer Portion Pommes, da hätte es beim Trailer doch mehr Auswahl gehabt …
Unfreundliches Fotzelwetter begleitet uns. Alle Creeks führen eine Menge Wasser und man kann sogar sehen, wie sie am Anschwellen sind. Mehr als einmal pflügen wir auch durch eine überschwemmte Fahrbahn. Die Bergstrasse führt uns weiter über einen 920 m hohen Pass der Tablelands. Windy Hills heisst es hier, doch die Windmühlen, die Strom machen sollten, stehen still. Es ist neblig und trüb. Die Gegend sieht hier fast schweizerisch aus, hätte es nicht so fremdländische Bäume. Auch schwarz-weiss geflecktes Vieh, es kommt mir fast vor, wie im Oberbaselbiet. Und doch, ein paar Kilometer weiter biegt der Bus um eine Kurve und wir befinden uns in einem richtigen Regenwald, nicht nur weil’s regnet. Die Pflanzen, die hier am Strassenrand zu sehen sind, wachsen im Baselbiet höchstens in den Stuben. Ein Philodendron scandens rankt sich direkt neben dem Parkplatz an einer Liane empor. In Millaa Millaa hat Stu bei einem richtigen Dschungelfall angehalten. Ein Wasserfall wie ein Vorhang, ergiesst sich in einen Pool, der rings umgeben ist von Urwaldbäumen und Farnen.
Es geht noch eine ganze Weile weiter durch vertraut scheinendes Gebiet. Das Gras wächst hier fast zum Himmel. An einem Ort ist es so hoch, dass man von den Kühen gerade noch den Rücken sieht. Nur die Häuser, die heimeln nicht an, meistens sehen sie aus, wie bei uns die Gefährte, die auf den Caravan-Plätzen stehen, eigentlich eher wie Baracken und dem sagen die “Häuser”!
Ein Wegweiser kündet Nick’s Restaurant an. Dabei macht er mit dem Schweizerkreuz Reklame. Auch er hat sich wohl hier wie zuhause gefühlt, dass er sich da niedergelassen hat. Es gibt noch eine Attraktion im Wald zu sehen. Das ist der Curtain Fig Tree, eine riesiger Würgefeigenbaum. Man hat einen hölzernen Steg um diesen Baum herum gebaut, vielleicht zweihundert Meter lang. Man staunt ob dieser vielen langen Luftwurzeln, welche sich wie ein Vorhang von der Krone des Baumes bis zum Boden drapieren.
Noch bevor wir Cairns erreichen, müssen wir die Gillis Ranges bezwingen. Eine ziemlich kurvenreiche Bergstrasse führt uns talwärts. Für Schweizeraugen wieder nicht sooo spektakulär, jedoch sieht man bei einigen Mitreisenden eine heilige Ehrfurcht im Gesicht geschrieben.
Dann liegt es vor uns. Das Meer mit seinem einzigartigen Riff weit draussen. Der Campingplatz liegt in Cairns selber. Da es aber dort keinen gedeckten Platz hat, müssen wir uns selber einen konstruieren. Bis jetzt haben wir sie noch nie benötigt, aber wir führen oben in unserem Trailer eine riesige Zeltblache mit. Fran hat für jeden von uns eine Arbeitseinteilung gemacht. Und noch bevor wir auf den Zeltplatz fahren, weiss jedes sein ihm zugeteiltes Ämtlein. Alle müssen mithelfen. Starke Männer fassen Mittelpole und die äusseren Stützstangen. Alle Frauen und jene, denen man nicht lange eine grosse Instruktion auf Englisch erklären kann, stehen bereit und nehmen die Blache in Empfang, wenn sie abgerollt wird. Sie darf nicht auf den Boden kommen. Dann muss man sie so lange hochhalten, bis alle Stützen festgezurrt sind. Das tönt ja ganz abenteuerlich.
Zuerst bekommen wir wieder von der Rezeption unsern Platz zugeteilt. Das ist noch einfach. Es ist nur eine Rasenfläche im ganzen Campground vorhanden, wo man Zelte aufstellen kann. Das andere ist alles überbaut mit Bungalows, die alle in Gärten mit Palmen, Bäumen und blühenden Sträuchern schön versteckt sind. Der Weg, wo Stu jetzt den Trailer rückwärts hinein manövriert, scheint aber auch schon recht aufgeweicht zu sein. Auch im Rasen hat es nicht erst eine Pfütze. Es scheint, dass wir hier interessierte Zuschauer haben. Bewaffnet mit Röllelikoffer und sonstigem Gepäck. Erst jetzt dämmert mir, dass ja das die neuen Teilnehmer unserer Gruppe sind, die hier zu uns stossen. Zwölf Neue. Es seien vier Paare und vier Single Männer, Kanadier. Vielleicht ist da was für Hilda dabei? Dug und Charlene werden uns morgen verlassen, dann werden wir 39 sein. Das heisst, wir müssen etwas zusammenrücken im Bus. Ich warte mal ab, ehe ich mich entschliesse, mit jemandem “zusammen zu ziehen”. Es hat mich auch niemand gefragt. Vielleicht ist ja jemand von den Neuen dabei, der deutsch kann.
Jetzt geht’s aber an die Arbeit. Als erstes werden wir mal von einer Wolke Staub berieselt, und Mund und Augen geschlossen, greifen wir in die Luft um das Ende der Blache zu greifen. Stu und Kim kontrollieren den Haspel, damit sich die Rolle nicht zu schnell abwickelt. Es klappt alles wie am Schnürchen. Bald tragen etwa zehn Stützen, welche mit Seilen und starken Heringen verankert werden, das recht schwere Dach, unter welchem wir das “Esszimmer” aufbauen können. Es ist gut, habe ich meine Zehenschlappen an, die Wiese, sofern vorhanden, schmatzt ganz ordentlich.
Drei Nächte bleiben wir hier. Diesmal könnten wir ja auch streiken. Kanada Hilda und ich sind uns bald einig. Wir werden zusammen versuchen, ein Zimmer zu bekommen, so wie es Rob immer und andere manchmal machen. Also reihen wir uns in die lange Schlange vor der Rezeption ein. Es hat auch Vierer-Bungalows. Da würden Hilde und Emma auch mitmachen. Jetzt ist Suzan an der Reihe mit einchecken. Sie ist auch eine von jenen, die das Zeltaufschlagen nicht so lieben. Sie findet heraus, dass man sogar zu fünft ein Bungalow haben kann. Wenn man das dann aufteilt, zahlt jedes für alle drei Tage nur 44 $. Es müssten sich aber zwei ein Französisches Bett teilen. Mit Kanada Hilda kann ich das schon. Wir sind einverstanden. So haben nun alle von uns fünf Single Frauen ein festes Dach über dem Kopf. Dann soll doch der Regen kommen …
Es dachten jedoch nicht alle so egoistisch wie wir. Es hat noch solche unter uns, die ein bisschen solidarisch denken und eisern ihr Zelt trotzdem aufgeschlagen haben. Sie wollen die Neuen doch nicht so vor den Kopf stossen. Für diese ist es sowieso nicht so einfach, in eine Gruppe hineinzukommen, die nun schon seit drei Wochen zusammengewachsen ist.
Bis wir unser Appartement bezogen haben ist auch schon happy hour. Fran ist noch am Informieren, wie der Karren bei uns läuft, während ich mit Barry den Apéro geniesse. Ich habe mich jetzt schon ein bisschen an die Sprache gewöhnt und verstehe die meisten schon etwas besser. Obwohl ich mit den Engländern am meisten Mühe habe. Das heisst eigentlich nur mit Al, Rob und Emma. Diese staune ich meistens nur an, wenn sie etwas zu mir sagen. Barry erzählt mir nun (er ist übrigens auch Engländer), dass er Rentner und geschieden ist, er aber eine Freundin hätte. Sie hat Herzprobleme und wollte deshalb solch einen Trip nicht mitmachen. Ich finde es gut, dass er sich das jedenfalls nicht vermiesen lässt und es allein gewagt hat. Und jetzt wage ich auch etwas für mich allein! Fran ist mit ihrer Information fertig und ich stelle mich breitbeinig an den Tisch, wo sie eben gestanden hat. Ich hätte da ein Problem, ich würde nämlich immer die Hälfte nicht verstehen und möchte gerne wissen, ob jemand in dieser Runde Deutsch spricht. Auf Englisch vorgetragen, wohlgemerkt! Ja, Wir kommen aus der Schweiz!…… Am liebsten würde ich jetzt gerade Ernst und Susanne umarmen, so lieblich tönt das Schweizerdeutsch in meinen Ohren. Sogar selber schweizerdeutsch zu sprechen kommt mir im ersten Moment fast ein bisschen fremd vor. Na, was bin ich jetzt glücklich!
Das zweite Ehepaar sind Martyn und Hilary aus England, dann ein Vierergespann aus Wales, zwei Schwestern mit zwei Schwägerinnen. Dass ich Wales nicht zu England zählen darf, weiss ich jetzt schon. Dann sind Philipp und Brian aus England da, Ian (der zweite Ian in unserer Gruppe) aus Schottland und Bob aus Kanada.
Unser Bungalow ist durch eine kleine Küchenkombination und einen Kasten auf deren Rückseite in zwei Räume aufgeteilt. Wenn man im vorderen Raum das dritte Bett unter dem zweiten hervorzieht, bleibt zum Tanzen nicht mehr viel Platz. Aber wir wollen ja auch nur am Trockenen schlafen. Auf unserer Seite, gerade neben dem Doppelbett ist ein Klimagerät, welches auch mit dem Hausschlüssel in Betreib zu setzen wäre, wie jenes in Darwin. Doch das graust mir. Auch Hilda ist mit mir einig. Wahrscheinlich wären wir Eiszapfen und jene drüben hätten doch nichts davon. Wir sagen denen einfach nichts und lassen wenigstens den Propeller auf Hochtouren laufen. Einen solchen haben sie drüben nämlich auch. Aber trotzdem ist es entsetzlich schwül. Doch lieber noch schwül, als am Morgen Halsweh.
Ich erwache ob einem Weinen. Noch ehe ich mich erinnere, wo ich bin, ist neben mir Hilda schon aufgestanden. Drüben weint jemand – richtig – tröstende Worte von Hilda. Ich glaube es ist Emma. Etwas später geht Emma ins Bad und Hilda kommt wieder ins Bett. Es war Emma. Sie hatte so einen starken Krampf in den Beinen, der sich nicht lösen wollte. Ihre Mutter leide auch unter diesem Phänomen. Für mich ist das erstaunlich, bei so einer jungen Frau. Aber vielleicht leistet ihr Gewicht dem auch Vorschub und sicher nicht zuletzt das lange Sitzen im Bus.
Gegen Morgen wird unsere Ruhe nochmals gestört. Draussen kübelt es. Wie ein Trommelfeuer prasselt der Regen irgendwo auf ein blechernes Vordach. Wie wir uns doch zu unserem Entschluss, ein Zimmer zu nehmen, gratulieren!
Samstag 7. Februar 2004
Die Wetteraussichten für heute sind nicht besonders und es ist sogar eine Wirbelsturm-Warnung für dieses Küstengebiet in den Nachrichten durchgeben worden. Das hat man dann davon, wenn man fernsehen kann. So tauschen wir mit dem Programm von morgen. Vielleicht bessert sich das Wetter für unseren Riff-Tag bis dann. Trotzdem haben Optimisten die Esstische unter dem Dach hervor auf die ein bisschen trockenere Wiese gezügelt. Auch heute begrüsst mich Renz wieder mit seinem blöden “good morning Jodelike”. Diesmal bin ich aber vorbereitet. Ich habe nämlich gestern Suzan gefragt, ob sie mir eine gute Antwort darauf hätte. “Ho gaat et kaaskop?” antworte ich ihm fröhlich, was soviel heisst wie “wie geht’s Käsekopf” und das sei so ein Spitzname für einen Holländer. Anscheinend habe ich es sogar richtig ausgesprochen, denn ihm bleibt gerade der Mund offen stehen. Aber auch die andern zwei Holländer sind platt und lachen schallend. Gut gemacht, muss jetzt auch Renz zugeben und lacht mit.
Es geht prompt nicht auf mit der Sitzverteilung im Bus. Susanne setzt sich mal zu mir und Ernst ist irgendwo. Aber morgen wird der Sitz von Dug und Charlene frei, den können sie sich dann zusammen unter den Nagel reissen. Es ist heute sowieso nur eine kurze Anfahrtstrecke bis Caravonika Lakes, der Talstation der 7,5 km langen “Skyrail”. Sie nennt sich die längste Kabinenseilbahn der Welt und man schwebt mit ihr lautlos über tropischen Regenwald. Es hat drei Sektionen und bei jeder Station kann man aussteigen und an Führungen, die dort angeboten werden, teilnehmen. Es hat auch hier hölzerne Laufstege, von welchen aus man in einiger Höhe dem Dschungel ein bisschen näher kommen kann. Ausserdem habe ich an der Talstation ein Informationsblatt bekommen, wo man darauf aufmerksam gemacht wird, was alles von oben zu sehen ist. Man kann sich dabei an den Masten-Nummern orientieren. Auch wenn es deutsch ist, schaffe ich nicht beides: lesen und schauen. Und draussen auf dem Steg bin ich zu weit weg und vielleicht ist es sowieso besser, ich lasse andern den Vortritt, die besser Englisch verstehen. Die mächtigen Hirschgeweih- und Korbfarne, aber auch Orchideen kann ich trotzdem gut sehen. Aus der Gondel lässt sich nicht so gut fotografieren, weil die Scheiben so verregnet sind. Es ist jedoch recht eindrücklich über den Baldachin all dieser fremden Baumarten dahinzuschweben. Manchmal kann man den Lärm der Zikaden hören, dann ist auf einen Schlag wieder Stille. Von weitem steigt ein Nebel aus dem Tal auf. Dort stürzt sich der Barron Fluss über Felswände in die Tiefe. Bei der zweiten Station hat man bei drei Aussichtspunkten einen atemberaubenden Überblick über das tosende Wasser. Da ist natürlich die Regenzeit wieder ein Positivum, denn soviel Wasser wie im Moment, führt der Fluss wohl selten und umso spektakulärer und eindrücklicher präsentiert sich der “Bärenfall”. Auch an dieser Haltestelle hat es ein Infozentrum mit Videos und Informationen über den Regenwald, seine unglaubliche Vielfalt an Pflanzen und Tieren, aber auch deren Beziehung zueinander. An Computern kann man sich in interaktive Animationen vertiefen. Man muss rausfinden, welche Baumart wie und warum da steht und welche Vögel sich dort aufhalten und so fort. Man kommt immer erst weiter, wenn man nachgeschaut hat, warum man falsch geraten hat.
Dann kommt Kuranda. Ein auf Touristen zurechtgeschneidertes Örtchen wo es nicht an Souvenirshops und Verpflegungsmöglichkeiten fehlt. Eine schöne gepflegte Hauptstrasse mit Banyon-Bäumen und vielen wunderschönen Blumen in den Gärten. Ein Aboriginal-Shop mit Didgeridoos und Bumerangs und sonstiger Aboriginal-Kunst sieht noch recht gediegen aus. Vielleicht kaufe ich mir hier eine Kleinigkeit, die man im Gepäck mit heim nehmen kann. Diesen Bleistift zum Beispiel könnte ich schon gut gebrauchen. Die richtige Härte hat er jedenfalls. Doch im letzten Moment fällt mein Blick auf den kleinen Warenstempel: “made in China”! Da gibt’s mir wieder fast etwas. Da meint man, es würden mit diesen Sachen die Eingeborenen unterstütz, aber von wegen!!! Also sind wohl auch die vielen Didgeridoos nicht von original australischen Termiten ausgehöhlt worden.
Ich bin mit Holland Hilde unterwegs und irgendwo sollten wir noch etwas essen. Man ist ein bisschen hin- und hergerissen. Zuerst essen und nachher Sightseeing oder umgekehrt? Vielleicht schauen wir erst mal, was das Butterflymuseum bietet. Dieses befindet sich am andern Ende des Ortes. So können wir gleichzeitig die Menükarten inspizieren. Dreizehn Dollar Eintritt für die halbe Stunde, die wir dafür Zeit hätten, ist mir etwas zuviel. Auch das Papageienmuseum kostet gleichviel. Shops und Souvenirläden säumen die Wege von hier nach da. Hier gibt es lustige Eidechsen, Krokodile und Schmetterlinge, welche im Wasser auf ihre sechsfache Grösse wachsen. Vielleicht etwas für meinen Enkel, der liebt alle Arten von Monstern. Gerade um die Ecke kann man Koalas knuddeln. Hilda, Emma, Susan und Rob bringen alle ein allerliebstes Foto mit heim. Mit einem Koala im Arm strahlen sie und jedes Bild ist wirklich gut gelungen.
Hilde und ich kehren dorthin zurück, wo’s Fish n’ Chips gibt. An der Theke, wo man die Bestellung auch gerade zahlt, bekommen wir eine Nummer auf einem Ständer und können uns mit dem Getränk einen Tisch aussuchen. Bald bringen sie uns den Fisch, diesmal aber im Teller und viel frischen Salat dabei.
Stu ist inzwischen mit dem Bus hier herauf gekommen. Er fährt nun mit uns zu einem Aboriginal-Kulturzentrum. Dort ist man ebenfalls auf Touristen ausgerichtet. Aber man probiert, ihnen etwas von der Kultur und den Tänzen der Eingeborenen zu zeigen. Nicht ganz schwarze Männer, am Körper reich bemalt und mit einer Lendenschürze bekleidet, spielen neben einem Graszelt mit einer Feuerstelle auf dem Didgeridoo ihre fremdartigen Melodien. Wäre Jürgen noch mit uns, würde er bestimmt der Aufforderung folgen, es auch auszuprobieren. Aber niemand von uns hat Lust, auch in diesen “Knebel zu speuzen”, also wenden wir uns dem Speerwerfen zu und von da dem Bumerang. Hier kann man wieder selber probieren. Alle Zuschauer müssen hinter dem Maschendraht bleiben, denn der Bumerang, welchen der halbnackte Mann wirft, kommt tatsächlich zurück. Eins ums andere darf auch mal. Die einen haben mehr Erfolg, die andern weniger. Ich probier’s erst gar nicht, will mich nicht wieder blamieren, wie beim Kricket. Ich spiele lieber Paparazza.
Dann werden wir in eine Zuschauerarena geführt. Jetzt kommen die Tänze. Zuerst ruft der Didgeridoo-Spieler zur “Corroborree”, der Zusammenkunft auf. Dann kommt ein Mücken-Tanz. Das heisst sie führen vor , wie sie sich bei der Jagd in dem Mangrovensümpfen mit Zweigen der Mücken erwehren. Oder wie sie aus einem gefällten, hohlen Baum den Honig herausholen und vor Freude tanzen. Auch die Kängurus, die sie imitieren, sieht man gut.
Zum Schluss der Warran-Jarra der Beinschwinger. Dazu braucht’s natürlich Leute aus dem Publikum. Hilda ist eine der Ersten. Auch Nel und eine der vier Waleserinnen opfern sich. Jetzt wollen sie unbedingt noch einen Mann haben und locken einen Asiaten auf die Bühne. Nicht wahr, es ist gar nicht so einfach, alles nachzumachen, auch wenn’s schliesslich langsam demonstriert wird!
Das wär’s dann gewesen, die Dreamtime mit den Pamagirris.
Wir fahren wieder zurück nach Kuranda zum Bahnhof. Eine Fahrt mit der nostalgischen Kuranda Bahn, darf man sich ebenso wenig entgehen lassen, wie jene mit der Skyrail. Allein schon der Bahnhof mit seinen blumen- und pflanzen-geschmückten Perrons sind eine Augenweide. Die bunt-blaue Lock, die durch den Urwald fährt, macht sich sicher gut auf jedem Bild, falls man eins davon erwischt. Bei den vielen Kurven, die der Zug macht, wäre es eigentlich kein Problem, sässe man an einem Fenster oder wenigstens auf der richtigen Seite. Doch für das absolute Highlight dieser Fahrt hält der Zug an und man hat sogar genügend Zeit um auszusteigen und von hoch oben den gigantischen Bärenfall zu bestaunen.
Es ist ein grandioses Schauspiel. Da ist unser Rheinfall gerade ein Dreck dagegen. Aber ganz unten hat dieser Barron Fall, wie er richtig heisst, genau auch so eine Kanzel, wie unser Rheinfall – vielleicht ein bisschen höher und ohne Schweizerfahne.
Ganz nah beim Geländer sehen wir ihn, den Blauen Ulysses, diesen wunderschön blau schillernden Schmetterling. Natürlich schaff ich das nicht, ihn auf den Chip zu bekommen. Er tanzt immer davon, bis ich, resp. meine Kamera soweit ist. In weiser Voraussicht habe ich im Regenwald-Infozentrum einen solchen, leider Aufgespiessten aufgenommen, damit man besser sehen kann, was dieses winzige blaue Pünktchen dort im Gras vor dem Wasserfall sein sollte.
Die Kuranda Bahn sei eine der schönsten Eisenbahnstrecken der Welt, sagen sie. Sie kommt im Quietschen vielleicht fast an die Bernina-Bahn heran, aber um diese zu übertreffen, muss sie sich noch gewaltig anstrengen.
Die Fahrt dauert etwa anderthalb Stunden und langsam kommen wir aus den Höhen herunter, wo wir bald grosse Zuckerrohrplantagen durchfahren, ehe wir in Cairns eintreffen.
Mit dem Wetter haben wir heute Glück gehabt. Es hat nur geregnet, als wir auf der Skyrail schwebten, nachher konnten wir sogar etwas Sonne und eine enorm tüppige Schwüle geniessen. Ein Blick zurück in die Berge, von wo wir gekommen sind, ist allerdings verschleiert. Die Höhen zeigen sich nicht. Alles ist in Nebel gehüllt und regnerisch verhangen.
Sonntag 8. Februar 2004
Auch heute Nacht hat es auf das blecherne Vordach geprasselt. Ob man bei Fotzelwetter auch was von den Korallen sieht?
Nach dem Frühstück warten wir nun vorerst auf der Strasse auf den Bus, der uns zum Riff-Hafen führt. Stu hat nämlich heute frei und es ist bis dort nicht so weit zu fahren, jedoch zu weit zum Gehen. Beim Reef Fleet Terminal braucht Fran einige Zeit für den Papierkram und wir haben Zeit für einen Kaffee. Ich wende mich dem Nobelhotel zu, welches gerade an den Platz angrenzt und bin angenehm überrascht. Kaffee könnte man jede Menge bekommen, WC hat’s auch und Shops soviel, bis einem die Ohren wackeln. In einem Fotoladen hat es jede Menge dieser Unterwasserkameras, von welchen sie alle gesprochen haben. Ernst hat auch eine und Fran ist mit einem wasserfesten Filzstift gekommen, damit man die Seine anschreiben kann. Um sechzehn Franken kostet hier eine Einmal-Kamera. 25 Bilder kann man damit machen und dann schmeisst man sie weg. Irgendwo hört es da bei mir aber auf. Natürlich will ich schnorcheln und natürlich möchte ich gerne selber festhalten, was man denn dabei so Wundersames sieht. Eine Kamera für einen Film. Die ganze Optik, die man dafür braucht. Einfach weg. Ich lasse mich in eine Diskussion ein mit der Verkäuferin. Selbstverständlich wird das Ganze rezykliert. (Vielleicht der Plastik zusammen mit den Petflaschen oder was?) Der Teufel stichelt. Soll ich doch? – Nein, ich bleibe dabei. Das ist es mir nicht wert. Das besondere Wunder schwimmt mir ja ganz bestimmt dann nicht vor die Linse, also was soll’s!
Inzwischen hat Fran alle Formalitäten erledigen können und wir warten auf unseren Katamaran. Es ist ein hypermodernes, komfortables Schiff. Ich suche mir zusammen mit Hilde einen Platz in den oberen Gefilden. Es kommt einem vor, wie in einem Flugzeug. In den gepolsterten Sesseln kann man sich gemütlich zurücklehnen. Unten an der Theke kann man sich gratis einen Kaffee geben lassen. Dann wird man aufgefordert, Platz zu nehmen und nicht mehr herumzuwandern. Man wird jetzt nämlich gezählt. Zwei junge Männer flitzen durchs ganze Schiff, in der Hand jeder einen Zähler, wo für jeden Gast einmal auf den Knopf gedrückt wird. Es sieht fast aus wie bei den Buben, wenn sie mit ihren Pistolen auf alles was sich bewegt, auf den Abzug drücken: peng – peng – peng.
Haben am Schluss beide Zähler gleichviel, darf man sich wieder bewegen, sonst fängt alles wieder von vorne an.
Es stimmt und wir stechen um halb elf Uhr in See. Gleichzeitig beginnt es auch zu regnen. Nach vielleicht einer halben Stunde kommen wir an Green Island an, wo wir erst nochmals eine ganze Menge bis auf die Haut durchnässte Passagiere aufnehmen.
Dann kommen die Tauchlehrer und Schnorchel-Führer und man kann sich bei ihnen zu einer geführten Schnorcheltour, einer Unterwassertöff-Fahrt und gar zu einem Tauchgang anmelden. Mann muss kein Tauchbrevet haben. Das wird einem alles in einem Schnellzugkurs beigebracht. Nein, ich bin jetzt sechzig, da hätte ich eher damit beginnen sollen. Ausserdem wäre es bei meinen Sprachproblemen nur ein Handicap. Kanada Hilda hat sich aber voller Begeisterung angemeldet und geht, noch ehe wir am Ponton anlegen, zur Vorinformation. Ganz enttäuscht kommt sie zurück. Sie wurde abgelehnt, weil sie Asthmatikerin ist. Schade, aber die gesundheitliche Sicherheit muss vorgehen.
Während der ganzen Fahrt wird an einem Bildschirm die Wunderwelt des Riffs gezeigt. All die Fische und Korallen und auch die Unterwasser-Töffs, welche auch angeboten werden. Scuba-Doo sagen sie dem. Für 130$ kann man mit solch einem Gefährt die Korallen erkunden. Der Kopf steckt in einer grossen runden Haube, während man auf einer Art Bob sitzt, von welchem die Luft in die Kopfkugel geführt wird. So braucht man keine Tauchmaske und auch keinen so lästigen Schlauch im Mund. Auch in den Situationsplan des Pontons können wir uns schon mal vertiefen. Um halb eins werden wir nämlich an diesem bei den Riffs draussen verankerten Floss, oder wie man dem sagen soll, ankommen. Um zwölf hört der Regen nun auf und bis wir beim Ponton angelangt sind, hat der Himmel schon viele blaue Flecken. Der Petrus meint’s gut mit uns. Der Ponton ist riesengross, sogar mit einem Sonnen-Oberdeck. Alles steigt aus, bis auf Rob. Ihm ist elend und er leidet. Dabei waren es ja gar nicht so grosse Wellen und unser Schiff ist ein Katamaran. Da bin ich mal wieder privilegiert und voller Tatendrang schaue ich mich erst mal um. Carolyn, Jamie, Al und Martin wollen tauchen und haben schon bald ihre Neopren-Anzüge an. Alles geht am Anfang gut, doch Carolyn schafft es nicht mit dem Lungenautomat. Sie muss aufgeben. Aber Martin steht kurz vor der Begegnung seines Lebens. Ein riesiger Fisch wird ihn küssen …
Aus grossen Bottichen kann man sich mit der richtigen Grösse von Schwimmweste (obligatorisch), Flossen, Tauchmaske und Schnorchel eindecken. Als Schnorchel habe ich lieber meinen von daheim mitgenommen. Wahrscheinlich gibt es ja schon eine Desinfektionslösung hier, wo sich jeder bedienen kann, aber trotzdem. Vielleicht bin ich da etwas komisch. Bald schon wimmelt es rund um den Ponton von signalroten Westen und leuchtend gelben Röhrchen. Sie haben uns eingeschärft, dass wir immer zu Zweit sein sollten. Nur, wer wartet auf mich? Ich werde immer wieder abgetrieben. Ausserdem kann man in der Unterwasser-Perspektive die Distanzen überhaupt nicht einschätzen. Man darf nicht auf Korallen treten. Dabei kommen sie da vorn ja fast bis an die Wasseroberfläche, also gehe ich lieber wieder zurück und mache einen weiteren Bogen. Doch ich lande wieder am gleichen Ort und mit dem Massstab von herumschwimmenden Beinen stelle ich fest, dass die Distanz bis zu den Korallen noch längstens gross genug ist, um sogar in aufrechter Stellung darüber hinweg zu kommen. Noch scheint die Sonne hier nicht bis zu den Korallen, sodass ihre schimmernden Farben gar nicht so richtig zur Geltung kommen können. Schon sind die ersten Taucher unter mir. Ihre Luftblasen kullern wie silbrige Kugeln zu mir herauf. Da kommen zwei Scuba-Doo auf mich zu. Sie sind aber nicht ganz unabhängig unter Wasser. An ihren Helmen ist ein Seil festgemacht, an welchem oben eine weisse Boje oder so was ähnliches schwimmt. Jetzt komme ich hier wieder in den Stress, um denen auszuweichen, ich möchte mich nicht um ihr Seil wickeln lassen. Irgendwie stellt sich der wundersame Frieden, den ich in Erinnerung habe, als ich das erste mal über eine solche Wunderwelt geschwebt bin, nicht ein. Da sind wieder zwei Beine. Sie gehören der Kanada Hilda. Sie hat den Dreh mit dem Schnorchel noch nicht ganz raus und ich probiere, sie etwas aufzumuntern. Die Zeit vergeht rasend schnell. Hilda hat sich zu einer geführten Schnorcheltour angemeldet, da das Tauchen nicht geklappt hat. Und mit Schrecken stellt sie fest, dass die ganze Gruppe schon bereit ist. Sie hat nicht mehr Zeit, ihre Unterwasserkamera zu holen. Auch ich hätte, bis jetzt wenigstens, noch nichts Sensationelles knipsen können.
Zwei Sachen möchte ich noch machen, essen und Glasbodenboot fahren. Nachdem ich den Fahrplan studiert habe, hole ich mir also zuerst einen Teller und bediene mich am reichhaltigen Buffet. Schade, es hat so gute Sachen hier, dabei möchte ich nochmals schwimmen, also sollte man etwas zurückhaltend sein. Mein Timing stimmt irgendwie heute schlecht. Bis zur Abfahrt des Bootes, welches auch hier am Ponton anlegt, ist wieder nicht genügend Zeit, um nochmals zu Schnorcheln. Die letzte für mich noch mögliche Fahrt dauert etwa eine halbe Stunde und ich stelle mir vor, dass man dabei bedeutend mehr sehen kann, als nur beim Schnorcheln.
Ich täusche mich nicht. Es ist nicht ein Glasbodenboot, sondern eine Art Halb-Unterseeboot. Man steigt in den Rumpf des Schiffes, welcher unter dem Wasserspiegel liegt. Die Schiffswand besteht aus Fenstern und auf einer umlaufenden Bank kann man sitzend alles wunderbar betrachten. Kamera-Froschmänner und -Frauen knipsen was das Zeug hält. Schon vorher sind sie um die Taucher und Scuba-Doos scharwenzelt und auch an Deck waren sie eifrig am Werk. Mich haben sie erst jetzt erwischt, selber mit dem Fotoapparat in den Händen. Die Papparazzi entfernen sich, dafür kommen jetzt ganz viele, etwa halbmeter grosse Fische und umkreisen unaufhörlich das noch angebundene Boot. Neugierig äugen sie zu uns herein, amazing! Dann gleiten wir über Hügel und Täler voller skurrilen Formen und Strukturen, deren Art man über dem Wasser mit nichts vergleichen kann. Einzelne Fische, die daher getanzt und geschwebt kommen und sich in einer blauen Lautlosigkeit wieder davon machen und ganze Schwärme von winzigen Fischlein, die wie eine Walze dahergerollt kommen und aus nicht sichtbaren Gründen blitzschnell ein paar Meter davon weichen, ohne ihre kompakte Form zu verlieren. Die Sonne scheint nun hinunter bis zu den Korallen und lässt ihre Farben leuchten. Schade, dass mir die Zeit nun wiederum nicht mehr reicht, nochmals ins Wasser zu steigen. Aber wir haben ja so viel bekommen. Die Sonne war mit uns und der Regen hat uns verschont. Was wollen wir noch mehr! Es war wunderschön.
Noch bevor wir wieder ins Schiff umsteigen müssen, haben die Paparazzi einen Vorabdruck ihrer Ausbeute an eine Wand geheftet, auf dass man sich die Nummer merken soll, mit welcher man sich dann seine Foto für 20$ abholen kann. Im Dutzend kommt’s glaube ich billiger. So haben sich die meisten unserer Gruppe zusammengetan und zahlen im Grossauftrag noch etwa 15$ pro Bild. Beim Heimfahren werden nun alle eingefangenen Bilder in einer Diashow an den Bildschirmen widergegeben. Martin mit dem Fisch, Ernst beim Schnorcheln, hundert Japaner mit dem Daumen-nach-oben, Rita im Unterseeboot und soweiter und sofort …
Während wir nochmals bei Green Island anlegen, spannt sich ein Regenbogen über die Insel, welch friedliches Bild!
Beim Aussteigen in Cairns formiert sich die ganze Belegschaft des Schiffes zu einem Spalier und verabschiedet sich so von ihren Gästen, mit denen sie heute den ganzen Tag zusammen waren, welch ulkiges Bild!
Wir haben nun die Möglichkeit, entweder mit dem Bus heimzufahren, oder halt noch in Cairns “go lädele”. Eigentlich möchte ich gerne irgendwo etwas Feines essen und Ernst und Susanne haben nichts dagegen, wenn ich mich ihnen anschliesse. Alle Neuen, ausser dem Wales’schen Quartett, sind mit von der Partie und erst müssen sie im Woolworth was posten. Fast das gleiche Bild wie am zweiten Tag: Alle kommen daher mit einem Kissen unter dem Arm.
Martyn kennt sich glaube ich ein bisschen aus hier, wahrscheinlich hat er die Stadt schon vorher unsicher gemacht, bevor er zu uns gestossen ist. Zielgerichtet führt er die ganze Gruppe zu einer Wirtschaft, wo happy hour ist. Wenn man dort vor Viertel vor sechs bestellt, hat man 30 % Rabatt. Natürlich bestelle ich mir den Fisch des Tages. Es ist nicht Bäremani, doch er schmeckt hervorragend. Martyn und Hilary verschwinden hinter einem Berg von Seafood und auch der Rest scheint glücklich zu sein.
Susanne hat einen Fahrplan des öffentlichen Verkehrs dabei und dank dieser Vorsorge reicht es uns auf den letzten Bus, welcher uns zurück zum Camp bringt.
Es ist etwas nach neun Uhr. Unser Bungalow ist dunkel. Niemand zuhause, oder schlafen schon alle? Suzan, unsere Schlüsselverwalterin haben wir noch in der Stadt gesehen, zusammen mit den andern Holländern. Dutch Hilde ist direkt heimgegangen. Sicher hat ihr Suzan den Schlüssel mitgegeben. An der Tür klebt mit einem Heftpflaster befestigt ein Zettel. Hilde hat was auf Holländisch an Suzan geschrieben. Darunter kann ich in Englisch entziffern, dass Emma und Hilda in der Laudry zu finden sind. Also gehe ich mal dorthin auf die Suche. Dort läuft irgendwo ein TV, doch die Beiden kommen mir schon entgegen. “Hast Du den Schlüssel?” “Ich – warum ich?” – “Was hat denn Hilde der Suzan geschrieben?” Wollen sie wissen. “Es ist ja holländisch, das hab ich nicht gelesen.” Gut, dass Holländisch so viel Ähnlichkeit hat mit Deutsch. “Ich bin mit den anderen Schuhen noch etwas spazieren gegangen” heisst das hier zweifellos. Mit den anderen Schuhen? Natürlich! Hier stehen Hildes Wanderschuhe vor der Tür und darin versteckt ist der Schlüssel. Da ist man doch wieder mal froh um deutsche Hilfe!
Auch Suzan ist bald daheim. Sie hat sich ein Taxi genommen. So kehrt bald Ruhe ein, bis diese wiederum von einem Trommelfeuer auf dem Blechdach unterbrochen wird.
Montag 9. Februar 2004
Der Regen draussen könnte einen schon an die Sintflut erinnern. Um halb sechs Uhr lässt er zwar nach und bis zum Frühstück zeigt sich der Himmel schon fast scheinheilig. Ich muss heute kein Zelt zusammenpacken, also konnte ich nach dem Aufstehen noch im angenehmen, sauberen Badezimmer unseres Bungalows gemütlich duschen. Schön sauber erscheinen alle auf dem Zeltplatz. Der Boden gleicht hier jetzt eher einem See. Alles isst im Stehen. Man hat das Gefühl, dass sich das Wasser vor allem unter unserem so schönen Dach ansammelt, also will hier niemand sitzen und die Füsse im Schlamm baden. Ich dachte ich sei clever, jedoch meine Zehenschlappen an den Füssen saugen sich bei jedem Schritt in den Schlamm fest. Der Riemen dehnt sich um die Zehen und wenn auch die Sohle mit einem schnappenden “Schmatz” nachkommt, spritzt der Dreck den Rücken hoch bis zum Kopf.
Barfuss wäre doch noch besser. Ausserdem müssen wir nun das Dach wieder einrollen. Dazu sind wieder alle gefordert. “All people under the roof”! Obwohl das Dach nass und recht schwer geworden ist, geht alles viel besser, als ich gedacht hätte. Jetzt muss nur noch der Trailer angekoppelt werden und wir sollen schon zur Rezeption voraus gehen. Man liebt es nicht, wenn bei Manövern zugeschaut wird. Na, wenn’s bei diesem bodenlosen Sumpf nur nicht wieder ein Schübschen braucht …
Wir warten und warten, bis endlich Fran ganz kleinlaut kommt und sagen muss, dass der Bus wieder im Sumpf steckt. Zuschauen ist verboten. Ernst wird davongejagt. Sie wissen halt nicht, dass er Meister ist im Traktorpulling. Er könnte ihnen bestimmt ein paar nützliche Tipps geben. Vielleicht ist es auch besser für ihn. Es tut ihm in der Seele weh, wie die drei sich anstellen.
Mit dreiviertel Stunden Verspätung auf die Marschtabelle, können wir dann doch endlich starten. Alles sieht frisch verregnet aus und tief kriechen die Nebel dem Boden entlang. Auf der rechten Seite begleitet uns eine Hügelkette, doch die Wolken geben ihre Kuppen nicht frei. Sie gehören auch zu den Great Dividing Ranges. Divide heisst teilen. Und die Berge teilen das Küstengebiet von den riesigen Ebenen des Inlandes. Der Streifen ebenes Land zwischen den Hügeln und dem Meer ist angebaut mit weiten Zuckerrohrfeldern. Es gibt aber auch Bananen-, Papaya- und Zitrusplantagen, der Zucker jedoch herrscht vor. Wir fahren an grossen Zuckermühlen vorbei. Cardwell sei der Ort mit der höchsten Niederschlagsmenge pro Jahr. Das glaube ich jetzt aufs Wort. Wolkenbruchartig stürzen die Wasser vom Himmel und wie ein Schiff pflügen wir durch die Strassen.
Waren Richmond und Hughenden Viehstationen, ist Ingham jetzt eine Zuckerrohrstation. Auch hier hat es eine grosse Zuckermühle. Die Ortschaft selbst hat einen ziemlich italienischen Charakter.
Langsam beginnt sich die dicke Wolkendecke aufzulockern und je mehr es gegen Mittag geht, desto heiterer wird das Wetter. Mit der Tornadowarnug war es jetzt jedenfalls nichts. In Townsville ist der Himmel schon ganz blau und der Bus hält zum Lunch an einem wunderbaren Sandstrand. Kim hat hier in einem Strandrestaurant Fish n’chips bestellt, welche sie nun in Empfang nehmen und verteilen kann. Früher sei der Fisch in richtiges Zeitungspapier eingewickelt gewesen. Da hat heute die Lebensmittelverordnung wohl etwas dagegen, bedruckt ist es nicht mehr, aber das Format stimmt immer noch. Wahrscheinlich hält das auch schön warm. Wir suchen uns ein schattiges Plätzchen unter den Palmen am wunderschönen Strand, jedoch es ist kein Badestrand, jedenfalls in dieser Jahreszeit nicht. Badeverbotsschilder weisen auf die giftigen Quallen hin, die jetzt das Baden unmöglich machen. Eine Begegnung mit ihnen könnte tödlich enden, oder jedenfalls einen Spitalaufenthalt nötig machen. Erste Hilfe-Stationen enthalten hier nicht einen Rettungsring, sondern eine Flasche mit Essig, welche in einer Art Briefkasten griffbereit ist. Schade um den schönen Strand.
Wir folgen dieser Küste noch weiter bis nach Airlie Beach. Das ist der Ausgangspunkt, von wo man zu den vielen vorgelagerten Whitsunday Islands gelangt. Auf einem grossen Platz mit schöner Wiese können wir unsere Zelte aufschlagen. Wir werden zwei Nächte hier bleiben. Diesmal sind wir nicht die Einzigen im Camp. Ein zweiter Bus ist auch angekommen. Er ist etwa so gross wie der unsere, jedoch ist es eine Gruppe von nur etwa 15 Leuten – Deutsche. Auch brauchen diese kein Zelt aufzuschlagen. Sie haben ihr Bett am Trockenen im Bus. Zum Schlafen klettern sie einfach in ihre Schublade oder Nische. Mich erinnert das Bild an die Katakomben. Dann doch noch lieber im Zelt, wo man, falls es nicht schifft, wenigstens die Sterne sehen kann.
Ich habe ein Plätzchen gefunden zwischen einem Flaschenbaum und einer Palme. Der Boden ist ein klein bisschen schräg, auf dass das Wasser vom Bett weg fliesst… Teresa, meine heutige Nachbarin, macht mich darauf aufmerksam, dass ich doch noch ein Bisschen weiter rechts gehen soll. Sie scheint mehr Camping-Erfahrung zu haben, denn die kleine Neige, die ich ausnützen will, bildet das flache Ufer eines Baches. Noch ist es harmlose Wiese, aber falls noch mehr Wolkenbrüche die Nacht beleben sollten, könnte es sein, dass ich dann mitten im Wasser stehen würde mit meinem Zelt.
Die Mücken sind hier ziemlich aufsässig und der Konsum meines Antibrumms ist enorm. Eine Riesenausgabe eines flügellosen Insekts möchte ich aber eigentlich nicht vertreiben, im Gegenteil, es muss mir sogar ausführlich als Fotoobjekt herhalten. So schön habe ich noch nie eine Gottesanbeterin vor der Linse gehabt.
Dienstag 10. Februar 2004
In der Nacht hat es geregnet. Doch habe ich mich nun schon an dieses Geräusch gewöhnt und es lässt mich kalt, aber wir schwitzen immer noch. Den Pullover habe ich bis jetzt noch nicht mal in Gedanken in die Nähe geholt. Teresa hat recht gehabt. In der Rinne, die unter der rechten Ecke meines Zeltes durch geht, fliesst jetzt ein kleines Wässerchen, welches aber nicht über den plastifizierten Boden in jener Ecke hinauskommt. Jene, die gemeint haben, sie können die drei Dollars für den Tumbler sparen, sehen sich auch geprellt. Schlaff und noch platschnass hängt die Wäsche an der Leine. Die Schauer kommen und gehen. Während wir am Zmörgele sind kommt’s wieder, wie aus Kübeln. Zum Glück haben wir hier ein grosses und stabiles Dach. Eine Konstruktion aus vier Baumstämmen, welche zu einer Pyramide zusammengefügt sind. Von der Spitze bis zur Hälfte das Dach und darunter der geräumige Platz für Trog, Elektrisch und die Esstische. Ich staune einmal mehr, wie viel Wasser da herunterkommen kann. Weil es keine Dachrinne hat, bildet sich an der Kante ein richtiger, transparenter Vorhang.
Wir benützen heute den Ortsbus, um zum Fährhafen zu gelangen und im Moment schont es gerade wieder etwas. Ein Fährschiff bringt uns hinein in die Inselwelt. Man sieht von der Küste aus den Meereshorizont nicht. Unzählige Inseln liegen ringsum verstreut in mehr oder weniger weiter Entfernung. Regenwetter begleitet uns auch hinaus aufs Meer, jedoch scheint es immer gerade um unseren Standort einen Bogen zu machen. Zuerst nehmen wir Kurs auf Hamilton Island. Dies ist die Grösste und sie sieht nicht gerade nach einer Robinson-Insel aus. Von weitem schon befremdet ein Hochhaus(!), ähnlich wie in Montana im Wallis und auch einen Flughafen gibt’s und im Hafen stehen Luxusjachten Spalier. Auch wenn’s nur kurze Strecken sind von einer Bar oder Hotel zum andern, fährt man doch hier mit so vierrädrigen, stinkenden Gefährten, wie etwa auf einem Golfplatz. Wenn sie elektrisch wären, ginge es ja noch.
Einsam ist auch hier der Strand, an den wir geführt werden. Er gehört zu einem grossen Resort, wo wir zwei Stunden Zeit zum Geniessen haben. Es wird auch hier vor den giftigen Quallen gewarnt, aber eigentlich nur halbherzig. Renz kümmert’s nicht, oder hat er es nicht gecheckt? Es passiert ihm auf alle Fälle nichts. Ich getraue mich jedenfalls nicht ins Wasser. Das Ufer mit seinen Wasservögeln und den an Land gezogenen, verlassen daliegenden Segelbooten gibt mir ein schönes Sujet. Auch die Stimmung mit den Regenwolken am Himmel über den weiter entfernten Inseln und den sich im Wind biegenden Palmen in der Nähe geniesse ich. Ernst und Martyn packen die Gelegenheit beim Schopf und fahren mit einem Seetöff auf dem Meer Motocross. Es hat einen prächtigen Pool hier, schön tief und angenehm zum Schwimmen. Hier lasse ich mir jedoch ein Bad schon gefallen. Man hat nämlich von dort, etwas erhöht, eine wunderbare Aussicht direkt übers Meer und man hat fast das Gefühl, als ob dieses die Fortsetzung des Bassins sei.
Zum Lunch müssen wir wieder zurück am Hafen sein. Auf einem Kreuzfahrtschiff wartet erst mal der Lunch auf uns. Am Buffet können wir uns bedienen, nach was uns der Sinn steht. Auch ein fabelhaftes Früchtebuffet verführt zur Schlemmerei, herrlich! Noch begeben wir uns nicht auf den Heimweg. Erst geht’s in den Himmel, Whitehaven beach. (Stimmt gar nicht – haven heisst ja Hafen! Bis jetzt habe ich immer gemeint, dieser Strand heisse white heaven, also weisser Himmel und erst beim Schreiben fällt mir dieser Irrtum auf. Trotzdem fahren wir auf dem Weg dorthin durch die Hölle oder wie der Teufel. Es hat ein Stück ziemlich unruhiges Meer und der Kapitän befiehlt uns, sitzen zu bleiben. Ausgerechnet jetzt, wo’s lustig ist, sitze ich unten und sehe nichts. Ich entschliesse mich, diesmal einfach nichts zu verstehen, halte mich gut am Treppengeländer fest und fange einen bösen Blick vom Kapitän ein.
Draussen auf dem Oberdeck hat’s schon noch einen freien Platz und triumphierend geniesse ich meinen Ungehorsam. Es schaukelt wirklich ganz herrlich, fast noch mehr als damals auf jener Fahrt nach Lipari. Es ist nur ein relativ kurzes Stück, dann sind wir wieder in geschützterem Wasser und erreichen bald den weissen Strand, wo man baden darf. Aber auch hier hat es Quallen und jeder, der schwimmen will, muss sich einen langärmligen Anzug ausleihen. Es sieht fast wie ein Tauchanzug aus, ist aber nicht aus Neopren, sondern nur einer Art Tricot. Vielleicht schützt es gerade eben vor dem ärgsten Gift, falls… Aber denken wir lieber positiv.
Es ist wirklich ein Wunder von einem Strand mit schneeweissem Sand und kristallklarem Wasser. Der Wald, der daran angrenzt ist alles Naturschutzgebiet und man soll auch keine Abfälle, wie Zigarettenstummel usw. am Strand liegen lassen.
Ein Sonnenschirm und eine Kühlbox mit Getränken wird auch auf dem Floss, welches man noch für das letzte Stück benötigt, mitgeführt. Kieselerde ist für das reine Weiss des Sandes hier verantwortlich. Am Waldrand hat es doch wenigstens ein bisschen am Schatten einen Tisch mit Bänken, dort steige ich erst mal in meinen Tarnanzug. Da bewegt sich etwas im Gebüsch. Eine etwa anderthalb Meter lange Eidechse oder Leguan tut sich an was gütlich, das wie ein weggeworfener Pudding aussieht, von wegen Zigarettenstummel! Und sie trollt sich erst wieder, wenn auch das letzte Restchen aufgefressen ist.
Das Wetter meint es gut, es hat nicht mehr geregnet, seit wir ins Schiff gestiegen sind und zwischendurch scheint sogar schon mal die Sonne. Es ist wirklich ein herrliches Gefühl, an so einem himmlischen Ort baden zu können Natürlich muss das auch entsprechend dokumentiert werden. Es fehlt auch heute nicht an Paparazzi, welche das Geschäft ihres Lebens wittern. Unser Katamaran ist auch nicht der einzige, der draussen geankert hat. Ein Zweiter steht etwas weiter oben und ein Wasserflugzeug ist inzwischen auch dazu gekommen. Dreimal muss das Floss hin und herfahren, bis wieder alle Passagiere auf dem “Vessel” sind. Dort gibt man sein Tricot wieder ab, kann dafür einen Kaffee fassen und auf geht’s im Heirassa-Tempo Richtung Küste.
Heute kocht Kim wieder mal nicht und man muss sich selber irgendwas beschaffen. Ich denke, ich gehe mal erst ins Internet und nachher suche ich mir was zu essen. Ein Bäremani wäre nicht schlecht. Also mache ich mich auf die Socken. Unterwegs treffe ich Al, vielleicht kommt er mit? Aber er hat seine Wäsche in der Maschine und muss noch warten. Also sag lieber, es stinkt dir. Ich will ja auch schauen, ob’s neue Mails hat. Und es hat etwa zehn!
Auf der Suche nach einem Fischrestaurant, kehre ich auch noch in einem Souvenirladen ein. Eine Aboriginal-Tasche? Ich brauche sowieso eine neue Einkaufstasche. Bevor ich aber bezahle, nochmals ein Kontrollblick auf den Warenstempel. Es darf ja nicht wahr sein – auch made in China!
Eine Beiz ist auch schwierig zu finden. über die Strasse, sieht’s zwar nach Touristik aus, aber dort ist ein Saulärm. Schon bald am andern Ende des Nestchens hat’s in einem kleinen Innenhof ein paar Tische, wo es auch etwas zu essen gibt. Gerade sind John, Teresa und Bill am Aufstehen. – Doch, sie haben hier gut gegessen, also suche ich nicht weiter. Es hat sogar Bäremani! Dazu einen Salat und ein Glas Wein. Ich geniesse wieder mal. Ich werweise noch, ob ich mir einen Dessert bestellen soll, da wird mir die Entscheidung auch schon abgenommen. Es beginnt zu tröpfeln. Die Tropf-Phase dauert nicht lange und schon giesst es wieder.
Ich bezahle drinnen an der Kasse meine Zeche und muss mich gar nicht lange unter den Vordächern durchdrücken, ist auch schon diese Giess-Phase wieder vorbei. Ich nehme den Heimweg auf der andern Seite der Strasse in Angriff. Im Krach-Schuppen treffe ich nahe an der Strasse, jedoch noch unter dem Dach, ein paar aus unserer Gruppe an, darunter Shirley, Bunty, Carolyn und Jamie. Zuerst setze ich mich zu ihnen und will auch noch einen Drink bestellen. Aber es ist mir wirklich zu lärmig. Ich flüchte.
So kommt es, dass ich auch heute wieder recht zeitig in mein Zelt krieche und als Einschlaf-Hilfe dem Froschgequake drüben irgendwo an einem Teich lausche.
Es ist etwa halb drei, da weckt mich ein Konzert von Regentropfen, die auf mein Zeltdach klopfen. Es wächst an zum Crescendo, entfernt sich wieder, verharrt in der Ferne noch ein Weilchen und wird abgelöst vom vielstimmigen Froschgequake. Bald kehrt aber auch am Teich wieder Ruhe ein und nur von meiner Palme tropft’s noch ein bisschen, dann ist wieder nichts mehr als das vertraute Schnarchen, mal näher, mal weiter weg zu vernehmen, welches einen wieder in den Schlaf zurückbegleitet.
Mittwoch 11. Februar 2004
Um Viertel vor sechs beginne ich zusammenzupacken, denn es droht ein erneuter Schauer. Also bringe ich die Tasche, solange es noch dicht ist, unter das Dach. Den Rucksack und die sauberen Shorts daneben. Den Reissverschluss der Tasche lasse ich offen, ich brauche ja noch das Necessaire zum Duschen. Ich bin gerade dran, das Zelt in die flache Hülle zu schieben, da legt es los. Bis dann das Paket und die Heringe im Bus versorgt sind, bin ich bis auf die Haut nass. Ich wäre also jetzt vorgespült und reif für die Dusche. Jedoch ist meine Tasche schon im Bus versorgt. Das hat man dann davon, wenn überall alle mithelfen. An mein Necessaire komme ich nicht mehr ran. Wenigstens habe ich noch trockene, saubere Shorts beim Rucksack. Das nasse Zeug breite ich halt heute im klimatisierten Bus auf meinem Nebensitz aus und bin selber erstaunt wie schnell die Klimaanlage alles auftrocknet.
Über Mackay führt uns die Strasse mehr oder weniger der Küste nach, an vielen Zuckerrohrfeldern vorbei, immer Richtung Süden. Das Wetter ist trüb und verhangen, die Gegend, die wir durchfahren, eben und zum Teil überschwemmt. Steigt man für kurze oder längere Zeit aus dem klimatisierten Bus, wartet man fast ungeduldig das Ende der Pause ab, um der Schwüle wieder zu entrinnen. Darf man wieder einsteigen, wird weiter geschlafen. Nicht mal ein Video schiebt Fran ein, weil sowieso alles schläft und da will sie nicht aufwecken. Soweit bin ich jetzt gottseidank noch nicht. Auch wenn ich jetzt sechzig bin, schlafen liegt bei mir nicht drin. Auch wenn nichts Spektakuläres zu sehen ist, nach soviel tausend Kilometern ist man wohl schon auch müde und abgestumpft, aber ich hätte trotzdem immer das Gefühl, ich könnte etwas verpassen. Was ich jedoch mache, ist mein Tagebuch nachführen. Ich schreibe schon täglich kurz in Stichworten auf, was so los ist, aber den Roman dazu verfasse ich meist erst daheim. Ich habe genügend so kleine Notizheftchen dabei, die sich praktisch in die Hosentasche schieben lassen und immer dabei sind. So habe ich bis jetzt die Flugreise und den Tag in Sydney und die ersten zwei Tage, dann wieder die Tage vom Wilpena Pound bis Coober Pedy und bin nun an der Strecke, die wir ostwärts gefahren sind. So kann ich dann wenigstens diese Teile daheim nur noch eintöggeln. Meine Sitznachbarn wissen schon, wo ein Kugelschreiber immer zur Hand ist, dass man den Seinen gar nicht erst zu suchen braucht. Man bleibt auch beim Rotieren immer in der Nähe. Manchmal ist man vor, hinter oder neben dem Nachbarn von gestern.
Eine Kaffeepause gibt’s heute in einem Riesen-Einkaufscenter. (Wo das war, habe ich mir nicht notiert und jetzt, wo ich in meinem Bericht hier angekommen bin, weiss ich das natürlich auch nicht mehr. Ich bin inzwischen mit dem Schreiben meines Berichtes dem der Hilda ein paar Tage voraus. Solche Details habe ich dann jeweils willkommenerweise dem ihren entnommen. Es ist ja auch nicht wichtig.) Die Grösse des Shopingcenteres kommt mir fast vor, wie jenes dort in Recife. Aber eben, wir sind jetzt nicht mehr im Outback. Zuerst lasse ich mir einen herrlichen Capuccino an den Tisch servieren (den müssen sie wieder erst sorgfältig präparieren mit haltbarem Schäumchen etc. und man bekommt eine Nummer mit an den Platz.) Dann brauche ich ein neues Duschgel, welches das irgendwo Liegengelassene ersetzen soll. Dabei gebe ich mir redlich Mühe, mir meinen Rückweg gut zu merken, damit ich ja den Ausgang wieder finde, wo unser Bus parkiert ist. Irgendwo in einem Reisebüro bedeckt eine Weltkarte eine ganze Wand. Da ist ja das zu finden, was ich nicht weiss. Auf die Frage nach meinen Wünschen, erkläre ich der Dame, dass ich hier nur mal schauen wolle, wo meine Reisekameraden eigentlich alle her stammen. Wo Hilda etwa zu Hause sein könnte und wo um alles in der Welt Wales liegt. Also für mich gehört dies nun doch wirklich zu England!
So erreichen wir heute ganz ereignislos Rockhampton. Das liegt so ziemlich genau unter dem Wendekreis des Steinbocks. Noch ehe wir auf unseren Zeltplatz fahren, macht Stu einen Abstecher, diese zwei Kilometer über die Ortschaft hinaus, um diesem Monument, Obelisk oder was auch immer, des Steinbocks unsere Ehre zu erweisen. Dort ist der Halt zum Aussteigen. Nicht bei der bronzenen Statue des Brahman Bullen am Nordende der Stadt und auch nicht bei jener des Hereford Rindes, einer britischen Rasse, am Südende und schon gar nicht bei einem jener vielen schönen typischen Queenslandern. Ich hoffe nun sehr, dass ich endlich eine solches Haus aus dem fahrenden Bus sauber erwischt habe.
Der Campground ist hier sauber und gepflegt. Jeder Zeltplatz hat schönen Rasen und eine betonierte Fläche, wahrscheinlich um Tische und Stühle schön eben zu haben und der Weg ist geteert. Also keine Gefahr, dass der Bus wieder stecken bleibt.
So kann man hier für heute das Zelt gediegen aufstellen. Regen scheint es in der Nacht keinen zu geben und die Luftfeuchtigkeit hat sich gewaltig gebessert. Und beim Steinbock haben uns schon wieder die ersten Fliegen geplagt. Wie dies so schlagartig mit dem Wendekreis zusammengeht!
Heute morgen hat das Zelt jedoch noch etwas Wasser mitbekommen. Also muss vor der Möblierung zuerst aufgefegt werden.
Kim hat heute Koteletts gemacht, Riesendinger. Ich hole mir mein Supersackmesser, das Weihnachtsgeschenk von Dani. Weil es so gut “haut”, muss ich es gerade noch an einem zweiten Stück weiter ausprobieren. Das ist wieder typisch. Ich kann wieder nicht rechtzeitig aufhören. Dafür brauche ich dann nachher wieder mal einen Schnaps. Den hätte ich auch nicht mitzubringen brauchen. Man kann nämlich hier in Australien gut das Wasser trinken und auch eine Unmenge von Eiscreme habe ich gegessen und von niemandem habe ich gehört, dass er Durchfall oder so was erwischt hätte. So ist das Antikäfer-Ritual eigentlich gar nicht zum Zug gekommen und ich habe noch fast den ganzen Liter Whisky bei mir in der Tasche, gut durchgeschüttelt. Aber heute brauche ich einen.
Noch bevor ich ins Bett gehe, lasse ich mich zu einer Untat verführen. Noch einen Schwumm im Pool, by night. Ja, warum nicht? Meistens ist ja dies um diese Zeit verboten, aber es reizt. Mit vollem Bauch drehe ich mit spitzbübischem Gefühl zwei drei Runden und stell mir vor, dass ich dann gut schlafen kann.
Donnerstag 12. Februar 2004
Auch heute morgen wird man wieder mit einem fast ohrenbetäubenden Konzert der Papageien begrüsst. Auch an einen andern Ruf eines Vogels haben wir uns nun schon gewöhnt. Ich habe ihn Röhrenvogel getauft, weil sein langgezogener, fast klagender Gesang tönt, als ob er durch eine Röhre hindurch in die Welt hinaus posaunt würde.
Zwei Bürgermeister von Rockhampton, von welchen jeder für seine bevorzugte Viehrasse schwärmte, liessen während ihrer Amtszeit je eine der beiden Broncestatuen am Eingang und am Ausgang der Ortschaft errichten. Das allein ist schon Indiz genug, dass wir nun das Zuckerland bald verlassen und in eine Gegend mit viel Viehzucht gekommen sind. In die Gegend, wo man wetteifert, wie lange man braucht, um die Grenze seines Grundbesitzes abzuschreiten oder vielmehr zu fahren. Auf so einer “Homestead” sind wir zum Tee eingeladen. Wir zweigen vom Highwy ab und folgen einem Wegweiser in ganz leicht hügeliges Gebiet, der uns zur “Langmorn Station” führt.
Irgendwo an einem Gatter steht ein Jeep und eine junge Frau steigt zu uns in den Bus. Helen ist die Schwiegertochter von George und Leonie Creed, welche uns auf “Old Station” erwarten. Diese Familie siedelte hier vor etwa hundert Jahren und heute bewirtschaften George und Leonie und vor allem jetzt ihre drei Söhne das Land. Zuerst zeigt uns Helen das Gehege in der Nähe des Wasserlochs, wo die Kälber oder jüngeren Rinder sind, die Scheune mit dem Maschinenpark und auch in der Nähe ihr Haus, wo sie mit ihrem Mann und den beiden kleinen Kindern wohnt. Dann geht’s eine ganze Weile weiter durch Weideland, wo sie uns alles Wissenswerte über die Viehzucht erzählt, (wahrscheinlich wie viel Stück sie produzieren oder wie viel Acres sie besitzen, ich muss hier auf Hildas Day 27 warten, weil ich wieder nichts verstanden habe).
Inzwischen sind wir zuoberst auf einem Hügel angelangt. Die ganze Kuppe ist ein schöner alter Garten mit verschiedenen für uns exotisch scheinenden Bäumen, Zypressen und Palmen. Leonie erwartet uns und schüttelt jedem persönlich die Hand. Wir sind wirklich bei ihnen zum Tee eingeladen und sie heisst uns in ihrem wunderschönen, echten Queenslander herzlich willkommen. Wir dürfen ihr Haus auch von innen besichtigen. Sie öffnet uns alle Türen, sogar das Schlafzimmer und erklärt uns den Sinn der Veranden, die rings uns Haus laufen. Es ist wegen der Klimatisierung. Man spürt es, auch ohne Klimaanlage ist es angenehm hier drin.
Das Meiste ist noch so ursprünglich wie am Anfang. Ein wunderbarer grosser Esstisch aus massivem, rötlichem Holz. Es muss ein sehr wertvolles Holz sein. Die Küche hat man jedoch modernisiert und ihr einen neuen Platz zugewiesen. Zur Hintertür kommen wir wieder raus und befinden uns in einem gemütlichen Garten mit Tischen und Bänken, wo in einem Kessel über einem Feuer für 42 Personen Tee gekocht wird. Ein Backpulverbrot, welches man nun versuchen darf, hat man vorher auch auf dem Feuer hier draussen gebacken. Natürlich fehlen auch nicht verschiedene Kuchen, wo man zugreifen kann. Die beiden kleinen Kinder sind auch da und spielen und wir haben wirklich an einem richtigen Familienidyll teil. Im Schatten unter einem Baum tummeln sich zwei junge Kängurus. Jedes hat ein Halsband an und sie sind zutraulich und lassen sich gut filmen. Auch die Söhne kommen und Ernst geht mit dem einen, der ihm wahrscheinlich den Maschinenpark noch richtig zeigen will.
Leonie erklärt uns den Zwick an der Geissel und lässt ihn “klöpfen”. Sie könne das zwar nicht so gut und sie ruft dem andern Sohn. Der zeigt nun vor, wie’s geht. Mit jedem Auf und Ab ein Knall. Wer probiert’s? Als Mädchen konnte ich das. Vielleicht nicht bei jedem Auf und Ab, aber manchmal hat es doch schön geknallt. Also probier ich das auch wieder mal. Aber diese Schnur ist viel zu lang oder ich bin zu viele Jahre aus der Übung. Ich schaff’s einfach nicht und wickle höchstens die Schnur um meinen Kopf. Auch Bob der Kanadier probiert’s mal, auch erfolglos. Ich nenne ihn heimlich für mich den “Taddi”. Das Wort hat mein Vater manchmal gebraucht, wenn man was so ungeschickt in die Hände nahm, dass es einem einfach nicht geraten wollte. Ich sehe Bob noch vor mir, als er am letzten Morgen in Cairns mit hängenden Schultern auf dem Platz stand und halb weinerlich sagte “I need help!” Und manchmal habe ich ihn leise beobachtet, wie er beim Zelt Aufschlagen seinen lieben Kampf hatte. Da kam ich mir daneben ganz heimlich saugut vor!
Weiter geht’s dem Bruce Highway und friedlichen Weidegebieten entlang. Gehöfte und Farmerhäuser sieht man jetzt viel mehr. Jedoch dass man dem hier “Häuser” sagt….? Ich würde es in unserer Zivilisation eher als “Bidon Ville” bezeichnen. Zum Lunch kommen wir im Miriam Vale Roadhouse an. Genau wie man in Daly Waters Hamburger essen muss, gehören hier zum Menü Pies. Nicht süsse, sondern mit allerlei Fantasievollem gefüllt. Da gibt’s Gemüse, Fleisch, Poulet, Pilze und vieles andere. Kim hat gestern die Bestellung aufgenommen und man konnte sicher aus zehn verschiedenen Sorten auswählen. Das Timing klappt wunderbar. Wahrscheinlich haben sie unseren Anflug per Telefon durchgegeben. Die Pies sind alle schön heiss und gut. Frisch aus dem Ofen bekommen die verschiedenen Sorten ein vorbereitetes Namens-Fähnchen, genau nach Bestellungs-Liste.
Es ist heiss und der Himmel schon ziemlich blau, jedoch von Fliegen sind wir hier verschont.
Wir reiten weiter. Die Orte rücken langsam näher zusammen, unterbrochen oft von Eukalyptuswäldern, Bananen- und Ananasplantagen.
Hervey Bay erreichen wir über eine Strasse, welche uns ein paar Kilometer vom Highway weg, an eine schöne Bucht führt. Hier herrscht vorwiegend Ferien- und Strandbetrieb. Ein wunderschöner Campground beherbergt uns für die nächsten zwei Nächte. Es ist wirklich ein Zeltplatz, obwohl es aussieht, als ob alle Bewohner hier ihren festen Wohnsitz mit stabil gebautem Haus bewohnen, sogar besser gebaut, als manches der “Bidon-Villes” die wir gesehen haben. Es sind meist Rentner, die hier ihren Lebensabend verbringen. Da liesse ich es mir auch wohl sein. Es ist bis jetzt der schönste Campground, den wir besucht haben.
Es ist noch nicht so spät bei unserer Ankunft, denn wir haben heute “nur” 442 Kilometer zurückgelegt. Also bleibt uns genügend Zeit für ein Bad im Meer. In zehn Minuten ist man am Strand. Diesmal bin ich wieder mit Holland Hilde unterwegs. Hilda wollte irgendwo ein Internet suchen. Wir finden einen wunderschönen Strand. Eine friedliche Stimmung und ein Bündel Kleider fein säuberlich zusammengelegt in der Nähe des Wassers. Ah – Shirley und Bunty sind auch hier. Es sind zwei Wasserratten und auch immer etwa am Pool anzutreffen. Es ist ein herrlicher Abend, das Wasser warm und klar und ich habe Ferien, bin vor ein paar Tagen gerade sechzig geworden und einfach glücklich!
Im Sand, den das Meer hier seit ewigen Zeiten immer wieder flach und glatt streicht, wohnen eine Menge Krabben, die reinsten Künstler. Alle sind sehr beschäftigt damit, vor ihrem Haus den ganzen Vorgarten mit den entzückendsten Formen aus kleinen Sandkügelchen zu verzieren. Der Strand sieht aus wie der Himmel bei einem nächtlichen Feuerwerk. Im ersten Moment sieht alles ausgestorben aus. Steht man aber einen Moment ganz still, wird’s lebendig. Aus all den vielen hundert Löchern, die etwa so gross sind, als hätte man einen Finger in den Sand gesteckt, beginnt ein Spähen und äugen, ob die Luft wieder rein ist. Zögernd kommt aus jedem Loch eine kleine Krabbe, bereit, bei der kleinsten Bewegung wieder in Deckung zu gehen. Dann ein Huschen über den Sand, eifrig wird dort weiter gearbeitet, wo man eben alles im Stich gelassen hat. Wie der Blitz werden Sandkörner zu kleinen Kügelchen zusammengeschaufelt. Schön der Reihe nach, in einer klaren Linie wie Strahlen die vom schützenden Loch ausgehen. Kleinere Krabben machen winzige Kügelchen, die Grossen schaffen schon fast zentimetergrosse Perlen. Ich bin wieder mal fasziniert uns schaue dem Treiben eine lange Zeit zu. Es scheint, als ob untereinander ein Wettbewerb gilt, wer am meisten Kügelchen schafft, bis die Flut wieder neues Wasser darüber schwemmt, alles wieder glatt streicht und die ganze Arbeit wieder von vorne beginnt.
Dann setze ich mich noch ein bisschen zu Hilde in den Sand und zusammen träumen wir weiter.
Nach dem Nachtessen ist endlich in der Laundry eine Maschine frei und ich kann das längst Überfällige nachholen. Es stinkt schon langsam alles.
Gerade hinter unserem Platz schliesst ein kleiner See mit vielen Seerosenblättern den Campground ab. Auch hier ein friedliches Bild, dem Abend zuzuschauen, wie er langsam wie mit einem starken Dimmer sein Licht auslöscht. Nochmals erleben wir ein faszinierendes Schauspiel. Ein Schwarm von Vögeln fliegt über dem Wasser heran und über unser Camp hinweg. Schwarze Silhouetten von hunderten von Vögeln vor einem leicht gelblich-lila Abendhimmel. Es kommen immer mehr und es will gar nicht aufhören. Ob es schon die Zeit der Zugvögel ist? Einen so riesigen Schwarm habe i ch noch nie gesehen. Langsam bezweifle ich, dass es Vögel sind und beim genauen Hinschauen muss man doch sagen, dass sie eher die Form von Fledermäusen haben. Kann es tatsächlich so viele Fledermäuse geben, die nun auf die Jagd gehen?
Freitag 13. Februar 2004
Um halb sechs wecken einen die Vögel. Diesmal sind es mit Bestimmtheit die Papageien. Ich schaue mal draussen nach, ob die Wäsche trocken ist. Auch Kanada Hilda kommt aus dem benachbarten Zelt. Da erst um halb acht Morgenessen ist, bleibt uns genügend Zeit für einen Spaziergang zum Strand. Ich möchte nicht unbedingt schwimmen, nur ein Foto Richtung Westen machen. Gestern abend ging das nur Richtung Osten. Wir treffen John bereits am Schwimmen und auch Martin ist schon unterwegs. John schwärmt dermassen vom herrlichen Bad, dass wir uns gerade verführen lassen. Es stimmt schon, was gibt es Schöneres, als den Tag mit einem Bad in so klarem, herrlichem Wasser an so einem wunderbaren Strand zu beginnen?
Nach dem Frühstück hat Stu nicht sehr viel Arbeit. Er muss uns nur ein paar Kilometer weiter zum Fährhafen bringen, von wo aus wir mit dem Schiff nach Fraser Island gelangen. Unterwegs setzt er Kim bei einem Einkaufscenter ab, wo sie ihre Vorräte wieder mal ergänzen kann.
Fraser Island ist eine reine Sandinsel, jedoch Millionen von Jahren alt. Trotz nährstoffarmer Dünensande ist die ganze Insel von einem richtigen Urwald überzogen, in welchem Bäume bis zu 60 Metern Höhe wachsen. Als man auf der Insel wertvolle Hölzer entdeckte, wurden die eingeborenen Aborigines einfach vertrieben. Vor allem eine Holzart, die nur hier vorkommt, die “Satinay” war begehrt. Seit 1992 zählt die Insel nun zum “Weltnaturerbe der Menschheit”. Die sandigen Wege und langen Strände dürfen nur mit einem Geländewagen befahren werden.
Also wartet uns nach kurzer Überfahrt ein allradangetriebener Bus. Stu konnte heute morgen schön einflechten, dass man da nicht im Badekleid mitreiten dürfe. Wegen Sonnencreme auf den Polstern und so. Eine Sandpiste, welche man im Einbahnverkehr “durchpflügt”, führt vorerst durch eine weite Strecke Urwald. Der Fahrer weiss eine Unmenge zu erzählen. Ich glaube, sein Mundwerk steht überhaupt nie still. Er erzählt eben alles über die Bäume und das Holz hier im Wald. Bei einem mächtigen Riesen hält er sogar an. Dieser Baum sei 500 Jahre alt und er hat einen linealgeraden, schönen Stamm. Ich nehme an, dass dies jenes wertvolle, endemische Holz ist, auf welches sie aus waren und auch, dass jener wunderschöne Tisch in Longmorn Station eben aus diesem Holz ist. Brian, der Engländer sitzt neben mir, und er bestätigt mir meine Vermutung. Er interessiert sich für Holz, denn er war vor seiner Pensionierung Carpenter, wie er mir erzählt. An einer Wegkreuzung werden wir von einem Polizisten oder Parkwächter aufgehalten. Er kommt in den Bus und der Fahrer muss ins Röhrchen blasen. Da herrschen wohl strenge Sitten. Aber es ist schon recht.
In einer Waldlichtung kommen wir zum Kingfisher Bay Resort, wo man ausser WC-Benützung nochmals zu Getränken kommen kann. Weiter geht’s nun Richtung Strand. Ein Pilot steigt zu und bietet als nächstes Abenteuer einen Rundflug an. Wer Inetresse hat, soll aufstrecken. Etwa die Hälfte streckt auf. Also, die ersten Sieben sollen gerade mitkommen. Bei diesen sind auch Susanne, Ernst, Mike und Pam. Diese steigen nun in ein kleines Flugzeug, das hier einfach am Strand herumsteht. Dann ein kurzer Anlauf auf der harten Sandpiste und in einem grossen Bogen entschwinden sie über der Insel, während wir dem schnurgeraden Strand entlang weiter fahren. Seventy Fife Mile Beach heisst er und nimmt, wie mit dem Lineal gezogen, fast die ganze Ostküste der Insel ein. Rechts von uns das Wasser, links die Düne. Manchmal kommt ein Bach und sucht sich seinen Weg zum Meer. Mit dem Allrad-Gefährt ist dies natürlich kein Problem, auch wenn sich das Wasser schon einen kleinen Graben aus dem Sand gefressen hat.
Dann halten wir an und warten, bis das Flugzeug wieder gelandet ist und die nächsten Sieben kommen dran. Das würde mich jetzt aber auch wahnsinnig glusten. Ich habe zwar nicht verstanden, wie viel das kostet, aber hätte ich doch einfach auch aufgestreckt! Ich frage Brian, ob es wohl noch einen dritten Flug gebe und er bejaht. Er hat es sich nämlich in der Zwischenzeit auch überlegt. Es koste 50 Franken. Eine solche Gelegenheit habe ich nie wieder.
Wir kommen an einem gestrandeten Wrack vorbei. Es war mal eine Luxusjacht, die 1935 hier aufgelaufen ist. Ein eisernes, dahinrostendes Gerippe ist noch von ihr übrig geblieben. Bald danach halten wir bei der Rainbow Gorge, das sind vielfarbige Sandklippen und dort warten wir auf die Landung des Flugzeugs.
Es sind jetzt nur noch fünf Flugwillige, doch der Pilot fliegt trotzdem. Und so komme ich wieder ganz unverhofft zu einem grandiosen Erlebnis. Das Dahinrasen auf dem holprigen Sand, das Abheben über dem trükisblauen Wasser und schon ist unter uns der lange, helle Streifen, links der grüne Urwald, rechts das blaue Meer. Von hier werden auch die Sandwüsten sichtbar, die wie garstige Löcher in den Urwald hinein gefressen erscheinen. Aber auch die Süsswasserseen sind wunderbar. 42 hat es auf der Insel. Einer davon ist der Butterfly Lake und er hat eine Form wie ein Schmetterling. Wunderschön blau mit einem weissen Rand liegt er inmitten des Grüns vom Urwald. Ein anderer hat eher eine braune Farbe und ein Dritter spiegelt eben die weissen Wolken auf seiner Oberfläche. Die Sandpiste durchzieht als feine weisse Linie den Wald und umrundet einen etwas grösseren See. In einiger Entfernung kann man bis hinüber nach Hervey Bay sehen.
Dann sind wir wieder zurück über der Küste und dem Wrack und unter uns im türkisblauen, klaren Wasser kann ich eine Gruppe Haifische sehen. Zweifelsfrei, die typische Form der Sharks. Ganz aufgeregt schreie ich es nach hinten. Hat Brian sie wohl auch gesehen? Nur viel zu schnell sinken wir schon wieder und landen ganz nahe beim Bus. Der Pilot nimmt alles, VISA, Bargeld, Traveller Checks. Ich habe schon noch fünfzig Dollars und bin wieder mal ganz benommen vom Erlebten.
Beim Bus drüben treffe ich alle im Badekleid an. Jemand sagt mir, dass man alles im Bus lassen könne und schon verschwindet auch der Letzte düneneinwärts dem Bachlauf eines glasklaren Wässerchens entlang. Einer nach dem andern kommt dahergeschwommen und lässt sich von der Strömung Richtung Meer treiben. Ein hölzerner Steg führt einen dem Ufer entlang nach hinten, wo man bei einer kleinen Brücke gut ins Wasser gelangen kann und wo der Weg für jene, die nicht mitreiten wollen, auf der andern Seite wieder zurückführt. Herrlich erfrischend ist das Wasser, glasklar, einen Meter tief und etwa zwei Meter breit. Gerade nochmals ein so wunderbares Erlebnis!
Dafür herrsch jetzt im Bus ein Chaos, überall Sand. Alle kommen mit nassen Badekleidern und sitzen ungeniert auf die Polster und auf meinem Platz, den ich vorher neben Brian innehatte, ist ein fremder Rucksack – und ein schwarzer Spitzen-Slip. Gehört nicht mir, antworte ich auf Brians vielsagenden Blick und wir lachen. Ich nehme auf meinem Handtuch und einem Plastiksack auf einem andern Sitz platz. Doch wir haben nicht mehr so weit bis zum Resort, wo wir zum Lunch angemeldet sind. Dort gibt’s ein wunderbares Salatbuffet und einen Fisch und nochmals einen Fisch …!
Nach dem Essen geht’s wieder hinein in den Urwald. An einer Waldlichtung kann man sich an Informationstafeln über die Hölzer hier, die grossen Geweihfarne und Orchideen und sonstige, gescheite Sachen informieren. Dingooutlooks hat es auch. Doch bei so vielen Leuten verziehen sich diese Hunde bestimmt.
Was kommt jetzt noch? Wieder fahren wir durch den Wald. Die Räder hinterlassen tiefe Furchen auf der weichen Sandtrassee. Dann leuchtet ein blauer See zwischen den Bäumen durch und der Bus wendet am Ende der Strasse. Der Fahrer hat uns erklärt, was es mit dem Birrabeen-See auf sich hat. Es ist nicht einfach ein gewöhnlicher See zum baden. Hier sollte man sich ein bisschen mit Sand einreiben und abwaschen. Jeder, der hier bade, komme zehn Jahre jünger wieder heraus. Das könne man am augenfälligsten an goldenen Ketten oder Ringen sehen. Was nicht aus Gold sei, dem schade es eher, aber Gold beginne richtig zu glänzen. Das wäre natürlich der Hammer, so könnte ich in zehn Jahren nochmals herkommen, um meinen Sechzigsten zu feiern!
Und wieder finden wir uns an einem wunderschönen Ort, weisser Sand, tiefblaues, klares Wasser und die Ufergegend mit seinen Bäumen wie ein Kunstgemälde. Im weissen Sand wie St.Galler-Stickereien, kleine weinrote Rosetten mit einer blühenden Rispe, die daraus emporwächst. Das ganze ist vielleicht fünf Zentimeter gross, aber ein Wunder. Und ich darf hier sein!
Eine Frau poliert im Wasser gerade ihr Medaillon. “Ja, es stimmt, alles glänzt – sogar die falschen Zähne!” Natürlich muss ich laut lachen und die Frau fragt auf schweizerdeutsch, ob ich sie verstanden habe und ich komme mit ihr ins Gespräch. Sie stammt aus dem Appenzellerland, ist vor fünfzig Jahren nach Australien gekommen und einfach hängen geblieben. Sie wohnt in Childers, wo wir gestern durchgefahren sind und zeigt ihrem Bruder, der zu ihr auf Besuch gekommen ist, jetzt Fraser Island.
Auf dem ganzen Heimweg bis zum Fährhafen, wo wir den Bus wieder verlassen müssen, ist der Fahrer ununterbrochen am erzählen. Was wäre ich nun klüger, würde ich ihn verstehen!
Glücklich und beeindruckt ob all der vielen Erlebnisse heute, gondeln wir auf der Fähre wieder Richtung Festland. Bis jemand sagt, wir sollten mal unsern Kapitän ein bisschen genauer beobachten. Tatsächlich steht doch dort unsere Nel am Steuerruder, oder wie sagt man dem bei einem Schiff? Der Kapitän sitzt abseits etwas im Hintergrund und raucht lässig eine Zigarette. Einmal merkt man gut, dass sie ein bisschen zuviel abgedreht hat und die beiden anzuvisierenden Punkte etwas verloren hat, aber souverän korrigiert sie den Kurs, kein Problem.
Um fünf Uhr sind wir heute wieder daheim. Renz und Ria bleibt der Mund offen stehen. Dort wo ihr Zelt eigentlich stehen sollte, liegt ein braunes Bündel am Boden. Dem Mittelpole ist es wohl schlecht geworden, oder ein Wind hat am Zelt gerüttelt und dabei ist vielleicht ein Hering locker geworden. Zuallererst möchte ich noch ins Dorf, um per e-mail zu Brigittes heutigem und Beas morgigem Geburtstag zu gratulieren. Ich finde schon unten bei der Strassenkreuzung ein Internet und muss nicht, wie Hilda mir gesagt hat, noch eine halbe Stunde marschieren. So reicht es mir sogar beizeiten wieder zurück und ich komm nicht mal zu spät zum happy hour.
Bevor es dunkel wird, bieten auch heute wieder die Fledermäuse ihr fantastisches Schauspiel.
Was war doch heute für ein Wunder-voller Tag! Dabei war Freitag, der Dreizehnte! Das galt vielleicht höchstens für Renz und Ria.
Samstag 14. Februar 2004
Halb fünf, der Wecker piepst. Es ist jedoch gar nicht meiner und überhaupt heisst es heute erst halb sechs – halb sieben – halb acht! Doch um halb sechs müsste man auch keinen Wecker stellen. Das besorgen die Papageien schon von fünf Uhr an. Ich habe heute nochmals Logenplatz. Diesmal Nummer 1 auf der linken Seite zuvorderst. Schon vorgestern träumte ich von diesem Glück. Ich mochte fast nicht warten, bis ich dort vorn Platz nehmen konnte und als ich einstieg, waren dort Suzan und Hilde. Diese Enttäuschung! Ich meinte, Nummer 24 sei die höchste Zahl. – Es gibt eine 25! Also gestern durfte ich dann. Für die kurze Strecke bis zum Fährhafen! Aber der gestrige Tag hat nicht gegolten, ich darf heute nochmals!!
Wir haben relativ schönes Wetter. Zwar noch kugelige Wolken überall und die Landschaft wird immer zivilisierter. Schönere Strassen, mehr Verkehr, schönere Häuser, in den Gärten die filigranen Bäume, deren Name ich nicht weiss und mehr Föhren, buschiger Eukalyptus und andere Laubhölzer in Wäldern zwischen den Ortschaften. Wir befinden uns an der Sunshine Coast auf dem Highway one.
Unterwegs auf einsamen Strecken hat Fran mehr als einmal ein Video mit dem Crocodile Hunter eingelegt. Kitzlige Rettungen werden da gezeigt, von Krokodilen, die vielleicht jahrelang eingesperrt in einem Loch lebten und die nun in einem Zoo ein würdigeres Dasein bekommen. Steve Irvin scheint ein TV Star zu sein, den man einfach kennt. Auch die Geschichte, wie er seine Frau kennen gelernt hat, wurde als Film gedreht. Langer Rede kurzer Sinn: Er hat hier bei Beerwah einen Privatzoo mit vielen Krokodilen (die wir in den Filmen kennen gelernt haben), Kängurus und Koalas und vieles andere mehr. Und den besuchen wir jetzt.
Wir bekommen alle einen Ansteckknopf ans Revers, einen guten Übersichtsplan in die Hand und genügend Zeit, damit wir die Shows mit den Schlangen und Krokodilen geniessen können.
Dann los! Die Koalas hängen faul und verschlafen im Eukalyptus-Geäst, welches fast auf Augenhöhe, ohne Scheibe dazwischen, unter einem Schatten spendenden Dach eingesteckt ist. Man kann ihnen ganz nah kommen und auch um sie herumgehen. Es passt aber schon jemand auf, dass man sie nicht stört oder berührt. Um elf beginnt die Schlangenshow im Crocoseum. Ein richtiges Stadion mit einem Wassergraben auf der Spielwiese. Punkt elf kommt eine Riesenschlage daher geschwommen. Eine Frau und ein Mann begleiten sie im Wasser. Es gibt keine Show, mit irgendwelchen dressierten Schlangen, sondern eine Information über Schlangen im allgemeinen. Etwa im gleichen Stil, wie wir das in Alice Springs erlebt haben. Auch das Verhalten bei einem Schlangenbiss wird demonstriert.
Da ich ja von einem Vortrag immer eine Menge profitieren kann, entschliesse ich mich, die Show von den Krokodilen auszulassen. Ich tummle mich bei den Koalas, Straussen, Schildkröten und Kängurus. Es hat sogar ein weisses. Ich glaube, das ist kein Albino, denn es hat blaue Augen. Es hat auch ein Regenwald-Aviarium und ein Giftschlangen-Terrarium und sind jetzt die Krokodile im Vivarium? Es ist heiss. Ich gehe lieber in’s Mangearium. Soll ich mich jetzt besser mit Pizza oder Hamburger voll stopfen? Vielleicht eher eine Lasagne. Alles wird an den Schaltern herausgegeben. Es ist mir nicht so ganz klar, ob man jetzt zuerst den Teller nehmen und sich was darauf geben lassen soll, oder zuerst zahlen und dann….. Nel ist auch gerade hier. Sie bekommt’s und ich bin halt eben auf der falschen Seite und werde zurückgescheucht. Blöderweise ist aber in diesem Moment die Krokodilshow zu Ende und alles will fooden. Jetzt kann ich mich nicht mehr dazwischendrängeln und lasse halt die Lasagne sein und bin muff. Gestern war so ein schöner Tag und heute bin ich muff. An einem Schalter, wo niemand steht, hole ich mir einen Cäsarsalat und ein Sprite und setze mich grummelnd irgendwo an einen Tisch. Gläser gibt’s keine, Röhrchen gibt’s keine (den Tieren zuliebe?). Hier trinkt man überall im Restaurant nur aus der Flasche, alle. Sogar die Kleine neben mir, sie kann kaum recht gehen, aber sie schafft das problemlos ohne Nuggi.
Irgendwo huscht eine Frau im weissen Hochzeitskleid umher. Wie ich so aus den Augenwinkeln sehen kann, verteilt sie Rosen. Ich probiere krampfhaft, mich uninteressiert zu zeigen, nicht dass sie am Schluss noch auf die Idee kommt, mir eine Rose schenken zu wollen. Im Moment stecke ich in einem Frust, weil ich mich so anstelle und nichts zu verstehen glaube. Vorhin bei den Schlangen auch. Für was sass ich denn überhaupt dort in den Zuschauerrängen? Und überhaupt, was haben die hier für Sitten am Valentinstag? Tag der Bräute oder was?
Eine der vier Wales’schen (Ich weiss immer noch nicht welche Welche ist) steigt mit verbundenen Beinen wieder in den Bus. Was ist denn hier passiert? Die Begleiterin gibt Stu noch eine Adresse und eine kurze Information mit auf den Weg.
Bald liegt Brisbane vor uns, die Stunde des Abschieds. Diesmal verlassen uns John und Teresa. Es ist direkt eine Sensation, in der Ferne Wolkenkratzer zu entdecken und ich habe das Gefühl, als hätte ich noch nie eine solche Skyline gesehen. Ich mache Fotos von Hochhäusern und Blechlawinen. Wie ist es wohl für Stu, wieder mal im richtigen Verkehr? Dann an der Central Station ein Halt, ein kurzes Winke, Winke und – es ist vorbei. Ob man wohl wieder mal was voneinander hört?
Die Beiden haben so eine Art Endrunde eingeläutet. Fran liess eine Liste zirkulieren, wo alle ihre Adresse aufgeschrieben haben. Ich war wieder zuoberst, weil auf dem ersten Sitz und als sie zurückkam, wollte ich mir noch gerne zwei oder drei Adressen aufschreiben. Ich habe nur die e-Mail-Adressen gesammelt. Jenen möchte ich dann schon ein, zwei Fotos schicken. Fran jedoch nimmt mir die Liste weg und verspricht, mir eine Kopie zu machen (ich warte heute noch darauf). Dann wird eine Aussteige-Liste zusammengestellt. Je nach Hotel oder Weiterreise braucht’s einen Plan, für die Route in Sydney. Laut meinem Voucher werde ich wieder vor dem Ibis im Darling Harbour abgeladen. Andere müssen zum Flughafen, dementsprechend müssen wir natürlich dann am letzten Tag unser Gepäck einladen. Auch meinen Rückflug muss ich heute bestätigen und das, habe ich mich nun entschlossen, übergebe ich der Rezeptionistin im Camp heute abend. Nur noch 72 Stunden!
Wir sind nun an der Goldküste Australiens. Gold findet man hier wahrscheinlich nicht. Jedenfalls nicht im Boden tief versteckt. Hier liegt es auf den Banken und in den Brieftaschen, vielleicht jener, die es mal im Outback gefunden haben, wer weiss? Man hat beleuchtete Autobahnen und es gibt hier Häuser, denen auch ich Häuser sagen würde.
In South Port halten wir beim Spital. Die Patientin steigt mit ihrer Schwester aus. Sie muss nun doch abklären lassen, ob es nicht eventuell eine Thrombose ist. Das lange Sitzen und Busfahren könnte natürlich Solches schon begünstigen.
Bis zum Campingplatz ist es von hier nicht mehr so weit. Wir müssen heute wieder selber für unser Nachtessen besorgt sein und Fran erklärt uns wieder die Örtlichkeiten, was und wo. Wir haben hier natürlich auch eine grosse Auswahl und Vielfalt an verschiedensten Lokalitäten. Es gebe auch solche, wo man nicht mit Sandalen reinkomme.
Auch der Campingplatz ist recht gediegen, sauber und nicht jeder Dahergelaufene kommt in die Waschräume. Man braucht einen Code. Den habe ich sogar verstanden, nur dass am Schluss noch der Gartenhag gedrückt werden muss, ist mir entgangen. Wer weiss schon, wie diese Taste heisst, und dann noch auf Englisch! Zum Glück kommt Carolyn gerade zur Tür heraus und sie zeigt es mir. Und ich zeig’s Brian, der ist auch am Hag.
Die Zelte stehen schon, sogar dem Taddi seins. Ernst musste ihm die Heringe einschlagen. Obwohl er aus Kanada stammt, wäre er doch nicht was für Hilda! Noch bevor sich alles in die Stadt auf und davon macht, begleitet mich Susanne zur Rezeption. Da bin ich schon froh. Ich wäre da wieder schön aufgeschmissen gewesen. Obwohl ich eigentlich eine ausführliche Dokumentation erhalten habe, fehlt doch die Telefonnummer von Singapore Airlines, um eben den Rückflug zu bestätigen. Aber dank der netten Dame ist auch das bald geschafft.
Die Zelt-Verachter hatten heute kein Glück auf dem Campground. Alle zusätzlichen Zimmer oder Bungalows sind ausgebucht. Rob, Suzan und noch andere, irrten gut eine Stunde in der Stadt umher, bis sie mit knapper Not was gefunden haben. Nun röllelen sie mit ihren Koffern von dannen.
Die Stadt reizt mich eigentlich nicht. Bestimmt hat es hier in der Nähe auch etwas zu futtern. Wir sind ja am Meer, da gibt’s bestimmt Fisch! Nachdem die nähere Umgebung erkundet und Ernst die Temperatur im Wasser getestet hat, machen wir drei uns auf den Weg. Diese Pizzeria gerade um die Ecke dort? – “Haben Sie reserviert?” – Das auch noch ! Natürlich, es ist Samstag. Probieren wir’s weiter. Zwei weitere Restaurants haben zu und beim Chinesen sieht’s so leer und teuer aus. Also gehen wir doch zurück. Dort wo’s keinen Platz gehabt hat, gibt’s Pizzen zum Mitnehmen. Unterwegs kehren wir noch in einem Weinladen ein und kaufen uns eine passende Flasche, einen Merlot. Wasser gibt’s beim Lebensmittelhändler. Während also Ernst sich in die Schlange der Wartenden am Pizzaofen einreiht, überqueren wir zwei noch zweimal halsbrecherisch den Strand-Highway und warten “daheim” aufs Znacht. Etwa die Hälfte der Gruppe ist da geblieben und sie haben irgendwo Fish n’chips aufgetrieben, im Riesenpapier.
Ich habe nun doch so langsam Hunger, habe ich doch heute Mittag geschmollt. Endlich kommt er, drei Riesenschachteln. Eine wäre ja schon fast genug gewesen, aber sie schmeckt wirklich gut (die Pizza, nicht die Schachtel!). Mir kommt wieder die Geschichte in den Sinn, als ich mit Werner in Amerika in einer Pizzeria je eine Kleine und eine Mittelgrosse bestellen wollte, nur weil ich nicht wusste, wie viel 12 und 15 Zoll waren.
Sonntag 15. Februar 2004
Um fünf ist auch heute wieder Tagwache. Schönes, trockenes Wetter, gepflegter Rasen, wo wir campiert haben und inzwischen recht geübt im Zeltzusammenräumen, bescheren mir vor dem Frühstück noch genügend Zeit, um am Meer und auf dem Platz noch etwas Camping-Eindrücke zu sammeln. Was ich von der Bucht aus nur von weitem sah: die Skyline mit den Hochhäusern von Surfers Paradise aus der Ferne, sie zieht bald in allernächster Nähe an uns vorüber. Neue Wolkenkratzer sind im Bau, noch schöner, noch höher, noch glänziger. Hier riechts nach Scheia weia und das stinkt mir. Fran probiert uns Maiami Beach schmackhaft zu machen und sie erzählt begeistert, dass es hier “Bas, Pabs a Nahtlaaf” gebe. Eigentlich bin ich jetzt ganz stolz, dass ich nun schon ihren Aussie-Slang verstanden habe! Bars, pubs and nightlife hätte es heissen sollen.
Sie haben hier sogar Häuser. Wir sind in Byron Bay angekommen. Das ist der “most easterly point of mainland Australia”. Die Art, wie uns wieder Details der Ortschaft vermittelt werden, lässt vermuten, dass wir hier einen Stopp einlegen. Und wirklich, um halb eins sei wieder Abfahrt. Was sollen wir denn hier tun in dieser Zeit. Es ist jetzt halb neun. Jetzt sind meine Stacheln ganz ausgefahren. “Vier Stunden?” – “Nein drei! An der Grenze mussten wir doch die Uhr eine Stunde vorstellen!” sagt Susanne. Die Stacheln bäumen sich auf, weil ich das wieder nicht mitbekommen habe. Vielleicht gehen wir gerade zu Beginn Richtung Strand. Ich trotte hintendrein und bei einem Restaurant maule ich, zuerst müsse ich einen Kaffee haben. Holland Hilde bleibt bei mir. Sie ist gestern auch die ganze Zeit allein im Zoo herumgeschlendert. Heute will sie das nicht wieder. Den Kaffee bestellen und bezahlen wir hier wieder an der Theke. Es hat schon etwa acht Positionen auf der Bestellung, die noch vor uns drankommen. Wir erhalten einen Piepser und gedulden uns. Wir tauschen unsere Adressen aus. Hilde hat kein e-mail, dafür eine sehr schöne Handschrift, sie ist auch Lehrerin. Sie ist in einem kleineren Ort in Holland daheim, in Pijnacker. Das ist bei Delft, in der Nähe von den Haag. Sie verspricht mir, dass, wenn sie je in die Schweiz kommt, sie mich besuchen muss. Bis der Kaffee getrunken ist, sind meine Stacheln verschwunden und jetzt freue ich mich auf einen Schwumm hier am östlichsten Zipfel von Australien.
Hier ist nicht Surfers-, sondern es sieht aus, als ob da Paddlers-Paradise sei. Ein Leuchtturm bewacht eine malerische Bucht und in wunderbar klarem Wasser kann man baden. Zum Trocknen schlendern wir noch ein wenig näher dem Leuchtturm entgegen. So kommt er etwas grösser aufs Bild. Wenn wir noch etwas essen wollen, müssen wir jetzt aber zurück. Ich schaff es sogar schon, zu lädele. Hoffentlich haben die beiden neuen Strandtücher noch Platz in der Tasche. Eines ist für meinen Enkel. Ein grosser Hai mit aufgerissenem Maul und der Aufschrift “Biis mi doch!”
Jetzt reicht die Zeit wirklich nicht mehr für gediegeneres Essen. In einem Subway lassen wir uns ein Salatsandwich zusammenstellen und müssen dies sogar noch unterwegs zum Bus essen. So schnell sind die drei Stunden jetzt vergangen.
Wir fahren weiter einem wirklich sehr schönen Strand entlang. Einmal gibt es sogar noch an einem Aussichtspunkt einen Fotostopp. Vermehrt sieht man wieder Bananenplantagen und auch Avocados werden hier produziert.
In Coffs Harbour beziehen wir unser letztes Camp. Fran will uns schon vorher seelisch darauf vorbereiten und erzählt ausführlich, dass wir dort über der Düne die Möglichkeit haben, am Strand zu baden und dass es dort ausserdem einen wunderschönen Pool habe mit Rutschbahn! Hast Du gehört, Rita! Gehst Du auch? Martin strahlt. Es hat ihn doch gefuxst, dass er bei meinem Strip nicht dabei war. Nur diese Freude mache ich denen nicht ein zweites Mal. In Zukunft gehe ich nur noch im Badkleid auf die Rutschbahn!
Dann muss ich unbedingt an der Rezeption eine Karte und ein Couvert bekommen. Auf der Rückseite eines hübschen Koalabärs schreibe ich ein persönliches Dankeschön für die Crew und lege das Trinkgeld für die Drei dazu. Die Gruppe hat heute so einfallslos gesammelt. Sie haben einfach einen leeren Papiersack genommen, in welchen wir jeweils die Abfälle entsorgt haben, und das haben sie erst noch von Sitz zu Sitz weitergegeben. Gelegenheit für Selbstbedienung oder einfach nichts reinzutun. Wie ich zum Beispiel. So haben sie das Ganze übergeben.
Bis ich die Karte geschrieben habe, ist auch schon der Abschiedsapéro in vollem Gange. Stu entkorkt Flasche um Flasche vom Sekt und dazu gibt’s Shrimps. Stu gibt sich Mühe, mich aufzuklären. Schale von Kopf und die Beine aufbrechen und am Schluss noch den feinen braunen Streifen welcher über den Rücken läuft. “Is this the shit?” – Nein, nur die Venen. Aber ich bin nicht sicher, er wird jedenfalls peinlich genau entfernt. Und es schmeckt mir.
Das Menu ist wieder wie jenes am ersten Tag. Riesen Fleischfladen, Kukurutz, Kartoffeln und Gemüse.
Es geht heute viel länger bis Ruhe einkehrt. Lange wird noch geplaudert und als endlich das Licht ausgeht, wundert mich, was in der Nähe meines Zeltes noch so herumnuscht. Ich muss heute wieder mal aufs Klo und dabei stolpere ich beinahe über das Bett von Stu oder Fran. Ich weiss nicht, welcher von Beiden die Matratze mit dem niederen Gestell für das Moskitonetz einfach dort hingelegt hat und seine Runde unter freiem Himmel pennt. Wenn Boden und Wetterverhältnisse nicht so gut waren, habe ich sie etwa gesehen, dass sie ihre Heja im Bauch des Busses bereit gemacht haben, dort wo tagsüber das Gepäck verstaut ist.
Montag, 16. Februar 2004
Auch zum letzten Mal heisst es 5 – 6 – 7. Das Gepäck muss nun laut Liste und Ausstiegsplan eingeladen werden. Das letzte Mal das Zelt zusammengefaltet und im Trailer versorgt. Bestimmt steigt gleich drüben die Sonne aus dem Meer auf. Ich war gestern für einen kurzen Blick draussen vor dem Camp, wo es über eine Düne zum Strand geht. Ich entschliesse mich wieder mal eine Viertelstunde von der Frühstückszeit zu opfern. Die Brandung in der Morgenröte am letzten Tag habe ich auf meinem Chip, jedoch die Sonne lässt auf sich warten.
Wir sind auf dem Pacific Highway, auf unseren letzten 535 Kilometern. Polizeikorntrolle. Das geht schnell. Bis Stu richtig angehalten hat, sind alle ganz scheinheilig angeschnallt. Auf der ganzen Reise war eigentlich nie jemand angeschnallt. Auch nicht Fran auf ihrem Klappsitz über der Einstiegstüre. Diese beiden Male, als ich zuvorderst sass, machte ich das allerdings für mich persönlich.
Sonst verläuft die ganze Weiterfahrt unspektakulär. Es hat wieder etwas mehr Landwirtschaft, manchmal Wald. Vielleicht bin ich auch müde und habe genug gesehen. Es ist jetzt gut, dass wir auf der Heimreise sind. Wenn wir heute in Sydney ankommen werden, wird unser Kilometerzähler für unsere Reise im Ganzen 12’323 Kilometer ausweisen. Das ist etwa 30 mal quer durch die Schweiz. Es ist immer noch heiss, aber es ist eine erträgliche Hitze. Es ist nicht mehr so feucht. Jetzt plange ich bald, bis wir dort sind. Ich bin nicht mehr gwundrig, was kommt. Das Gefäss ist einfach voll.
Zum letzten Lunchhalt werden wir in Raymund Terrace in einem Einkaufszentrum ausgeladen und müssen uns dort selber was zu futtern suchen. Am chinesischen Buffet bin ich gut und schnell bedient. Meine Träger-Schlaufe von der Minikamera ist kaputt gegangen. Ich probiere, ob ich einen Ersatz finde. Es hat zwei Fotoläden im Zentrum, aber das Gesuchte haben sie nicht. Sie empfehlen mir über der Strasse nachzufragen. Um sieben Ecken finde ich auch jenen Laden und man versteht sogar, was ich will und ich bekomme es!!! Wieder auf der hintern Seite, wo der Bus wartet, sehe ich im letzten Moment, dass dieser ja gar keinen Anhänger hat. Aber er ist von AAT Kings. Stu steht ein bisschen weiter vorn. Hilde macht mich drauf aufmerksam: “Hast du gesehen, es ist Peter!” Natürlich muss ich noch mal zurück, um ihn zu begrüssen. Er konnte nach einer Woche wieder arbeiten. Er hat sich im Rücken einen Nerv eingeklemmt. Es waren also nicht Kolliken. So ist auch alles wieder gut.
Das letzte Stück vor Sydney ist wieder etwas bergig. Sogar an Felswänden fahren wir vorbei, überall Wald mit kugeligen Eukalyptusbäumen. Das Gebiet gehört zu den Blue Mountains. Ein Ausflugsziel für jeden Sydenyreisenden. Mir kommt das Bild wieder in den Sinn, als wir auf dem Sinkflug waren. Es sah aus, wie ein feingenoppter, verwaschener, grüner Flecestoff.
Irgendwo, weit aussen an der Peripherie von Sydney ist der erste Halt. Adé Philipp! Dann entschwindet das nächste Grüppchen. Und wieder eins. Hilda, Ernst und Susanne, alles winkt und – vorbei. Schon sind wir am Darling Harbour und im Ibis. Ich bin die Einzige, die hier aussteigt. Ich werde von allen nochmals umarmt. Sogar Stu verküsst mich und sagt “es war schön mit dir” oder hat er wohl gesagt: “dass du dabei warst?”
Im Hotel bekomme ich wieder Nummer 123. Die etwas bessere Besenkammer. Na ja, es ist ja nur noch eine Nacht. Aber diesmal nicht! Ein penetranter Rauchgestank kommt mir entgegen und ich mache rechtsumkehrt. Ich verlange ein Nichtraucherzimmer. Und ich bekomme eins, im siebenten Stock. Da ist die ganze Etage rauchfrei. Da hat es auch ein richtiges Fenster und nicht nur so hoch oben, wie im andern Zimmer. Was es doch nützt, wenn man sich getraut, sich zu wehren.
Erst mal eine ausgiebige Dusche ohne Käfer, Eidechsen, Frösche und Nachtfalter, dann nochmals auf Entdeckungstour. Das Shoppingcenter, wo ich das letzte Mal die 500$ aus dem Automaten gekitzelt habe, ist noch nicht inspiziert. Harbourside, mit vielen Boutiquen, Restaurants und allem Drum und Dran. Um hier im Restaurant einzukehren, ist noch zu früh. Vielleicht finde ich auch auf der gegenüberliegenden Seite etwas. Jedenfalls ein Fisch muss es sein, schliesslich sind wir im Hafen. Zuhinterst in der Bucht gibt’s ein Imax-Kino. Das wäre doch jetzt die Gelegenheit, es mal auszuprobieren. Schon lange wollte ich einmal nach Luzern. Kurz entschlossen trete ich ein. Der Eintritt kostet 26$. Das Programm für heute sind irgendwelche Geister- und Science-Fiction-Filme und gerade um 7 Uhr, das ist in zwanzig Minuten, Shackleton. Sagt mir überhaupt nichts. Ich frage den Kassierer, um was es in dem Film geht. Er erklärt es mir und ich bin so klug als wie zuvor. Na egal, hoffentlich nicht gerade ein Gruselfilm. Es kostet nur 15$. Auch gibt es keine Brille, also ist es nicht 3-D. Schade, das hätte mich gerade gereizt. Fünf Stockwerke hoch sei die Leinwand. Ich kann mir Logenplatz aussuchen, weit oben in der Mitte. Es hat fast keine Leute. Nun erlebe ich die abenteuerliche Reise Shackleton’s, der als erster den antarktischen Kontinent umsegeln wollte. Er startete im Oktober 1914. Sein Kampf mit dem Packeis und das Durchstehen eines Winters festgefroren im Eis. Beim Auftauen zerstört das Eis das Schiff und sie müssen zu Fuss weiter über Treibeis, im Schlepptau die Rettungsboote. Die Hunde müssen sie mit der Zeit opfern, um nicht zu verhungern. Doch sie schaffen es, aufs Festland zu kommen. Sie erreichen die Elefanteninsel. Wie im Helikopter- oder Segelflug schwebt man über die riesigen Eisberge und -Wüsten dahin. Ich habe das Gefühl, dass sogar die Air condition auf sehr kalt eingestellt wurde. Es friert einen wirklich bei Sturm und den haushohen Wellen, die auf einen herunterzubrechen drohen. Von der Elefanteninsel macht sich Shackleton mit zwei seiner Leute auf, um auf eine Insel durchzukommen, wo man Hilfe anfordern kann. Er schaffte es und am 30. August 1916 wurden sie gerettet. Shackleton hatte keinen Mann verloren. Irgendwann muss ich diese Geschichte noch lesen. Gesehen und miterlebt habe ich sie jetzt zwar, jedoch vieles der Erzählungen auch nicht verstanden.
Jetzt ist die Zeit gerade richtig fürs Dinner. Wirklich hat es auf dieser Seite ein richtiges Fischlokal, wo man Fisch bekommt. Es ist sehr gut besucht und ich als Einzelgänger bekomme einen Tisch ein bisschen hinten versteckt, nicht mehr auf der Terrasse, aber das ist mir gleich. Dafür bekomme ich den besten Snapper, den ich je hatte. Vielleicht kommt es mir auch nur so vor, denn ich bin wieder mal am Geniessen. Es stimmt schon. Man ist, was man denkt. Ich bin glücklich. Ich denke nicht, wie blöd, dass ich hier allein an diesem Tisch essen muss. Es hat damit zu tun, sich selber auch ein bisschen zu lieben.
Wieder draussen auf dem Heimweg, treffe ich auf Shirly und Bunty, die Schwestern, welche beide in der gleichen Woche ihre Männer verloren haben. Und sie erzählen mir noch, dass Holland Hilde beinahe ihr Gepäck verloren hat. Es war nicht mehr im Bus, weil Stu es eine Station zu früh ausgeladen hatte. Aber alles sei am Schluss gut rausgekommen. Nur für die andern, die noch auf den Flughafen mussten, war’s dann ein bisschen kirbbelig. Vor allem Barry, er sollte um 7:30 abfliegen. So kann ich mich jetzt nochmals ausgiebig von den Beiden verabschieden. Ich hoffe, dass ich von ihnen ein Mail bekomme. Ich habe ihnen meine Adresse gegeben, weil sie die ihren nicht sicher auswendig wussten. Bunty ist am Üben mit dem Computer und sie will’s dann daheim probieren.
Dienstag, 17. Februar 2004
Die Wolken, die am Morgen beim Packen noch vorherrschten, sind verzogen. Jetzt freue ich mich auf ein Frühstück. Ich glaube, ich gehe wieder dorthin, wo ich letztes Mal war. Die Jadekutsche möchte ich doch nochmals richtig anschauen. Mein Blick fällt zufällig auf den Wegweiser, der zum Parking des Queen Viktoria Building führt. Jetzt klingeln bei mir die Glocken. Ich habe nämlich unterwegs im APA-Guide etwas gelesen von diesem Shoppingcenter. In der Krisenzeit um 1890 errichtet, war es zuerst Markthalle. Nach seiner Restaurierung in den achtziger Jahren zogen hier die elegantesten Geschäfte der Stadt ein und man nennt es jetzt das schönste Einkaufszentrum der Welt. Bin ich also zufällig und ohne darum zu wissen, an einem besonderen Ort gelandet und es hat mir das erste Mal schon gefallen. Mir, die soviel am Hut hat mit Konsumtempeln!
Nun kann ich mir, mit der entsprechenden Hochachtung, am selben Bistrotischchen einen Capucino und ein Croissant bestellen. Was ich bekomme, ist auch königlich. Dem kann man schon nicht mehr Gipfeli sagen. Es füllt fast einen ganzen Essteller aus.
Dann, wie gesagt nochmals in den zweiten Stock, wo exquisite Juwelierläden den passenden Hintergrund zu der Jadekutsche bieten. Auf der andern Seite habe ich das letzte Mal gar nicht nachgeschaut. Dort ist eine Vitrine mit allem möglichen, königlichen Prunk. Königs- oder besser Königinnen-Krone von Queen Viktoria (logisch) Zepter, Diademe, Orden und weiss ich was. Würde ich die Coiffeur-Heftli jeweils besser studieren, wüsste ich vielleicht jetzt dieses Zeug besser zu benennen. Ich muss nur so staunen und mache natürlich Fotos. Aus einem Augenwinkel bemerke ich, dass irgend ein Sicherheitsmensch auch mich unter die Lupe nimmt. Aber er lässt mich gewähren. Anscheinend sehe ich doch harmlos genug aus.
Plötzlich schallen durch die ganzen Hallen Trompeten und Fanfaren. In diesem zweiten Teil, den ich letztes Mal übersehen habe, hängt auch eine grosse Uhr. Ein bisschen anders, als jene drüben. Und diese hat jetzt gerade Zehn. Über der Uhr ist eine Art Schloss, ähnlich bullig, wie sich die englischen Schlösser in meine Erinnerung gegraben haben.
Zu jeder vollen Stunde werden jetzt in einem Fenster der Burg, wie in einem Umzug Bilder aus der Englischen Geschichte erleuchtet. Unter Posaunenschall werden irgendwelche Highlights vom Königlichen Hof verkündet, von King John, Henry VIII, Queen Elisabeth I und viele mehr, welche nie in Vergessenheit geraten dürfen.
Ich muss mich nun aber doch abwenden. Ich will nämlich nochmals auf die Harbourbridge. Wie zum Dessert gehe ich nochmals durch die Pittstreet. So finde ich dann den Aufgang zur Brücke besser. Ich habe diesmal nämlich keinen Stadtplan bei mir. Zwecks WC muss ich noch irgendwo etwas trinken. In den Rocks, unmittelbar beim Aufgang, setze ich mich mit einem Shandy an ein Tischen auf dem Trottoir. “The Australian Hotel” nennt es sich hier und ist stolz auf seine Geschichte, die in die ‘early 1800’s’ zurückgeht. Das Haus ist 1913 gebaut worden und in seinem Flyer versprechen sie “a unique experience”. Eigentlich muss ich nur auf’s WC. Aber es ist wirklich ein Erlebnis. In einer Kellerecke wurde ein Platz geschaffen für das Damen-WC. Die Herren müssen noch durch irgendwelchen Durchgang und Torbogen weiter. In einem kleinen dreieckigen Raum finde ich ein antikes Klosett, neben einer hölzernen Kommode mit sechs Schubladen. Dass mir aber eine lebensgrosse Marmorfrau Gesellschaft leistet, ist mir noch nie passiert. Vielleicht stand sie irgendwo mal im Garten als Brunnenfigur oder was weiss ich und hat halt jetzt momentan hier ihren Platz gefunden. Ob generell oder nur vorübergehend, sieht man nicht auf den ersten Blick. Bin ich nicht begnadet, dass mich sogar ein WC-Besuch entzücken kann? Jedenfalls muss ich einen Flyer vom Australia Hotel, mit Bed and Breakfast on the Rocks von der Kommode dort mitnehmen.
Der Blick von der Brücke präsentiert sich schon ganz anders, als letztes Mal. Die neue Queen Mary liegt im Hafen. Die alten Häuser der Rocks vor den Glasfassaden des Central Business Districts und die Opera, alles im Sonnenschein. Tausend weisse Segel auf dem See, die sich zu einer Regatta formieren, ein zweites riesiges Schiff, das langsam auf die Brücke zusteuert, die kleinen, gelbgrünen Fährschiffe, die um die Wette das Wasser pflügen. Es ist wieder ein Highlight für sich.
Doch es heisst Abschied nehmen. Ich muss zurück ins Hotel. Dort habe ich meine Tasche in einem Schliessfach einstellen können. Alles ist elektronisch und ich musste als Code mein Geburtsdatum eingeben. Dann noch meine Lieblingsfarbe und brauche so keinen Schlüssel. Alle halben Stunden kommt ein Shuttle, mit welchem man zum Flughafen kommt, immer Viertel nach und Viertel vor. Es geht mir jetzt auch ein Licht auf, welcher Chauffeur uns am ersten Tag beinahe mitgenommen hätte!
Diesmal ist es schon richtig, er braucht auch meinen Namen nicht und während vierzig Minuten geniesse ich nochmals eine Stadtrundfahrt, denn der Shuttle fährt noch ein paar andere Hotels überall in der Stadt an.
Nach der Zollkontrolle schlendere ich noch etwas durch die Läden und decke mich mit drei Sydney-T-Shirts ein. Erst im Flugzeug sehe ich ihn, Rob. Er macht sich in der Businessklasse breit. Ich habe auch vorhin nicht gross rumgeschaut, da ich ja niemanden hier in Sydney zu treffen erwarte. Ich habe halt einen etwas schmäleren Platz, dafür wieder am Fenster. Es ist fünf Uhr und noch hell und den Fotoapparat habe ich jetzt mit an den Platz genommen. Nur machen mir heute die Wolken einen Strich durch die Rechnung. Zwar bleibt es hell, bis wir fast den ganzen Kontinent überflogen haben, aber die wunderschönen Farben und das ganze Wunder überhaupt bleibt meistens unter den Wolken, oder höchstens durch einen Dunst sichtbar. Ich muss wieder mal nach Australien kommen. In Singapore wartet Rob auf mich und ich verstehe ihn doch sogar fast. Er weiss von Carolyn und Jamie, dass sie gemeint hätten, sie kämen fast zu spät, vielleicht wegen Hildes Gepäck, dass aber der Flug überhaupt einige Stunden später ging, als sie gemeint hätten. Vielleicht hat er mir auch gerade das Gegenteil von dem erzählt, was ich verstanden habe. Er sagt mir, dass er die drei Stunden Wartezeit nun in der Longue verbringen werden. Das haben die Businesspassagiere uns gewöhnlich Sterblichen voraus. Sie können sich in einem klimatisierten Raum auf einem Ruhebett erquicken. Also nehme ich hier auch von ihm Abschied. Obwohl er zur gleichen Zeit wie ich startet, ist er mehr als eine Stunde früher in London, als ich in Zürich. Das ist eben, weil man in der Schweiz nicht vor sechs Uhr landen darf, also wird einfach nicht auf vollem Speed geflogen.
In einem Buchladen erstehe ich mir in der Kinderbuchabteilung noch einen Roald Dahl, den ich, wie sich aber zu spät herausstellt, schon gelesen habe und in einem Kaffee eine heisse Schokolade. Ich hoffe schon, dass ich im nächsten Flug noch etwas schlafen kann.
Und ich kann! Niemand setzt sich neben mich an meinen Fensterplatz und ich kann nach dem Nachtessen die Lehnen hochklappen und das erste mal im Leben schlafe ich in einem Flugzeug.
Soll ich das vom grossen Bahnhof am Flughafen auch noch erzählen?
Es spielen sich doch immer so herzerweichende Szenen ab in Flughäfen, in Bahnhöfen heute eher weniger. Eine junge Frau bricht in Tränen aus und geniert sich höllisch, weil sie gerade laut herausschluchzen muss, weil sie liebe Freunde hinter der Scheibe entdeckt hat. Ich will natürlich sehen, wer denn solche Tränen Wert sei. Und ich blicke in zwei bekannte Gesichter, Alice und Käthy. Und das morgens um halb sieben! Alice war ja schon beim Abschiedsdkommitee dabei und Käthy ist um halb vier aufgestanden und hat erst noch einen freien Tag eingezogen. Sie hat ein MUBA-Sonderbillet im Sack und will mich bis nach Basel begleiten. Und weil ich in Basel immer noch nicht das Gefühl von Müdigkeit verspüre, bringe ich erst mal das Gepäck heim, nehme eine erfrischende Dusche und gehe nun mit Käthi an die Muba. Noch unter dem Eindruck vom gestrigen Film, von dem ich ihr schwärmte, haben wir unterwegs schon im Zug abgemacht, dass wir zusammen mal nach Luzern ins Imax-Kino gehen. Das Erste, was wir an der Muba finden, ist ein Plakat über einen Australien-Film im Imax in Luzern. Na, wenn das nicht Zufälle sind …
Denn im Imax in Luzern beginnt nämlich bereits meine nächste Geschichte!!!