Als wir vor dem Wegfahren noch die Scheiben von den klebenden Insekten frei machen, beginnen die nun schon seit gestern Abend oben am Berg lauernden, schwarzen Wolken, ihre Fracht auszuleeren. Wie aus Kübeln werden wir überschüttet, als wollte man uns beim Putzen helfen. Keine fünf Minuten später ist alles schon wieder vorbei und es dampft nur noch und für den Rest des Tages haben wir wieder eitel Sonnenschein, oder jedenfalls fast. Die erste Erheiterung ist gleich auf der Strasse ins Dorf Te Araroa, als uns ein Pickup entgegen kommt, der im wahrsten Sinn des Wortes ein Pferd im Schlepptau hinter sich her zieht. Munter trabt es daher und man hat nicht das Gefühl, dass es gestresst ist oder dies zum ersten Mal macht.
Der Besuch des „Te-Waha-O-Rerekohu“ des mit seiner Höhe von 21 Metern und über 40 Meter weit ausladenden Ästen und dem Ruf, der grösste, bekannte Pohutukawa der Welt zu sein, ist für mich natürlich ein Muss. Zu seinen 350 Jahren von letztem Mal sind nun noch sechs weitere dazu gekommen. Seine Blüten sind aber schon fast alle vorbei und die feinen roten Fäden bedecken jetzt nur noch den Boden.
Das East Cap lassen wir diesmal aus. Es ist eine Kiesstrasse bis dorthin und deswegen dürfen wir nicht nach Morgen schauen; oder wäre es jetzt nach Gestern?
Tanken sollten wir hingegen noch. Gelegenheiten dazu gibt es ausser hier in Te Araroa auf unserer für heute geplanten, einsamen Strecke keine mehr. Zum Glück ist eine Maori Frau auch eben daran, sich an diesem Automaten zu bedienen und dank ihrer Hilfe schaffen auch wir das. Gewusst wie: Zuerst Karte reinschieben, dann Diesel wählen, dann Karte entfernen und ja nicht den Stutzen betätigen, bevor man das o.k. dazu bekommt. Dann erst den Betrag eintippen, füllen und am Schluss wieder die Karte reinstecken, um die Quittung für den Bezug von knapp 20 Litern für 30 $ zu bekommen.
Der Pacific Coast oder State Highway Nr. 35 führt jetzt manchmal wieder, wie ich dem sage, als Kreten-Highway über Berge und durch Wälder. Bei Tikitiki kommen wir an den Waipau River, der dort dann bald ins Meer mündet, sich aber vorher durch ein immens breites Flussbett schlängelt, welches wir über grosse Brücken, einmal ist es sogar nur eine einspurige Brücke, überqueren müssen. Weil die Brücken René immer auch herausfordern, nachzuschauen, was darunter ist, steigen wir bei einer alten Ruine eines Abfüllsilos direkt am Fluss wieder mal aus, um einfach mal dort zu sein und den Geräuschen der Natur und des Wassers zu lauschen und etwa einen Schnappschuss von einem vergammelten Etwas einzufangen.
Ein Hauch von verblühtem Weiss liegt noch über den Manuka-Wäldern, von denen der inzwischen berühmte und begehrte, antibiotische Honig kommt.
Das weissliche Glänzen von Silberpappeln begleitet auch immer mehr unsern Weg, bis wir in der Tokomaru Bay wieder ans Meer kommen. Ein Wiedererkennen des Ortes, wo wir schon einmal TipTop genossen haben, als es wesentlich unfreundlicheres Wetter war, als heute und wir müssen natürlich auch heute bei diesem Kiosk einkehren. Es wäre auch Zeit, etwas zu essen und so bestelle ich mir wieder einmal Fish’n Chips. Einmal Chips und einmal Kumara, das sind Pommes aus Süsskartoffeln und einmal Fisch für mich. Alles zusammen gibt‘s in einem riesigen Paket aus Zeitungspapier. Dieses ist heutzutage auch nur unbedrucktes Papier, aber im Format einer ehemaligen, riesigen Zeitung. Auf unserer ersten Reise gab‘s noch richtige Zeitungen, wo man die örtlichen News erfahren konnte. Mein Fisch ist riesig und hat einen dicken Ausbackteig und ist schrecklich fettig. Ich fühle mich richtig vollgefressen und trotzdem muss es zum Dessert noch eine Pure Passion sein, diesmal zwar immerhin keine Double Scoop.
Wir inspizieren noch den Campingplatz hinter dem Haus, aber dieser präsentiert sich nicht so anmächelig. Wahrscheinlich wird er ebenfalls von der Familie im Kiosk betrieben. Ein kurzer Spaziergang am hiesigen Strand, wo es ziemlich stark windet, treibt uns am Schluss zur Entscheidung, doch die Etappe von etwa 30 km bis zum nächsten in meinem Atlas verzeichneten Campground anzuhängen, wo wir die Stichstrasse zur Anaura Bay nehmen. Hier sehen wir nun doch endlich einmal viele Schafe.
Es ist eine paradiesische Bucht, die sich am Ende der Strasse von einem Hügel aus unter uns ausbreitet. Eigentlich ist hier nur dieser Campground und höchstens fünf, sechs Häuser. Der Chef ist nicht da und ein Schild an der Tür der Rezeption besagt, wir sollen einfach irgendwo stellen, er komme dann vorbei. Platz hat‘s ja genug und wir wählen einen Strompfosten unter einem grossen Pohutukawa mit richtigen Besen.
Es hat hier eine gemütliche, grosse Campküche und einen Aufenthaltsraum, der vor lauter aufgehängten Tierfellen, keinen Platz mehr für irgendwas an den Wänden freilässt. Das Gebäude steht schon seit 1945.
Etwas länger ist es her, seit am 20.10.1769 hier Kapitän Cook zum zweitenmal in Neuseeland an Land gegangen ist.
Die Inspektion des hiesigen Strandes bringt uns wiederum mit noch nie Gesehenem zum Staunen. Das Wasser hat hier komische Gebilde an Land gespült. Es ist wohl eine Art blaue Quallen, die aussehen wie ein kleiner, aufgeblasener Plastiksack mit einer langen, blauen Kordel. Das Meer ist am Zurückgehen und gibt auf einem Stück Strand eine Spur von besonderen Steinen frei. Man kann erkennen, dass es ein richtiger Lavastrom gewesen sein muss, der hier ins Meer geschoben wurde und erstarrt ist. Noch kann man den Schaum und den zähen Brei der Lava erkennen.
Ich muss heute den Vorhang an meinem Kopfende des Bettes weit aufmachen. Erstens schaut niemand herein und zweitens kann ich so zum Einschlafen Sterne am Firmament zählen, die mir fernab von jeder Lichtverschmutzung riesengross vorkommen.
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